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Hauptstadt-Flughafen: Berliner Flughafen-Baustelle: Einer lächelt das Debakel weg

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Berliner Flughafen-Baustelle: Einer lächelt das Debakel weg

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    Mit Tempo 100 rauscht der Bus über die Autobahnausfahrt auf die Schönfelder Allee in Richtung Flughafen. Es regnet und der Wind presst die dicken Tropfen in lang gezogenen Bahnen gegen die Fenster. „Na, dit is ja wieder ’n Wetter“, knurrt der Busfahrer und drückt noch einmal aufs Gas. Rollfelder ziehen vorbei. Wiesen und leer stehende Häuser. Am Willy-Brandt-Platz, dem Zentrum des neuen Hauptstadtflughafens, ist Stopp. Wer hierherkommt, kann sich ein Bild von Berlins größter Baustelle machen – von halb fertigen Gebäuden, falschen Versprechungen und geplatzten Träumen. Oder er kann sich den Zahnstein entfernen lassen.

    Zahnarztpraxis auf der Baustelle eröffnet

    Denn im Gegensatz zum Flughafen selbst läuft in der Praxis von Hans-Joachim Schönberg und seiner Frau Constanze der Betrieb bereits. Dort, wo Bauzäune den Eingang zum Terminal versperren und Neonleuchten die leeren Gerippe achtgeschossiger Parkhäuser beleuchten, hat das Ehepaar im Juni 2012 eine Zahnarztpraxis eröffnet. 280 Quadratmeter mit hohen Decken und dunkelbraunem Parkett. Die Räume sind hell und freundlich.

    Auf einem Tischchen liegt eine Ausgabe von „BER aktuell“, in der das Potenzial des Flughafenumfelds als Tourismusmagnet angepriesen wird. Darunter die Konterfeis der Schönbergs, freundlich lächelnd. „Keep Smiling.“ steht in Großbuchstaben neben ihren Köpfen – „immer weiterlächeln“.

    Dass sich die Schönbergs das mit ihrer Praxis am Flughafen anders vorgestellt hatten, ist offensichtlich. „Natürlich war es nicht geplant, die Praxis auf einer Baustelle zu eröffnen“, sagt Schönberg, der jetzt in einen weißen Ledersessel versinkt.

    Doch damals, im Juni 2012, bei Eröffnung der Praxis, sei auch die Eröffnung des Flughafens in greifbarer Nähe gewesen. 600000 Euro investierten die Schönbergs in moderne Möbel und neueste Technik. Sie hofften. Und wurden dann, wie so viele, die auf den neuen Flughafen setzten, enttäuscht. „Drei oder vier Wochen vor der geplanten Eröffnung haben wir erfahren, dass es keine Eröffnung geben wird.“ Der Ausbau des Airport-Centers wurde vorerst gestoppt. „Aber da waren die Kaufverträge für

    Lang hätten sie damals zusammengesessen und diskutiert, wie es weitergehen sollte, erinnert sich Schönberg. Aufgeben oder weitermachen? „Irgendwann haben wir dann beschlossen: Wir ziehen das jetzt durch.“ Andere Ärzte, auch der Gesundheitskonzern Vivantes, sagten wieder ab.

    Nur die Schönbergs zogen, bei vergünstigter Miete, ein. „Schließlich hatten wir noch immer vor Augen: Hier werden einmal 25000 bis 45000 Menschen arbeiten.“ So viele potenzielle Patienten wie in einer Kleinstadt. „Die Menschen gehen entweder an ihren Wohnorten zum Zahnarzt oder dort, wo sie arbeiten“, sagt Schönberg.

    Unfertiger Flughafen verschlingt monatlich 37 Millionen Euro

    Wie die Schönbergs haben sich das auch viele andere Unternehmer, Dienstleister und Einzelhändler vorgestellt, die in das Flughafenprojekt BER investierten und teils sechsstellige Kredite aufgenommen haben. Doch nur wenige sehen die Situation noch so gelassen wie die beiden Zahnärzte. Für viele kam nach der geplatzten Eröffnung das Aus. Restaurants, Einzelhandel – allein im Terminal hätten 150 Geschäftsflächen bewirtschaftet werden sollen, sagt Flughafensprecher Ralf Kunkel. Dazu etliche Gebäude ringsum: Der Hauptstadtflughafen sollte ein Top-Wirtschaftsstandort werden.

    Und jetzt das: Kabelschächte quellen über, Rolltreppen sind zu kurz, Räume stehen leer. Nach Informationen des BER verschlingt allein die nackte Existenz des Flughafens monatlich rund 37 Millionen Euro.

    Erst am Jahresende will Flughafenchef Hartmut Mehdorn einen neuen, verbindlichen Eröffnungstermin nennen. Ein Start vor 2016 gilt bereits als unwahrscheinlich.

    An einigen Stellen wird die Dimension des Debakels besonders deutlich: Nicht weit von den Schönbergs entfernt, ist seit fast zwei Jahren ein Vier-Sterne-Hotel fertig gebaut. Die Steigenberger Gruppe nennt ihr Prestigehaus am künftigen Hauptstadtflughafen schlicht Airport-Hotel. 307 Zimmer und 15 Suiten – alles komplett eingerichtet, alles startklar. „Das Hotel vor der Eröffnung des Flughafens in Betrieb zu nehmen, würde natürlich keinen Sinn machen“, sagt ein Unternehmenssprecher. Also warte man ab. Eine Firma kümmere sich derweil um das Hotel: Die Zimmer werden gelüftet, Teppiche und Böden sauber gemacht, regelmäßig auch die Wasserhähne bedient und die Spülungen betätigt – „damit nichts kaputt geht oder einrostet“.

    Ein Stockwerk tiefer betreibt die Bahn einen ähnlichen Aufwand. Hier fährt etwa zehnmal pro Tag ein Zug sprichwörtlich ins Nirgendwo. Damit die neu gebaute S-Bahn-Strecke unter dem neuen BER-Terminal nicht anfängt zu schimmeln, wird sie täglich mit einem leeren Zug befahren. Rund zwei Millionen Euro setzt die Bahn auf diese Weise monatlich in den Sand. Die Rechnung will sie später dem Flughafen präsentieren.

    Unternehmer mussten aufgeben

    Auch Karsten Schulze würde das gerne – seine Kosten den Verantwortlichen des BER-Fiaskos auf den Tisch legen. Der Berliner wollte einen Shuttleservice vom Rathaus Steglitz im Südwesten Berlins zum Flughafen anbieten. Sechs Busfahrer und eine Buchhalterin hatte er dafür angestellt und neue Busse gekauft. „Insgesamt 800000 Euro habe ich investiert – Geld, das ich mir hätte sparen können“, sagt er.

    Im vergangenen Herbst gab Schulze auf. Seine Busse hat er inzwischen für einen niedrigeren Preis wieder verkauft, die sieben neu eingestellten Mitarbeiter schweren Herzens entlassen. Seine Verluste durch die um Jahre verschobene Eröffnung schätzt Schulze auf rund 250000 Euro. Große Hoffnungen, dieses Geld jemals wiederzubekommen, hat er nicht. „Bislang haben wir keine Aussichten auf eine Kompensation.“

    Sammelklage wird vorbereitet

    Wir, damit meint Schulze eine Gruppe geschädigter Unternehmer, die gerade dabei seien, eine Sammelklage vorzubereiten. Doch man warte erst noch das Ergebnis der Klage der Air Berlin gegen den Flughafenbetreiber ab. Denn es sei zu befürchten, dass der Flughafen, um einen Präzedenzfall zu vermeiden, durch alle Instanzen gehen wird. Bis zu zehn Jahre könnte ein solcher Prozess dauern.

    In einer glücklicheren Lage sind die Schönbergs. „Uns ist es mittlerweile egal, wann dieser Flughafen in Betrieb geht“, sagt der Zahnarzt. Die Praxis solle weiterlaufen, mit den ersten Jahren sei man zufrieden. Etwa 400 Patienten stehen in der Kartei – vorwiegend Wachleute, Bauarbeiter oder Menschen aus dem Berliner Speckgürtel. Ein paar Fluggesellschaften haben Mitarbeiter geschickt, die nun wie die Schönbergs im Airport-Center arbeiten

    Schönberg räumt allerdings ein: „Wir können uns das Experiment nur leisten, weil wir anderswo unser Geld verdienen“, in anderen etablierten Gemeinschaftspraxen in Berlin, an denen sie beteiligt sind.

    Mit der Airport-Praxis am BER haben sie sich dennoch einen Traum erfüllt. In den Fluren hängen Zeichnungen von Flugzeugen und goldgerahmte Anflugskizzen. Alles ist schick, alles topmodern. Es gibt keinen Patientenstopp und keine Wartezeiten. „Wer bei uns anruft, bekommt in den nächsten zehn Minuten einen Termin“, verspricht Schönberg.

    Kurze Zeit später peitscht wieder der Wind über das verlassene Areal des neuen Hauptstadtflughafens. Es regnet und ein Bus ist gerade nicht in Sicht. Eine Werbetafel zeigt überlebensgroß die Schönbergs. „Keep Smiling.“ steht in Großbuchstaben darauf. „Immer weiterlächeln.“

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