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Interview: Autor Köhlmeier sieht etwas "Niederträchtiges" in Ex-Kanzler Kurz

Interview

Autor Köhlmeier sieht etwas "Niederträchtiges" in Ex-Kanzler Kurz

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    „Ein bisserl was aushalten muss man schon. Auch wenn man frustriert ist“: Schriftsteller Michael Köhlmeier blickt kritisch auf Österreichs Politik.
    „Ein bisserl was aushalten muss man schon. Auch wenn man frustriert ist“: Schriftsteller Michael Köhlmeier blickt kritisch auf Österreichs Politik. Foto: Erwin Elsner, dpa

    Herr Köhlmeier, das Strache-Video zeigt FPÖ-Politiker, die den Rechtsstaat und die Pressefreiheit zur Disposition stellen. Haben Sie so etwas für möglich gehalten?

    Michael Köhlmeier: Ja, dass Strache und andere FPÖ-Politiker so denken, damit habe ich gerechnet.

    Angesichts der Ergebnisse der Europawahl – kaum Verluste für die FPÖ, die ÖVP als Gewinner – fragen wir uns: Wo bleibt die Erschütterung der Österreicher nach dem Strache-Skandal?

    Köhlmeier: Viele sehen das Ibiza-Video nicht als arg schlimm an. Und Strache und Gudenus sind ja sowieso aus dem Spiel genommen worden. Dem Ex-Kanzler Sebastian Kurz rechnet man die Auflösung der Koalition positiv an, nach dem Motto: Er hat die Reißleine gezogen.

    Welche Rolle spielt Kurz überhaupt?

    Köhlmeier: Ich kann ihn schwer einschätzen. Gewiss, er ist machtbewusst, erscheint aber nicht als besonders machtgeil. Er ist besonnen, weicht jeder Frage aus. Er weiß auch nicht viel. Wenn man ihn in Geschichte prüfen würde – es würde einen grausen. Manchmal sehe ich etwas Menschliches in Kurz – aber das ist meistens niederträchtig. Er lässt beispielsweise keine Gelegenheit aus anzudeuten, dass das Video irgendwie von der SPÖ initiiert worden ist. Längst ist die Frage entscheidender, wer das Video gemacht hat, als was darin gesagt wird.

    Der FPÖ wird es also gelingen, sich als Opfer der Affäre zu inszenieren?

    Köhlmeier: Ich fürchte fast. Strache hat ja gesagt, das sei ein politisches Attentat auf ihn.

    Warum erhält Kurz so viel Zuspruch?

    Köhlmeier: Er ist so unbeleckt. Wie eine weiße Wand. Wenn man ihn anschaut, könnte man meinen, das Schlimmste in seinem Leben ist, dass ihm der Radiergummi in die Kaffeetasse gefallen ist. Die Partei-Werbung macht ihn fast zu einem Messias. Ich habe mal ein Aha-Erlebnis gehabt: Bei einem Interview in der Wiener Hofburg war hinter ihm ein Bild des jungen Kaisers Franz Joseph – und ich dachte, die Gesichter sind völlig identisch.

    Die konservative ÖVP von Sebastian Kurz ging als klarer Sieger aus der EU-Wahl hervor.
    Die konservative ÖVP von Sebastian Kurz ging als klarer Sieger aus der EU-Wahl hervor. Foto: Hans Klaus Techt (dpa)

    Hat Kurz etwas Charismatisches?

    Köhlmeier: Das kann man so sagen. Ich habe aber Angst vor Charismatikern. In der Politik sind mir Leute wie Frau Merkel lieber. Einen vernünftigen Haushalt zu machen, das fände ich die angenehmste Politik. Aber damit holt man die Leute nicht hinter dem Ofen hervor – zumindest die Österreicher nicht.

    Warum hat Kurz überhaupt mit der FPÖ koaliert?

    Köhlmeier: Er hat sich gedacht: Die FPÖ kann keine Politik machen, ich regiere quasi allein. Es ist ja wahr: Sie können’s einfach nicht. Kurz hat in allen FPÖ-Ministerien seine Staatssekretäre platziert. Aber bei Innenminister Kickl hat er sich getäuscht, der lässt sich nicht bändigen.

    Wie wird es mit Österreich weitergehen? Ende September sind Neuwahlen.

    Köhlmeier: Im besten Fall mit einem Gewurstel – wie immer. Ich finde das gar nicht mal so schlecht. „A G’wurschtel“ ist Pragmatismus: hier ein Kompromiss, dort eine kleine Lüge. Ohne reine Lehre halt, das wäre das Beste, was uns passieren könnte. Aber vermutlich spekuliert Kurz auf eine Minderheitsregierung. Er mag das Gewurstel und die Kompromisse nicht. Eine Koalition mit der FPÖ würde man ihm übel nehmen. Das wäre eine Niederlage.

    Haben Sie vor dem Hintergrund des Ibiza-Skandals eigentlich Angst um die Demokratie in Österreich?

    Köhlmeier: Die Zivilgesellschaft ist stark. Und solange wir Mitglied der liberalen EU sind, fürchte ich nicht um die Demokratie. Aber es gibt viele, auch Herr Kurz, die im ungarischen Modell von Orbán ein Vorbild sehen. In Umfragen sagen 50 Prozent der Österreicher, sie könnten sich gut vorstellen, dass ein starker Mann das Land führt. Das macht mich hoffnungslos. Das autoritäre Verhalten ist im Österreicher noch tief verwurzelt. Wenn Kurz dem jungen Kaiser ähnlich sieht, hat er schon einen Bonus.

    Die FPÖ ist eng verbandelt mit Burschenschaften, die unverhohlen Nazilieder singen. Wurde die Nazizeit in Österreich zu wenig aufgearbeitet?

    Köhlmeier: Ich glaube, die Österreicher haben sich weniger gründlich verabschiedet vom nationalsozialistischen Gedankengut als die Deutschen. Nicht weil sie von vorneherein größere Nazis waren, sondern weil es ihnen lange gelungen ist, diese Angelegenheit von sich zu schieben. Sie mussten nie die Masse von schlechtem Gewissen aufbauen wie die Deutschen. Man sagte sich: Wir waren das erste Opfer der deutschen Nazis und müssen nicht so viel Abbitte leisten wie die Deutschen.

    Bei Ihrer Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages sagten Sie im Mai 2018 im Parlament: „Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder einzelne zu klein schien für die große Empörung.“ Was meinen Sie damit?

    Köhlmeier: Bei dieser Strategie wird alles zum Einzelfall erklärt. Oder man tut so, als ob das gar nicht so gemeint war. Was da gesagt wurde, vergisst man dann wieder ganz schnell, vor allem, weil eine Woche später schon wieder solch ein kleiner Schritt passiert. Seit der Beteiligung der FPÖ an der Regierung sind die Schritte ein bisschen größer geworden. Und sie passieren in immer kürzeren Abständen. Man hat das Gefühl, sie wollen was austesten.

    Heinz-Christian Strache im Oktober 2017 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wien.
    Heinz-Christian Strache im Oktober 2017 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wien. Foto: Matthias Schrader/AP (dpa)

    Sie meinen gezielte Tabubrüche?

    Köhlmeier: Ja, kleine Tabubrüche. Zu sagen, dass der Nationalsozialismus gute Seiten hatte, wäre ein zu großer Tabubruch. Da würden die Leute sagen: Du bist ja nicht ganz dicht im Kopf. Bei kleinen Tabubrüchen ist es anders.

    Wie reagieren Sie darauf?

    Köhlmeier: Ich fühle mich oft berufen, etwas öffentlich zu sagen. Aber wenn du jedes Mal was sagst, dann bist du bald ein Querulant, auch wenn du recht hast. Damit ist man verharmlost. Eine Zwickmühle.

    Und wofür entscheiden Sie sich?

    Köhlmeier: Ich glaube schon, dass ich immer wieder öffentlich auf die kleinen Schritte hinweisen muss. Denn die großen Schritte kommen erst, wenn es zu spät ist.

    Finden die Österreicher das, was da gerade politisch in ihrem Land passiert, mehrheitlich gut?

    Köhlmeier: (zögert) Ja, leider. Schon irgendwie. Ich glaube nicht, dass Österreicher heute noch naziaffin sind. Ich glaube eher: Vieles interessiert die Leute nicht. Und weil sie es nicht interessiert, wissen sie über die gegenwärtige Struktur der FPÖ nicht Bescheid. Die sehen schon, dass diese Partei rechts ist, und gegen Ausländer. Sie sehen aber nicht, dass ihre Politik durch und durch von nazigeprägten Burschenschaftlern bestimmt wird.

    Wie ist generell die Streitkultur in Österreich?

    Köhlmeier: Nicht sehr vornehm. Ich staune manchmal über deutsche Debatten: Die streiten über eine Sache, ohne den Menschen anzugreifen. Bei uns ist es umgekehrt. Erst wird dem politischen Gegner komplette Dummheit unterstellt – der andere muss ja dumm sein, sonst hätte er nicht eine andere Meinung. Und die Dummheit wird noch untermauert durch seine unglaubliche Niedertracht. Ich schließe mich da nicht aus. Ich denke immer: Es kann doch keiner ÖVP wählen, der nicht vollkommen dumm ist – oder bösartig. Wir Österreicher streiten hart – aber das ist vielleicht nicht so schlecht. Mir ist lieber, es redet einer blöd, als es tut einer blöd.

