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Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa, AZ-Infografik
Foto: Waltraud Grubitzsch, dpa, AZ-Infografik

Frauen sind Männern untergeordnet. So steht es auch in der Bibel. Hier das Gemälde "Adam und Eva" von Lucas Cranach dem Älteren.

Häusliche Gewalt
05.03.2021

Historikerin im Interview: Darum waren Männer und Frauen nie gleichberechtigt

Von Christina Heller-Beschnitt

Plus Die Geschichtsprofessorin Maren Lorenz erklärt, wie sich Ungleichbehandlung von Männern und Frauen durch die Geschichte zieht. Und warum sie bis heute andauert.

Frau Lorenz, Expertinnen, die sich mit dem Thema häusliche Gewalt befassen, sagen: Damit es keine häusliche Gewalt mehr gibt, müssen Männer und Frauen gleichgestellt sein. Ein Blick in die Geschichte zeigt aber: Männer und Frauen waren eigentlich noch nie gleichberechtigt. Wie kommt das?

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Maren Lorenz: Das stimmt. Das lässt sich zum Beispiel an alten Gesetzestexten erkennen. Sie legen für verschiedene Vergehen Strafen fest. Unter anderem dafür, wie viel jemand, in der Regel ein Mann als Familien- oder Haushaltsvorstand, bezahlen muss, wenn er einer Frau, einem Sklaven oder einem Knecht Schaden zufügt. In allen Rechtsvorschriften – auch in denen im Alten Testament – fällt auf: Werden Frauen oder Mädchen verletzt oder getötet, kostet das weniger als bei Männern oder Jungen. Allein schon daraus lässt sich ableiten, dass Frauen als weniger wert galten als Männer. Der Sinn [dieser Gesetze] war, Blutfehden zwischen Stämmen zu verhindern. Statt eine Tat mit einer gleichen Tat zu vergelten, gab es festgesetzten Schadensersatz in Geld- oder Sachwerten. Das älteste bekannte Beispiel ist der Codex Hammurapi. Er stammt aus dem 18. Jahrhundert vor Christus und entstand in Babylon. Teile davon haben später Eingang ins Alte Testament gefunden, wurden also von den monotheistischen Religionen übernommen. Aber auch wer Sklaven oder Knechte verletzte, musste weniger zahlen. Es gab also nicht nur Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, sondern auch gegenüber anderen Gruppen. Das ist typisch für Ständegesellschaften, die meist gleichzeitig patriarchale Gesellschaften sind, teilweise bis heute.

Lässt sich mit diesen patriarchalen Strukturen das historische Recht eines Mannes, seine Frau zu schlagen, begründen?

Lorenz: Nicht nur "ihre" Frauen, das reicht viel weiter. Es galt in allen monotheistischen Gesellschaften bis weit ins 20. Jahrhundert hinein das sogenannte Hausvaterrecht. Das heißt: Jeder Haushalt hatte einen Vorstand als Rechtsvertreter nach außen – den Hausvater. Dieser hatte das Recht, alle Mitglieder seiner Familie zu züchtigen. Der Familienbegriff war weit gefasst. Es fielen nicht nur Frau und Kinder darunter, sondern auch unverheiratete Geschwister, Knechte und Mägde oder Sklaven. Verstießen sie gegen Anweisungen, durfte der Hausvater sie züchtigen. Allerdings hatten in der Frühen Neuzeit, also vom 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts in Europa meist auch die Hausmütter dieses Züchtigungsrecht gegenüber den anderen Haushaltsmitgliedern. Aber eben nicht gegenüber ihrem Ehemann. Den Kindern wurde überall vorgelebt, dass Gewaltanwendung "normal" ist, dass Ehemänner schlagen dürfen und dass Frauen und alle Haushaltsmitglieder das hinnehmen müssen.

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Foto: Ruhr-Universität-Bochum
Foto: Ruhr-Universität-Bochum

Maren Lorenz ist Professorin für Geschichte an der Ruhr-Universität-Bochum und forscht zur Frühen Neuzeit und der Geschichte der Geschlechter.

 

Hatte die Gewalt denn Grenzen?

Lorenz: Die christlichen Kirchen und auch die Schriftgelehrten im Islam und Judentum predigten "maßvollen" Einsatz von Gewalt. Es sollte Verhaltensänderung erwirkt werden, Gewalt galt als legitimes und effektives Mittel zur Erziehung, auch in den Schulen. Ein Bauer oder Handwerker durfte seine Knechte, Mägde, Lehrlinge, Gesellen, Kinder oder Frau aber nicht so schwer verletzen, dass sie starben oder eine lebenslange Behinderung davontrugen. Es gab auch durchaus Frauen, die vor Gericht klagten oder die vor "übermäßiger" Gewalt zu ihren Eltern flohen. Schon im Codex Hammurapi war geregelt, dass eine Frau von einem misshandelnden Ehemann die Scheidung verlangen und in ihr Elternhaus zurückkehren durfte. Das galt auch später in Europa im Judentum und Christentum. Nur teilten Eltern oder Geschwister oft die Normen und schickten, ob nun aus ökonomischen Gründen oder aus Überzeugung, die Frauen zurück und forderten sie auf, sich zu unterwerfen und etwa keine Widerworte mehr zu geben.

Gab es denn eine Handhabe gegen einen Mann, der zu gewalttätig war?

