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Debatte: Europa steuert auf eine neue Asylkrise zu

Debatte

Europa steuert auf eine neue Asylkrise zu

Rudi Wais
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    In Bosnien harren Hunderte  Migranten in der Kälte aus.
    In Bosnien harren Hunderte Migranten in der Kälte aus. Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone, dpa

    Wie durchlässig Europas Grenzen sind, hat Ibrahim Miri gerade erst bewiesen. Der Chef eines weit verzweigten Clans, wegen Drogenhandels zu sechs Jahren Haft verurteilt und erst im Sommer mit einem eigens gecharterten Flugzeug in den Libanon abgeschoben, tauchte Anfang November plötzlich wieder in Bremen auf, um Asyl zu beantragen. Inzwischen wurde er zwar erneut mit gewaltigem Aufwand zurückgeschickt, sein Fall aber entlarvt die Plädoyers für einen besseren Schutz der europäischen Außengrenzen einmal mehr als hohles Gerede. Obwohl die meisten Länder entlang der Balkanroute darüber informiert waren, dass Miri auf dem Weg zurück nach Deutschland sein könnte, hatte er buchstäblich freie Fahrt.

    An der bosnisch-kroatischen Grenze sammeln sich immer mehr Migranten

    Vier Jahre nach dem vorläufigen Höhepunkt der Flüchtlingswelle steuert EU-Europa auf eine neue Asylkrise zu. Wie im Spätsommer 2015, als der Druck aus Ungarn täglich stärker wurde, sammeln sich nun an der bosnisch-kroatischen Grenze immer mehr Menschen, die nur ein Ziel haben: die Europäische Union. Der Glaube, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei und etwas logistische Hilfe für die notorisch überforderten Griechen könnten die Lage nachhaltig entspannen, hat sich als trügerisch erwiesen. Die Balkanroute ist wieder offen – alleine in Bosnien warten je nach Schätzung gut und gerne 10.000 Flüchtlinge auf eine Gelegenheit, die Lager, in denen sie oft unter widrigsten Umständen zusammengepfercht sind, in Richtung Kroatien und dann weiter nach Österreich und Deutschland zu verlassen. Weitere 40.000 haben es aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak oder Syrien bereits bis nach Griechenland geschafft. Auch sie werden dort kaum bleiben wollen.

    Selbst wenn die Zahlen bei weitem nicht so hoch sind wie vor vier Jahren, muss die Politik doch gewarnt sein. Je früher und je weiter die EU ihre Tore für die in Bosnien, Serbien oder Albanien gestrandeten Migranten öffnet, umso größer wird auch die Zahl der Menschen sein, die anschließend nachrücken. Obwohl die Regierung in Ankara aus Europa Milliarden dafür erhält, nach Griechenland übergesetzte Flüchtlinge wieder zurückzunehmen, ist die Route Türkei-Griechenland-Bosnien inzwischen wieder einer der populärsten Wege in die EU. Die Gefahr, dass Bihac ein neues Budapest wird, ist groß.

    Europas Vertrauen in die Türkei war zu groß

    Angesichts der gewaltigen Probleme mit der Migration über das Mittelmeer hat Europa die Balkanroute in den vergangenen Jahren etwas aus den Augen verloren. Zu groß war das Vertrauen in die Türkei, zu naiv vielleicht auch die Annahme, die Flüchtlingszahlen würden sich schon auf niedrigem Niveau einpendeln. Dieter Romann, der Präsident der Bundespolizei, warnt nicht ohne Grund: Von sicheren Außengrenzen könne in der EU bis heute keine Rede sein. Nach Informationen der Welt sind fast 30.000 Asylbewerber, die bereits abgeschoben wurden oder freiwillig ausgereist sind, inzwischen wieder zurück in Deutschland.

    Den Ehrgeiz, den Europa auf das Verteilen von Flüchtlingen auf seine Mitgliedsländer entwickelt, lässt es beim Schutz seiner Grenzen bisher vermissen. Es fehlt an Personal, an Material – und offenbar auch am Willen, die Zügel in der Migrationspolitik etwas anzuziehen. Das bedeutet nicht, die Menschen in Bihac oder Vucjak in ihrem Elend sich selbst und den bosnischen Behörden zu überlassen. Der Automatismus jedoch, nach dem sich am Ende immer ein Land findet, um jemanden aufzunehmen, führt nicht nur in Deutschland das Asylrecht ad absurdum, weil niemand mehr zwischen den Menschen trennt, die unsrer Hilfe tatsächlich bedürfen, und denen, die nur aufs Geratewohl kommen. Ein Rechtsstaat aber ist nur dann ein Rechtsstaat, wenn er sein Recht auch durchsetzt.

    So hart es klingen mag: Um Verfolgte aufnehmen zu können, muss man nicht Verfolgte auch wieder zurückschicken können.

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