Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Europäische Union: Flüchtlingskrise, Schulden, Brexit: Wo liegen Europas Probleme?

Europäische Union

Flüchtlingskrise, Schulden, Brexit: Wo liegen Europas Probleme?

    • |
    Turbulente Zeiten: Wenn Ursula von der Leyen am Dienstag zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt wird, erbt sie einen gewaltigen Berg an Problemen.
    Turbulente Zeiten: Wenn Ursula von der Leyen am Dienstag zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt wird, erbt sie einen gewaltigen Berg an Problemen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Ursula von der Leyen muss am Dienstag mindestens 374 der aktuell 747 EU-Parlamentarier überzeugen, um neue EU-Kommissionschefin zu werden. Wenn ihr das gelingt, würde die CDU-Politikerin aber auch einen gewaltigen Berg an Problemen erben, der sich derzeit in Europa auftürmt. Die Flüchtlingskrise, instabile Regierungen, Haushaltsprobleme und der Brexit dämpfen die Stimmung - ein Überblick.

    Länder auf dem Westbalkan hoffen auf EU-Beitritt

    So sehr der Ruf der EU auch in vielen Mitgliedsländern ramponiert sein mag – es gibt noch immer Staaten, die nur gern zum Bündnis dazustoßen würden. Die Aussicht auf einen Beitritt haben derzeit vor allem Staaten des Westbalkans: Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Serbien, Albanien, Montenegro und das Kosovo. Geografisch liegen sie mitten in Europa, politisch und wirtschaftlich trennen sie von den EU-Staaten teilweise Welten.

    Hinzu kommt, dass sich der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo verschärft: Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo, eine ehemalige serbische Provinz, hatte sich 2008 für unabhängig erklärt. Serbien will den jungen Staat nicht anerkennen, dieser führt seit vergangenem November einen Zollkrieg gegen serbische Einfuhren. Doch links liegen lassen kann und will die EU den Westbalkan nicht. Die EU-Kommission hatte den Ländern bei entsprechenden Reformen einen EU-Beitritt bis 2025 in Aussicht gestellt. In ihrer Werbetour machte auch von der Leyen den Staaten zumindest Hoffnungen. Speziell Nordmazedonien bezeichnete von der Leyen als leuchtendes Beispiel. „Ich bin überzeugt, dass wir den Westbalkan viel ernster nehmen müssen“, sagte sie.

    Ein zähes Ringen: Großbritannien und der

    Was würde eine Kommissionschefin namens Ursula von der Leyen für den Brexit bedeuten? Das ist die einzige Frage, die sich die Briten vor der Besetzung des EU-Spitzenjobs stellen. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel seien abgeschlossen, schrieb von der Leyen vor wenigen Tagen an die Europaabgeordneten. Das mit London ausgehandelte Austrittsabkommen ist für die Kandidatin „der einzige und bestmögliche Deal“.

    Solche Worte aber ignorieren viele Parlamentarier in Westminster gerne. Sollte Großbritannien eine Verlängerung der Scheidungsfrist jenseits des 31. Oktobers beantragen, dann würde diese auch unter der Deutschen lediglich gewährt werden, wenn es „gute Gründe“ für einen Aufschub gebe. Als solche galten in der Vergangenheit Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Doch ein Hinauszögern des Termins lehnt Boris Johnson ohnehin ab.

    Der Brexit-Befürworter wird im derzeitigen Rennen um den konservativen Parteivorsitz bereits als nächster Premierminister gehandelt. Die scheidende Regierungschefin Theresa May war an eben jenem Vertragspaket, das drei Mal im Parlament durchgefallen ist, gescheitert. Johnson will es nach dem Einzug in die Downing Street mit Brüssel nachverhandeln. Sollte sich die Staatengemeinschaft weigern, würde er nach eigenen Angaben auch einen ungeordneten Brexit in Kauf nehmen. Sollte von der Leyen also zur Kommissionspräsidentin aufsteigen, werden ihre ersten Monate von Großbritanniens EU-Austritt überschattet werden.

    So sieht der wohl bekannteste unbekannte Künstler der Welt den Brexit: Das Wandbild von Banksy zeigt einen Mann, der einen Stern aus der EU-Flagge heraushämmert.
    So sieht der wohl bekannteste unbekannte Künstler der Welt den Brexit: Das Wandbild von Banksy zeigt einen Mann, der einen Stern aus der EU-Flagge heraushämmert. Foto: Matt Dunham, AP/dpa

    Einerseits hoffen Optimisten in Brüssel noch immer auf einen Meinungsumschwung auf der Insel und sie würden deshalb wohl ein Hinauszögern des Brexit-Termins befürworten. Andererseits scheint nach jahrelangem Hin und Her die Geduld der EU mit den Briten aufgebraucht. Einen chaotischen No-Deal-Brexit, vor dem unter anderem die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals eindringlich warnt, will aber niemand. Würde von der Leyen entgegen der bisherigen offiziellen Linie dafür werben, den Deal mit einem neuen Regierungschef noch einmal nachzuverhandeln, wie viele Abgeordnete in Westminster hoffen? Damit ginge das Brexit-Drama in eine neue Runde – auch wenn es mit dem Ende der Amtszeit von Jean-Claude Juncker, der in Großbritannien vor allem in europaskeptischen Kreisen äußerst unbeliebt ist, eigentlich längst abgeschlossen hätte sein sollen.

