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Ungarn: Gastbeitrag von Sergey Lagodinsky: "Die EVP muss Orbán ausschließen"

Ungarn

Gastbeitrag von Sergey Lagodinsky: "Die EVP muss Orbán ausschließen"

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    Das ungarische Notstandsgesetz ermöglicht Ministerpräsident Viktor Orbán, auf unbegrenzte Zeit und ohne parlamentarische Kontrolle nur mit Verordnungen zu regieren.
    Das ungarische Notstandsgesetz ermöglicht Ministerpräsident Viktor Orbán, auf unbegrenzte Zeit und ohne parlamentarische Kontrolle nur mit Verordnungen zu regieren. Foto: Tamas Kovacs, dpa

    Es bedarf fast schon eines Paartherapeuten, um die verhängnisvolle Affäre zwischen der Europäischen Volkspartei einerseits und der ungarischen Demokratiezerstörungsmaschine, der Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Orbán andererseits, zu verstehen. Gerade in diesen Tagen ist Victor Orbán an brutalen Erniedrigungen gegenüber europäischen Partnern, darunter vielen Konservativen, kaum zu überbieten.

    Nachdem er sich unter dem Deckmantel der Notstandsgesetze zum ersten europäischen Covid-Diktator inthronisiert hatte, schrieb er an den Generalsekretär der europäischen Konservativen, er habe für die Kritik seiner Parteifreunde "keine Zeit". Einen Brief von 17 europäischen Regierungschefs, der anlässlich ungarischer Gesetzgebung vor antidemokratischen Gefahren warnte, zeichnete die Regierung demonstrativ und spöttisch mit, als ginge es gar nicht um Ungarn – ein diplomatisches Trollen "made in Budapest". Wie lange kann so etwas in Europa noch geduldet werden?

    Ungarische Gesetze verstoßen klar gegen europäische Demokratiestandards

    Die ungarischen Gesetze, die Orbán mit der Machtfülle eines Diktators ausstatten, haben mit europäischen Demokratiestandards genauso wenig zu tun, wie Saudi-Arabiens Frauenpolitik oder die chinesischen Regeln zur Versammlungsfreiheit: Die Kontrolle des Parlaments wird in Ungarn unbefristet abgeschafft, jede Kritik an Anti-Covid-Maßnahmen mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet.

    Unter diesen Umständen richtet sich der Blick der kritischen Beobachter in zwei Richtungen: "Was macht die EU-Kommission?" fragen die einen. "Worauf wartet die Europäische Volkspartei noch?", wundern sich die anderen. Beide können Konkretes tun. Beide warten zu lange ab.

    Die Europäische Kommission muss die ungarische Regierung in einem Eilverfahren wegen Verletzung des EU-Vertrages vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Eine Grundlage dafür liefern Artikel 6 und Artikel 12 des Vertrages. Ersterer bindet die Mitgliedstaaten an Grundrechte, der zweite schreibt vor, dass demokratische Parlamente für die Umsetzung des EU-Rechts unentbehrlich sind. Ist die Macht der Parlamente de facto abgeschafft, betrifft das die Umsetzung des EU-Vertrags und muss verhindert werden.

    Die EVP muss Orbáns Partei ausschließen

    Was die Europäische Volkspartei (EVP) tun soll, ist eindeutig: Die Partei des Ministerpräsidenten Orbán, die den Abbau der Demokratie im Lande seit Jahren vorantreibt und die Entscheidung der letzten Woche voll mitgetragen hat, muss ausgeschlossen werden. Im Statut der EVP steht klar und deutlich, was das Ziel dieses Verbundes sei: eine gemeinsame Plattform für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte. Mit Orbán als Mitglied sind solche Bekenntnisse der Konservativen Schall und Rauch.

    Das Thema ist nicht neu: Kurz vor der Europawahl hat die EVP die Mitgliedschaft der Fidesz-Partei suspendiert. Was das genau bedeutet, kann bis heute kaum jemand nachvollziehen, denn nach der Europawahl haben die Fidesz-Abgeordneten ihre Plätze im Europaparlament ganz selbstverständlich und gleichberechtigt auf den Bänken der EVP-Fraktion eingenommen. Der ehemalige ungarische Justizminister Laszlo Trocsany arbeitet neben den CDU- und CSU-Kolleginnen und Kollegen genauso mit wie der "Vater" der hoch problematischen neuen ungarischen Verfassung, Josef Szajer. Menschen wie diese sind persönlich für den Abbau der Demokratie in Ungarn verantwortlich. In Brüssel bleiben sie weiterhin Fraktionsfreunde der CDU/CSU. Und Orbán war lange Jahre ein politischer Weggefährte der bayerischen Ministerpräsidenten.

    Von der Leyen zurückhaltend, Söder macht EU-Kommission verantwortlich

    Es ist mehr als verwunderlich, wie zurückhaltend EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich gegenüber dem Regime in Budapest äußert. Noch empörender ist aber, wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sich nach Jahren unterstützender Rhetorik für Orbán gerade in einem Interview einen schlanken Fuß macht und den Schwarzen Peter alleine der EU-Kommission zuschiebt. Nicht die Kommission, sondern er selbst muss Verantwortung übernehmen und seine lange Unterstützungstaktik für Orbán aufgeben, auch und gerade innerhalb der EVP. Die Kommission muss das ihrige tun, die CDU/CSU aber ebenso.

    Zur Person: Dr. Sergey Lagodinsky (Die Grünen/EFA) ist stellvertretender Vorsitzender im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments.

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