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Großbritannien: Wahlkampf via Königin? Queen verliest Johnsons Regierungserklärung

Großbritannien

Wahlkampf via Königin? Queen verliest Johnsons Regierungserklärung

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    Die Queen wirkte ernst, als sie die Regierungserklärung von Premierminister Boris Johnson vor den Parlamentariern beider Kammern im Oberhaus verlas.
    Die Queen wirkte ernst, als sie die Regierungserklärung von Premierminister Boris Johnson vor den Parlamentariern beider Kammern im Oberhaus verlas. Foto: Tolga Akmen/Press Association, dpa

    Es gehört zum Höhepunkt des politischen Kalenders im traditionsverliebten Großbritannien, wenn Königin Elizabeth II. auf dem mit Gold verziertem Thron die Regierungserklärung verliest. Kein Akt symbolisiert den Kontrast zwischen Tradition und Moderne besser als dieses Ritual, das streng nach Protokoll verläuft und sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts kaum verändert hat. Doch trotz Pomp, Kutsche, Zeremoniell, Glanz und Hermelin, trotz der Tatsache, dass die Monarchin bereits zum 65. Mal seit ihrer Krönung das Parlament nach der Pause eröffnete – dieses Mal war alles anders.

    Das Land steckt in der größten Krise der Nachkriegsgeschichte und ist nur knapp zwei Wochen vom offiziellen Brexit-Termin am 31. Oktober entfernt. Als „surreal“ bezeichnete deshalb ein Kommentator die Queen’s Speech, in der die Agenda für die Amtszeit von Premierminister Boris Johnson ausgebreitet wurde. Denn: Die Konservativen verfügen über keine Mehrheit im Parlament, Neuwahlen in den nächsten Wochen gelten als wahrscheinlich. Warum also Pläne für eine Verschärfung der Kriminalitätsbekämpfung oder für ein neues Einwanderungsgesetz ausführen?

    Kritiker monierten, Johnson habe die zur Neutralität verpflichtete Monarchin zur „Propaganda-Maschine“ für eigene Zwecke gemacht. Die Ankündigungen wie die, mehr Geld ins Gesundheitssystem investieren zu wollen, seien nichts als ein „Wahlkampf-Gag“, schimpfte ein Parlamentarier der Labour-Partei. Oppositionschef Jeremy Corbyn unterstellte dem Premier bereits vorab, die Ansprache als „parteipolitischen Rundfunk“ missbrauchen zu wollen. Seinen Gegnern zufolge nutzte der Regierungschef den Prunk des Königshauses und das prominente Sprachrohr als Unterstützung im Wahlkampf für die Tories. Und der zielt bereits seit Wochen auf die Umsetzung des Brexit – „komme, was wolle“.

    Queen wird in politische Streitereien gezerrt

    Nun wird zum Unmut vieler Beobachter sogar die Königin in die politischen Streitereien gezerrt. Die Priorität der Regierung sei es stets gewesen, das Vereinigte Königreich am 31. Oktober aus der EU zu führen, trug die Queen dann auch auf Geheiß von Downing Street gleich zu Beginn vor. Johnson hält an dem Datum fest, auch wenn die Abgeordneten vor einigen Wochen ein Gesetz verabschiedet haben, nach dem der Premier in Brüssel um eine Fristverlängerung bitten muss, sollten sich die beiden Seiten diese Woche nicht auf einen Deal einigen können. Das aber schloss der europaskeptische Hardliner wiederholt aus, verwies lieber mantrahaft darauf, dass auch er ein Abkommen und damit eine geordnete Scheidung wünscht.

    Und so hat, wieder einmal, eine entscheidende Woche in der Brexit-Saga hat begonnen. Vielleicht ist es sogar die alles entscheidende Woche. Noch wird hinter verschlossenen Türen verhandelt, nachdem nach einem Treffen zwischen Johnson und dem irischen Premier Leo Varadkar am vergangenen Donnerstag wieder Bewegung in die gestockten Gespräche gekommen war. Überraschend für viele Beobachter zeigte sich London kompromissbereiter als zuvor bei der Frage, wie künftig Zollkontrollen zwischen der Republik Irland und der Provinz Nordirland vermieden werden können.

    Einigen sich die Briten und die EU27 beim am Donnerstag beginnenden Gipfel in Brüssel doch noch auf einen Vertrag? Selbst wenn es zu einem Durchbruch kommt, bleibt für Johnson die größte Hürde das britische Parlament. Am „Super-Samstag“, wie die Medien den kommenden Samstag tauften, wird es während der Sondersitzung wohl zum Showdown kommen. Der Großteil der Opposition fordert ein Referendum, bei dem die Bevölkerung die Wahl zwischen dem von der Regierung vorgelegten Deal und dem Verbleib in der EU erhalten soll. Bekommt der Premier seinen vereinbarten Deal nicht durchs Unterhaus, muss er eigentlich um einen Aufschub der Frist bitten. „Ein Abkommen ist möglich, es ist diesen Monat möglich oder sogar diese Woche“, sagte gestern der irische Außenminister Simon Coveney betont optimistisch, um dann einzuschränken, dass man noch Arbeit vor sich habe, es noch nicht geschafft habe.

    Streitpunkt Backstop: Sorge vor Unruhen in Nordirland

    Im Mittelpunkt des Streits steht die künftige Grenze auf der irischen Insel. Weil die Brextremisten den sogenannten Backstop, die Garantieklausel für eine unbefestigte Grenze, als Falle der EU betrachten und ihn strikt ablehnen, hat London neue Vorschläge auf den Tisch gebracht. Details dazu gibt es zwar noch nicht. Aber die Anzeichen mehren sich, dass Nordirland eine Zollpartnerschaft mit der EU eingehen könnte.

    In den Fluren von Westminster heißt es, Johnson treibe nun doch die Sorge vor neu aufkeimenden Unruhen in Nordirland um, die bei einem ungeregelten No-Deal-Brexit befürchtet werden. Dabei ist der Widerstand der nordirischen Unionistenpartei DUP massiv, auf deren Stimmen die Regierung angewiesen ist. Doch vermutlich ist das gerade noch das kleinste Problem von Boris Johnson.

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