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Großbritannien: Boris Johnson will Gerichtsurteil zu Zwangspause respektieren

Großbritannien

Boris Johnson will Gerichtsurteil zu Zwangspause respektieren

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    Großbritanniens Premierminister Boris Johnson darf sein Parlament doch nicht in eine Zwangspause schicken.
    Großbritanniens Premierminister Boris Johnson darf sein Parlament doch nicht in eine Zwangspause schicken. Foto: Christopher Furlong/PA Wire, dpa

    Es war diese große Spinnenbrosche auf der rechten Schulter von Lady Brenda Hale, die zunächst in den sozialen Medien alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Nichts hingegen wies darauf hin, dass die Vorsitzende des höchsten Gerichts des Vereinigten Königreichs gleich Geschichte schreiben würde. Bis sie mit gewohnt ruhiger Stimme und völlig unaufgeregt jenes Urteil verlas, das auf der Insel einem politischen Erdbeben gleichkommt und das Land noch lange beschäftigen wird: Die von Premierminister Boris Johnson erzwungene Suspendierung des Parlaments ist rechtswidrig.

    Für „null und nichtig“ befanden die Richter einstimmig die auf fünf Wochen anberaumte Zwangspause. Diese hindere die Abgeordneten in „extremer“ Weise an der Ausübung ihres verfassungsmäßigen Auftrags, erklärte die 74-jährige Juristin. Das Parlament habe jedoch ein Recht darauf, in der Zeit vor einem wichtigen Ereignis wie dem geplanten Austritt aus der EU am 31. Oktober eine Stimme zu haben. Die sogenannte Prorogation wurde mit sofortiger Wirkung aufgehoben, dementsprechend verkündete Unterhaussprecher John Bercow, dass die Abgeordneten bereits am Mittwoch wieder Platz auf ihren grünen Sitzen im Westminster-Palast nehmen werden. „Die Bürger dürfen erwarten, dass das Parlament sein Kerngeschäft ausübt; dass es die Exekutive kontrolliert, dass es die Minister überprüft“, so Bercow. Eigentlich sollte die Pause bis zum 14. Oktober dauern.

    Boris Johnson betont: "Wir werden weitermachen und es schaffen"

    Es handelt sich um einen beispiellosen Fall, „den es wahrscheinlich auch nie wieder geben wird“, sagte Lady Hale. Tatsächlich verwiesen Beobachter auf die Tragweite der Entscheidung. Neben Vertretern der Schottischen Nationalpartei forderte auch der Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, den Regierungschef zum sofortigen Rücktritt auf.

    Während sich Westminster in Aufruhr befand, weilte Johnson bei der Uno-Generalversammlung in New York und ließ sich Zeit mit einer Reaktion auf die vernichtende Niederlage. Am Nachmittag erklärte er dann, dass das Urteil respektiert werden müsse, auch wenn er „vollkommen“ anderer Meinung sei. Johnson habe den „größten Respekt für unsere Gerichtsbarkeit“, sagte er, nicht ohne eine Spitze gegen seine Kritiker hinzuzufügen. Ohne Zweifel gebe es eine Menge Leute, die den Brexit verhindern wollen, sagte er. Abermals pochte der europaskeptische Hardliner darauf, das Land am 31. Oktober aus der EU führen zu wollen. Es ist sein Mantra geworden. Derweil sei es „mit diesem Zeug, das im Parlament und in den Gerichten passiert“ nun schwieriger geworden, einen Deal mit Brüssel zu erzielen. „Aber wir werden weitermachen und es schaffen.“ Die EU-Kommission wollte das Urteil des britischen Supreme Court nicht kommentieren. Es handele sich um interne verfassungsrechtliche Fragen eines Mitgliedstaats, zu denen man keine Stellung nehme.

    Boris Johnson will EU nicht um Brexit-Aufschub bitten

    Der Konservative Boris Johnson droht mit einer ungeregelten Scheidung ohne Abkommen, sollte sich die EU nicht auf seine Forderungen nach Änderungen am Deal einlassen. Zwar hatte das Parlament kurz vor der Pause im Eiltempo ein Gesetz durchgepeitscht, das den Premier zwingt, in Brüssel eine Verlängerung der Austrittsfrist zu beantragen, sollte nicht bis zum 19. Oktober ein Vertrag ratifiziert sein. Johnson hat jedoch versichert, unter keinen Umständen bei der EU um einen Aufschub bitten zu wollen. Wie sieht also seine Strategie aus? Schickt er das Parlament einfach ein weiteres Mal in den Zwangsurlaub, wie viele mutmaßen? Das Urteil des Supreme Courts würde ihn bei solch einem Schritt nicht stoppen und auch Johnson selbst hat diese Option nicht ausgeschlossen. Dagegen wies er Rücktrittsforderungen bereits vor seiner Abreise nach New York zurück. Johnson schielt vielmehr auf Neuwahlen. Er steht jedoch unter massivem Druck, denn es hagelte keineswegs nur Kritik von der Opposition.

    Der bekannte Kolumnist Piers Morgan monierte via Twitter, Johnson habe durch sein Vorgehen die Queen zur „unwissentlichen Komplizin eines Verbrechens“ gemacht. Die zur Neutralität verpflichtete Monarchin hatte als Staatsoberhaupt die Suspendierung auf den Rat des Premiers hin abgesegnet.

    Im Prinzip bleiben Johnson jetzt nur zwei Optionen: entweder doch noch rechtzeitig einen Deal mit der EU zu schließen und diesen durchs Parlament zu bringen, oder per Rücktritt oder Misstrauensvotum aus dem Amt zu scheiden und damit früher oder später eine Neuwahl herbeizuführen. Das Problem ist, dass beides mit großen Risiken für den Premier verbunden ist. Für ein Brexit-Abkommen muss er Zugeständnisse an Brüssel machen. Bei einem Rücktritt könnte Labour-Chef Jeremy Corbyn mit Duldung der anderen Oppositionsparteien und der von Johnson geschassten Tory-Rebellen das Ruder übernehmen und Neuwahlen verhindern.

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