Lorenz: Gegen einen Mann, der seine Frau ständig verprügelte, konnte durchaus Anzeige erstattet werden, wenn er etwa durch häufige Trunkenheit oder schlechte Haushaltsführung auch sonst öffentlich zeigte, dass er seiner Rolle als verantwortungsvoller Hausvater nicht nachkam. In solchen Fällen entschieden meist Kirchen- oder Territorialgerichte, dass ein Mann sein Hausvaterrecht überstrapaziert hatte und Frauen wurde, wenn nicht die Scheidung - was im Katholizismus ja nicht möglich ist - immerhin die sogenannte "Trennung von Tisch und Bett" zuerkannt. Frauen erhielten dann auch ihre Aussteuer oder sonstiges Erbteil zurück, durften aber nicht wieder heiraten.

Wann schritten Gerichte ein?

Lorenz: Es kam dabei immer auf die Frage an, welche Formen von Gewalt von der Umgebung sozial akzeptiert wurden und wo etwa Nachbarn, Pfarrer oder Verwandte einschritten. Physische Gewalt musste als Strafe oder Disziplinarmaßnahme "angemessen" sein. Willkür, Sadismus oder eben notorische Trinkerei galten als nicht akzeptabel, weil sie Unruhe in die Gemeinschaft brachten oder sogar ökonomische Schäden nach sich zogen. Auf dem Papier gab es zwar auch bei uns im deutschsprachigen Raum schon immer Gesetze, die Gewalt möglichst genau regelten, aber ob entsprechend geurteilt wurde, ist wie auch heute eine andere, oft eine Ermessensfrage.

Es gab ja auch früher Herrscherinnen. Königin Elisabeth I. in England zum Beispiel, Katharina die Große in Russland oder Maria Theresia in Österreich. Haben diese Frauen denn nichts für die Gleichberechtigung oder das Ansehen von Frauen in der Gesellschaft getan?

Lorenz: Nein, denn sie identifizierten sich primär nicht als Frauen, sondern als Mitglied ihrer Herrscherfamilie. Viele adelige Zeitgenossen versuchten zwar, die Herrschaftsansprüche dieser Frauen zu bestreiten oder sie zu stürzen, mit biblischen oder physischen Argumenten: "Das sind doch schwache Frauen, die können gar nicht klug regieren, in Kriegen nicht in der ersten Reihe kämpfen." Diese Herrscherinnen mussten sich also selbst als von Gott eingesetzte Ausnahmen darstellen und von ihrem "mangelhaften" Körper ablenken. Elisabeth I., die sogenannte Virgin Queen, sprach zum Beispiel vor einer Schlacht zu ihren Truppen: "Ich habe den Körper einer schwachen Frau, aber das Herz eines Königs, des Königs von England." Sie versuchte die Virago, die heldisch-soldatische Jungfrau zu geben, ähnlich wie Jeanne D’Arc. Das war als Ausnahme in Kriegs- und Krisenzeiten total akzeptiert.

Und Kaiserin Maria Theresia?

Lorenz: Bei Maria Theresia war es ähnlich. Sie wurde nach dem Erbfolgekrieg und ihrer Heirat schnell als de facto Kaiserin akzeptiert, inszenierte sich als fürsorgliche Landesmutter und galt dabei als hart zu sich selbst und durchsetzungsstark. Sie sah sich als von Gott beauftragt, den katholischen Glauben als einzig wahre Religion und das Haus Habsburg zu beschützen und zu erhalten. Auch sie legte sehr viel Wert darauf, dass sie als König – nicht Königin – von Ungarn bezeichnet wurde, und man gestand ihr allgemein zu, wie ein kluger Mann zu regieren. Das zeigt: Auch diese Frauen und ihre Umgebung sahen das Patriarchat als natürliche Ordnung an. Es war nicht vorstellbar, dieses System in irgendeiner Weise zu ändern, weil es die Heilige Schrift ja so vorschrieb.

Was davon zieht sich denn bis heute durch?

Lorenz: Sehr vieles. Wir sprechen immer davon, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht sein darf. Und wir sehen uns natürlich selbst als aufgeklärte Gesellschaft. Was viele dabei vergessen: Auch bei uns war Gewalt in der Kindererziehung bis Ende der 1990er-Jahre noch nicht verboten. Genauso Vergewaltigung in der Ehe oder die gewaltsame Bestrafung der Tochter, die vielleicht unverheiratet Sex haben und schwanger werden könnte und damit die familiären Heiratspläne und Erbschaftregelungen torpediert. Die Gesetze, die wir gegen Gewalt gegen Kinder oder Frauen haben, sind noch brandneu. Deshalb verwehre ich mich dagegen, wenn etwa bei der Debatte um Migration behauptet wird, da kämen Menschen mit einem "unzivilisierten" Weltbild zu uns in eine aufgeklärte, gleichberechtigte Gesellschaft. Es stimmt, Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es in vielen Gesellschaften bis heute nicht. Aber bei uns eben auch noch nicht so lange, und es ist auch noch längst nicht in allen Köpfen angekommen. Dazu müssen immer wieder neu alte Muster überwunden werden, die vor allem über religiöse Vorstellungen tief verinnerlicht wurden und dann in der Moderne teilweise durch biologische Argumentation untermauert wurden. Sie beanspruchen ebenso absolute Gültigkeit, sind aber auch nur kulturelle Konstrukte für die Entschuldigung männlicher Aggressionen

Zur Person: Maren Lorenz ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit. Sie unterrichtet an der Ruhr-Universität Bochum und ist auf Geschlechtergeschichte spezialisiert.

Hier bekommen von Gewalt Betroffene Hilfe:

Bundesweites Hilfstelefon Gewalt gegen Frauen: 08000116016

Hilfetelefon Gewalt an Männern: 08001239900

Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: 116111

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