    Sie haben in Ihrer Parlamentsrede gewarnt: „Erst wird gesagt, dann wird getan.“ In Deutschland wurde nun getan. Rechtsradikale haben einen CDU-Politiker getötet. Wir haben also einen politischen Mord ...

    Köhlmeier: ... und das ist ein großer Schritt. Da gab es doch einen AfD-Abgeordneten, der beim Gedenken für den Ermordeten im bayerischen Landtag nicht aufstand. Unfassbar! Wenn man in so einer Situation sitzen bleibt, dann drückt man doch aus: Den Falschen hat es nicht getroffen. Das ist eine Sympathie-Erklärung für den Täter – anders kann ich das nicht lesen.

    Sie haben vor dem Parlament auf die Tabubrüche der FPÖ hingewiesen und Innenminister Kickl zitiert, der gefordert hatte, dass Asylbewerber „konzentriert gehalten werden sollen“. Spielt Kickl damit bewusst auf die Konzentrationslager der Nazis an?

    Köhlmeier: Ich glaube schon. Das sind Anspielungen nach dem Motto: „Ich will ja nix gesagt haben, aber ...“. Es kann doch niemand das Wort „konzentrieren“ in diesem Zusammenhang benutzen! Und Kickl ist nicht dumm; er weiß, was er sagt und was er tut. Er will signalisieren: Wenn’s hart auf hart kommt, dann fahren wir mit anderem auf.

    Würden Sie die FPÖ-Spitze – Kickl, Strache, Hofer – als verkappte Nazis oder Neonazis bezeichnen?

    Köhlmeier: Bei Strache glaube ich das nicht, im Herzen ist der kein Nazi. Es gibt aber ein paar, die stramm sind. Norbert Hofer ist ein strammer Rechter, vor dem mich schaudert.

    Norbert Hofer spielt in der FPÖ eine wichtige Rolle.
    Norbert Hofer spielt in der FPÖ eine wichtige Rolle. Foto: Christian Bruna, epa, dpa

    „Reporter ohne Grenzen“ hat Österreich in Sachen Pressefreiheit von Platz 11 auf Platz 16 zurückgestuft. Hintergrund ist der Druck, den Regierungsmitglieder beispielsweise auf den Sender ORF ausgeübt haben.

    Köhlmeier: Der Druck ist massiv. Die Angriffe auf den Moderator Armin Wolf kann man nicht hinnehmen. Bis jetzt ist es aber auch nicht hingenommen worden. Wolf ist noch beim ORF, und er ist inzwischen eine Symbolgestalt. Sie werden nicht mehr ihn direkt beschießen, sondern andere um ihn herum. Das beunruhigt mich schon.

    Kann es so schlimm kommen in Österreich, dass Sie das Land lieber verlassen möchten?

    Köhlmeier: Nein, ein bisserl was aushalten muss man schon. Auch wenn man frustriert ist. Die Welt geht noch nicht so schnell unter. Aber wenn der Faschismus käme, würde ich mir das überlegen.

    Auf dem Bürgermeisterstuhl Ihrer Heimatstadt Hohenems sitzt seit vier Jahren ein FPÖ-Mann. Vor der Wahl hatten Sie sich mit anderen gegen den Kandidaten gestellt und ihn als Antisemiten bezeichnet; Sie konnten ihn aber nicht verhindern. Wie gehen Sie heute mit ihm um, wenn Sie ihm bei offiziellen Anlässen begegnen?

    Köhlmeier: Er hatte einen antisemitischen Spruch gegen meinen Freund Hanno Loewy losgelassen, den Direktor des Jüdischen Museums Hohenems. Das hat landesweit und darüber hinaus für Empörung gesorgt. Inzwischen ist Hanno Loewy in der komfortablen Lage, dass er von diesem Bürgermeister so gut wie alles kriegt. Der traut sich nichts, was gegen das Museum gerichtet ist. Er hat sich übrigens auch bei Loewy entschuldigt, sie haben sich ausgesprochen. Und er sagt jetzt sogar, er sei stolz aufs Jüdische Museum.

    Zur Person: Michael Köhlmeier, in Hohenems (Vorarlberg) lebend, gehört zu den bekanntesten Autoren deutscher Sprache. Der 69-Jährige meldet sich regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen zu Wort.

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