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Kommentar: Eklat an der Uni Hamburg: Gleiches Recht für Bernd Lucke

Kommentar

Eklat an der Uni Hamburg: Gleiches Recht für Bernd Lucke

Michael Stifter
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    Bernd Lucke war fünf Jahre im Europaparlament. Seine erste Vorlesung nach der Rückkehr an die Hamburger Universität endete im Chaos.
    Bernd Lucke war fünf Jahre im Europaparlament. Seine erste Vorlesung nach der Rückkehr an die Hamburger Universität endete im Chaos. Foto: Markus Scholz, dpa

    Bernd Lucke ist ein Mann, über den sich streiten lässt. Der Wirtschaftsprofessor hat eine Partei gegründet, die (auch) zum Sammelbecken für Europa-Hasser, Rechtsextremisten und Antisemiten wurde. Eine Partei, die den Ton in der politischen Debatte vergiftet hat. Er hat zu spät gesehen oder sehen wollen, dass er damit geholfen hat, "ein Monster zu schaffen", wie Hans-Olaf Henkel, ein Mitstreiter der ersten Stunde, später sagte. Über all das ließe sich mit ihm streiten. Doch das wollten die Studenten ja gar nicht, die Luckes Rückkehr an die Hamburger Universität nun ins Chaos stürzten.

    Der 57-Jährige wird niedergebrüllt und körperlich bedrängt, er wird mit Papierkugeln beworfen und verlässt am Ende, ohne ein einziges Wort in Ruhe gesagt zu haben, den Hörsaal an der Seite von Polizisten (Proteste bei Rückkehr von Ex-AfD-Chef Lucke an Uni Hamburg). "Nazi-Schweine raus aus der Uni", skandieren ein paar hundert junge Leute, als Lucke sich ans Rednerpult stellt, um über Makroökonomie zu sprechen. Sie begeben sich damit auf jenes armselige Niveau, das sie Luckes einstiger Partei vorwerfen. Ja, der Professor behandelt politische Gegner bisweilen in einer schwer erträglichen, besserwisserischen Art. Er ist ein stockkonservativer, marktradikaler Euro-Gegner und ein Populist. Das alles ist aber nicht verboten.

    Die AfD jagte Parteigründer Lucke davon

    Mit dem Aufstieg des rechten Flügels in der AfD begann der Abstieg des Parteigründers. Die Geister, die er rief, hörten ihm am Ende nicht mehr zu und jagten ihn davon. Übrigens, nur zur Erinnerung an die AfD-Leute, die sich nun scheinheilig mit ihrem früheren Chef solidarisieren: Als Lucke zum letzten Mal auf einem Parteitag der Alternative für Deutschland sprach, wurde er von den eigenen Leuten ausgebuht und niedergepfiffen. Er verließ die Partei, als sie immer weiter nach rechts kippte. Das befreit ihn nicht von einer Mitverantwortung für deren Radikalisierung. Ein Nazi ist er trotzdem nicht.

    Nüchtern betrachtet haben die Hamburger Studenten, angestachelt von der linksradikalen Antifa, mit ihrem Gegröle einem Mann, dessen Ansichten sie nicht teilen, das Recht auf freie Meinungsäußerung genommen. Nur wo soll denn ein offener, gesellschaftlicher Diskurs, wo soll das Ringen um die besten Argumente stattfinden, wenn nicht an unseren Universitäten? Der Eklat um Lucke bestärkt all jene populistischen Krakeeler, die behaupten, in Deutschland dürfe man ja gar nicht mehr seine Meinung sagen und werde immer sofort in die rechte Ecke gestellt. Welch ein Desaster.

    Die AfD arbeitet konsequent daran, das Sagbare immer weiter nach rechts zu verschieben. Und es ist die Verantwortung eines jeden Einzelnen, der sich in der Mitte der Gesellschaft verortet, dagegenzuhalten. Doch der Kampf gegen Radikale rechtfertigt eben nicht alle Mittel. Lucke braucht kein Mitleid. Das Sprechverbot gegen ihn dürfen wir trotzdem genauso wenig schulterzuckend hinnehmen wie die Entgleisungen von Rechtsaußen. Dass der Hamburger Uni-Präsident und die Wissenschaftssenatorin den Aufruhr im Hörsaal zunächst als "diskursive Auseinandersetzung" bezeichneten, die man aushalten müsse, ist deshalb ein fatales Signal. Denn was soll das bitte für eine Auseinandersetzung sein, wenn eine Seite die andere daran hindert, zu sprechen? Wenigstens in einem zweiten Statement stellte die Wissenschaftsbehörde klar, es gehe nicht, "dass die Lehrveranstaltungen von Herrn Lucke niedergebrüllt werden".

    Es geht darum, wenigstens zuzuhören

    Wann haben wir eigentlich verlernt, andere Meinungen zu ertragen? Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die politische Auseinandersetzung immer weiter radikalisiert. Wohin das führt, lässt sich in den USA beobachten, wo der Präsident sich von einem Wutanfall zum nächsten twittert. Wo Spaltung längst zum alltäglichen politischen Instrument geworden ist.

    Demokratie bedeutet gleiches Recht für alle – und nicht nur für die, deren Ansichten uns in den Kram passen. Es geht nicht darum, zuzustimmen. Es geht darum, zuzuhören. Und danach lässt sich immer noch streiten. Auch mit Lucke.

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