    Malta ächzt unter den Flüchtlingszahlen

    Im lauten Streit zwischen der EU und Italien geht beinahe unter, dass auch das kleinste Land der Union, Malta, unter hohen Flüchtlingszahlen ächzt. Durch seine geografische Brückenfunktion zwischen dem europäischen Festland und Afrika ist Malta häufig nächstgelegener Hafen für Rettungsschiffe. Doch deren Einlaufen will Valletta nicht länger gestatten und fordert stattdessen eine gerechte Verteilung der Menschen auf alle EU-Staaten. Um das zu erzwingen setzt Malta kleine Nadelstiche: Der aus Landsberg am Lech stammende Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch etwa wurde im Mai in Malta zu einer Strafe von 10.000 Euro verurteilt, weil er in maltesische Gewässer gesteuert war. Erst nach langen Debatten konnte Anfang Juli die „Alan Kurdi“ in Valletta anlegen.

    Gemessen an der Bevölkerungsgröße gehen die meisten Anträge auf Asyl in Zypern (7765 Anträge), Griechenland (66.965 Anträge) und Malta (2130 Anträge) ein. Doch eine Lösung in der festgefahrenen Asylreform ist nicht in Sicht. Erst am Wochenende wurde ein Vorschlag des deutschen Außenministers Heiko Maas abgeschmettert: Der baut auf ein „Bündnis der Hilfsbereiten“, die verstärkt Flüchtlinge aus dem Mittelmeer aufnehmen sollen.

    Portugal muss seine Schulden senken

    Lange Zeit galt Portugal als europäisches Sorgenkind. Das Land am Atlantik stand 2011 vor der Staatspleite und musste von der EU mit einem Milliardenkredit gerettet werden. Dieser Albtraum ist inzwischen überwunden. Das Land gilt heute als Brüssels Musterschüler. Kaum ein europäisches Land hat zuletzt einen so radikalen Wandel erlebt wie Portugal: Die am Boden liegende Wirtschaft blühte mit dem sozialistischen Regierungschef António Costa auf, das Wachstum lag in den letzten zwei Jahren über dem EU-Schnitt. Die Arbeitslosenquote halbierte sich auf heute 6,6 Prozent. Dank dieser guten Bilanz kann Costa mit seiner Wiederwahl rechnen.

    Auch ausländische Investoren sind angetan: Volkswagen kündigte in seinem Autoeuropa-Werk in der Nähe Lissabons millionenschwere Investitionen an. Die Schuldenfront entspannte sich ebenfalls: Das Haushaltsminus sank von elf Prozent in 2010 auf beispielhafte 0,5 Prozent in 2018. Nur die Gesamtschulden drücken weiter: Sie sind mit 121 Prozent des Bruttoinlandsprodukts immer noch doppelt so hoch wie erlaubt. Dies bleibt Portugals größtes Stabilitätsrisiko, das nach Brüssels Meinung mit weiterer Ausgabendisziplin gesenkt werden muss.

    Italien macht weiter Schulden und blockiert Rettungsschiffe

    Italiens Innenminister Matteo Salvini fährt einen extrem harten Kurs gegen Migranten und proklamiert eine Null-Toleranz-Politik.
    Italiens Innenminister Matteo Salvini fährt einen extrem harten Kurs gegen Migranten und proklamiert eine Null-Toleranz-Politik. Foto: Andrew Medichini, AP/dpa

    Europa gilt in Italien derzeit eher als Unwort. Als EU-Kommissionspräsidentin müsste sich Ursula von der Leyen deshalb vor allem auf gelegentlich in Orkanböen umschwenkenden Gegenwind aus Rom einstellen. Die schlimmsten Sturmböen sind auf den Gebieten Migration und Finanzen zu erwarten. Innenminister Matteo Salvini fährt einen extrem harten Kurs gegen Migranten und proklamiert eine Null-Toleranz-Politik. Die mehr oder weniger erfolgreichen Hafenblockaden von Rettungsschiffen wirken gelegentlich wie Erpressung, mit der sich dann auch von der Leyen befassen müsste. Wer kümmert sich in der zerstrittenen EU um die Migranten, die Italien ablehnt – die man aber nicht im Mittelmeer ertrinken lassen will?

    Mit Rom in dieser Frage zu verhandeln ist derzeit kaum möglich. Etwas günstiger hat sich die Lage auf dem Gebiet der Staatsfinanzen entwickelt. Da verstößt die italienische Regierung zwar vehement gegen die Maastricht-Kriterien zur Neuverschuldung. Zuletzt reagierten die Finanzmärkte allerdings positiv auf Signale der Entspannung: Italien verschuldet sich nicht ganz so schlimm wie befürchtet, die EZB signalisiert eine weiterhin milde Zinspolitik.

    Griechenlands neuer Ministerpräsident könnte ein schwieriger Partner werden

    Im scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hatten die Griechen einen Freund. Juncker erlebte während der Schuldenkrise, welche Sprengkraft selbst ein kleines Land für den Bestand der Währungsunion entwickeln kann – und half deshalb, Griechenland vor dem Grexit zu bewahren. Auch für seine mögliche Nachfolgerin Ursula von der Leyen bleibt Griechenland ein Problemfall. Die akute Krise ist zwar überwunden, aber Athen steht noch auf Jahrzehnte unter verschärfter Aufsicht der EU-Kommission. Nachdem der Links-Premier Alexis Tsipras 2015 mit seiner Konfrontationsstrategie scheiterte und vor den Gläubigern kapitulieren musste, hat er die Vorgaben der Geldgeber klaglos umgesetzt.

    Der neue Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis könnte für die Kommission ein schwierigerer Partner werden. Denn er will die Sparvorgaben lockern, um mehr Geld für Investitionen zu haben und die Wirtschaft anzukurbeln. Auch in der Flüchtlingspolitik bleibt Athen ein Brennpunkt: Die Griechen fordern eine gerechtere Verteilung der bei ihnen aus der Türkei ankommenden Asylbewerber – ein Thema, an dem sich schon Juncker die Zähne ausgebissen hat.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden