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Hintergrund: Ergeht es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wie einst Andrea Nahles?

Hintergrund

Ergeht es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wie einst Andrea Nahles?

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    Es läuft nicht rund für Rolf Mützenich. Nach einem soliden Start als SPD-Fraktionschef geriet der 60-Jährige zuletzt mit einer unglücklichen Personalentscheidung in die Schlagzeilen. Auch in der Corona-Krise konnte er kaum Akzente setzen.
    Es läuft nicht rund für Rolf Mützenich. Nach einem soliden Start als SPD-Fraktionschef geriet der 60-Jährige zuletzt mit einer unglücklichen Personalentscheidung in die Schlagzeilen. Auch in der Corona-Krise konnte er kaum Akzente setzen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Während des parlamentarischen Betriebs gibt es dienstags in Berlin immer das gleiche Ritual: Vor Beginn der Fraktionssitzungen stellen sich die jeweiligen Vorsitzenden der Presse. Mit unterschiedlichem Temperament. Während Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus meist froh wirkt, wenn er der Journalistenmeute den Rücken kehren kann, fordert sein Amtskollege von der SPD die Diskussion ein. Rolf Mützenich geht trotz Termindrucks erst, wenn alle Fragen beantwortet sind. Diese Ruhe, diese Erdverbundenheit, gepaart mit einem umfangreichen politischen Detailwissen, hat dem Sozialdemokraten in der Vergangenheit viel Respekt eingetragen. Doch die Lage ändert sich gerade. Mützenich droht den Weg von Andrea Nahles zu gehen.

    Eigentlich hat Mützenich nur das getan, was ihm als Politiker und Fraktionsvorsitzendem zusteht. Der in Köln geborene Sohn eines Maschinenschlossers hat zum einen seine Meinung geäußert und sich dafür ausgesprochen, die technische nukleare Teilhabe nicht weiter zu verlängern und die in Büchel lagernden taktischen US-Nuklearwaffen nicht durch neue atomare Sprengköpfe zu ersetzen. Zweitens hat Mützenich als Fraktionschef entschieden, dass seine Parteifreundin Eva Högl neue Wehrbeauftragte werden soll. Er votierte damit gegen Amtsinhaber Hans-Peter Bartels und Bewerber Johannes Kahrs. Beide reagierten extrem beleidigt, Kahrs schmiss gar hin.

    Wieder enden die SPD-Genossen nicht mit-, sondern übereinander

    Bei den Genossen weckten Mützenichs Entscheidungen sofort die alte Rauflust, die unter ihm eigentlich schon eingedämmt schien. Zwar wurden an sich gute Argumente ausgetauscht. Außenminister Heiko Maas etwa wies auf die transatlantischen Verpflichtungen insgesamt hin und darauf, dass man die Teilhabe nicht losgelöst betrachten könne. Aber man redete wie so oft in der Vergangenheit nicht mit-, sondern übereinander. Nach außen hin entstand der Eindruck einer wieder einmal zerstrittenen Partei.

    In einer Forsa-Umfrage vom Wochenende rutschte die SPD dann auch um zwei Prozentpunkte auf 15 Prozent ab. Hatte der zarte Aufschwung der letzten Wochen bei den Sozialdemokraten noch die Hoffnung geweckt, dass in den Umfragen eine 20 plus X erscheinen könnte, kehrt nun Ernüchterung ein. Die SPD muss sich der Grünen erwehren, selbst die zuletzt weit abgeschlagene AfD gerät auf einmal wieder in Schlagdistanz.

    Andrea Nahles war ähnlich solide gestartet, doch interne Querelen zermürbten sie

    Mützenich hätte es ahnen können. Schließlich ist er vor allem deshalb seit September letzten Jahres Fraktionschef, weil seine Vorgängerin Andrea Nahles völlig entnervt den Posten räumte. Nahles war ähnlich gestartet wie Mützenich. Die Mitglieder verbanden mit der Partei- und Fraktionsvorsitzenden die Erwartung, dass sich die SPD wieder ihren Wurzeln zuwendet, wieder ein bisschen mehr Arbeiterpartei als wohlfeile Partei der Mitte wird. Bloß Zeit bekam Nahles dafür nicht, am Ende schmiss sie hin, zermürbt von den internen Querelen.

    Falls die Parteilinke die Hoffnung hatte, der von früher Jugend an sozialdemokratisch geprägte Mützenich werde als einer der Ihren nun durchstarten und seinen Führungsanspruch formulieren, wird sie enttäuscht werden. Die pazifistische Stoßrichtung bei der Verteidigungspolitik und die Volte gegen Kahrs – dem Anführer des rechten, im Seeheimer Kreis versammelten SPD-Flügels – waren durchaus dazu angetan, diese Erwartung zu wecken. Doch auf den Tisch zu hauen ist Mützenichs Sache offenbar nicht. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verwahrte er sich gegen den Eindruck, es bestehe ein gewollter Zusammenhang zwischen beiden Themen.

    Wie damals Nahles gerät nun auch Mützenich immer stärker unter Druck. Dem 60-jährigen SPD-Recken, sein Parteibuch datiert von 1975, wird vor allem in der Corona-Krise Führungsschwäche vorgeworfen. Es fehle ein klares Konzept, sagt einer aus dem Lager von Finanzminister Olaf Scholz, dessen Leute gerade ziemlich auf dem Baum sind. Denn der Vizekanzler liegt mit sehr guten persönlichen Umfragewerten laut ARD-Deutschlandtrend zwar auf Platz zwei hinter Kanzlerin Angela Merkel. Er will und könnte Spitzenkandidat werden. Die SPD jedoch hechelt dem nur hinterher. Was eben auch an Mützenich liegt, der zudem von der seit Amtsantritt blassen Doppelspitze der Partei kaum unterstützt wird.

    Hubertus Heil hat gezeigt, dass man in der Virus-Krise Pluspunkte sammeln kann

    Während die Union von Corona profitiert und auf 40 Prozent entflogen ist, fällt Mützenich nichts ein. Ein Aufruf der SPD-Fraktion zum generellen Verzicht auf Dividendenzahlungen ließ zwar aufhorchen. Doch den Worten folgten keine Taten, die meisten großen Konzerne wollen ungeniert auszahlen. Dass bei solchen Themen etwas geht, kann sich Mützenich beim Arbeitsminister abgucken. Hubertus Heil legte, offenbar im Zusammenhang mit der Stärkung des Kurzarbeitergeldes, um satte 16 Punkte zu und katapultierte sich damit in der Beliebtheitsskala auf Platz sechs.

    Der Druck auf den Fraktionschef wird zunehmen. Aus der Partei, aber auch aus der Fraktion. In ein paar Wochen beginnt die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl. Sinkende Umfragewerte bedeuten jedoch auch sinkende Chancen für den Wiedereinzug ins Parlament. Mützenichs Ruhe und Erdverbundenheit könnten bald nicht mehr ausreichen, die steigende Nervosität im Zaum zu halten.

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