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Interview: De Maizière über Abschied aus Kabinett: "Das war nicht leicht zu verdauen"

Interview

De Maizière über Abschied aus Kabinett: "Das war nicht leicht zu verdauen"

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    Ex-Innenminister de Thomas Maziére fiel das überraschende Ausscheiden aus der Bundesregierung anfangs schwer, heute fühlt er sich frei.
    Ex-Innenminister de Thomas Maziére fiel das überraschende Ausscheiden aus der Bundesregierung anfangs schwer, heute fühlt er sich frei. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa (Archiv)

    Herr de Maizière, seit Sie nicht mehr Minister sind, sieht man Sie regelmäßig ziemlich flott mit dem Fahrrad durchs Berliner Regierungsviertel fahren. Wenn Sie eine schwarze Regierungslimousine sehen, überwiegt dann Wehmut oder Erleichterung?

    Thomas de Maiziére: Am Anfang war das natürlich eine Umstellung, mir stand ja seit 1990 ein eigener Dienstwagen zur Verfügung, das war sehr bequem. Aber freier ist man ohne. Und über diese neue Freiheit, bei schönem Wetter das Rad nehmen zu können, freue ich mich.

    Wie groß war die Enttäuschung, als Angela Merkel Ihnen am Ende der Koalitionsverhandlungen vor gut einem Jahr mitteilte, dass Sie dem neuen Kabinett nicht mehr angehören werden?

    Maiziére: Das war nicht schön. Ich hatte damit gerechnet, dass die CDU das Innenressort behält und ich Minister bleibe. Es kam dann anders und das war nicht leicht zu verdauen. Aber der Abschied war so ehrenvoll, von so viel Zustimmung begleitet, dass es berührend war. Das wird nicht jedem Minister zuteil. Die meisten werden ja entlassen, abgewählt oder nicht mehr berufen, weil man unzufrieden mit ihnen war. Das war bei mir anders. Und ich war 64 Jahre alt, 28 Jahre in Regierungsverantwortung. Im Nachhinein war es vielleicht eine glückliche Fügung.

    Wie haben Sie diesen Schnitt erlebt, nach so langer Zeit in der Spitzenebene der Macht plötzlich wieder ein „ganz normaler“ Abgeordneter unter gut 700 anderen zu sein?

    Maiziére: Die unmittelbare Veränderung, plötzlich nicht mehr Minister zu sein, hat etwas vom Abtrainieren eines Spitzensportlers. Da kann man nicht einfach aufhören, das ist ein Prozess, der bewusst organisiert werden muss. Man muss zum Beispiel seinen Tagesablauf anders gestalten. Ich laufe regelmäßig und gehe ab und zu ins Fitnessstudio. Ich lese den Teil der Zeitung zu Themen des Innenministeriums, den ich früher zuerst gelesen habe, heute meist gar nicht mehr oder zum Schluss. Und ich habe meine Gedanken zum Regieren in meinem Buch niedergeschrieben. Auch das war Teil des „Abtrainierens“.

    In welchen Lebensbereichen hatten Sie besonderen Nachholbedarf?

    Maiziére: Die Kinder sind ja aus dem Haus, aber mit meiner Frau verbringe ich jetzt viel mehr Zeit, und das ist sehr schön. Nach den Jahren, in denen ich nicht weit weg konnte, um jederzeit den Urlaub unterbrechen zu können, machen wir neue Reisepläne. Wir gehen häufiger in Konzerte, ins Theater und zu Ausstellungen. Ich habe mehr gelesen, fange jetzt auch wieder an, politische Bücher zu lesen. Im Moment ist es „Der Dreißigjährige Krieg“ von Herfried Münkler. Zuvor habe ich lieber Romane gelesen, zum Abschalten.

    „Regieren“ heißt Ihr eigenes Buch, das vor kurzem im Herder-Verlag erschienen ist. Was bedeutet gutes Regieren für Sie?

    Maiziére: Regieren besteht darin, aus einer guten Idee oder einem politischen Ziel ein konkretes Ergebnis zu machen, sei es in Form eines Gesetzes oder eines Projekts. Und die Umsetzung dieses Prozesses in einem Ministerium, bei der Mehrheitsfindung, in der Diskussion mit der Gesellschaft, das ist Regieren.

    Das sagt Ex-Innenminister Thomas de Maizière zur Flüchtlingskrise 2015

    Wurde Deutschland auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015 gut regiert?

    Maiziére: Das kommt auf den Maßstab an. Im internationalen Vergleich auf jeden Fall ja: Wir hatten keine Obdachlosigkeit, wir haben die Verteilung im Land hinbekommen. Wir hatten tolle Kommunalverwaltungen und großartige Ehrenamtliche. Im nationalen Vergleich müssen wir im Nachhinein sagen, dass wir hätten besser hätten vorbereitet sein können. Was gefehlt hat, waren gesetzliche und technische Voraussetzungen, etwa des Datenaustausches zwischen Kommunen und Polizei. Wir haben das dann alles in der Krise schnell geändert. Zuvor hätte es dafür aber vielleicht auch gar keine Mehrheiten gegeben. Da ist die Demokratie ja wie der einzelne Mensch: Änderungen kommen oft nur in der Krise zustande.

    Was war für Sie das Grundproblem dieser Krise?

    Maiziére: Politik, Medien und die ganze Gesellschaft haben sich zu sehr von Stimmungen leiten lassen. Am Anfang herrschte vielleicht zu viel Euphorie. Unter dem Eindruck der Kölner Silvesternacht kippte alles und war dann vielleicht zu pessimistisch. Politik aber sollte solchen Stimmungen nicht zu schnell erliegen. Wir sind uns einig, dass sich die Situation von 2015 nicht wiederholen darf.

    Von einer „Herrschaft des Unrechts“ sprach Horst Seehofer, damals noch CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, heute Ihr Nachfolger als Innenminister. Wie sehr hat Sie dieser Vorwurf verletzt?

    Maiziére: Ich habe mich in meinem Buch dazu geäußert, er hat das kommentiert. Dabei will ich es bewenden lassen.

    Wenn Sie in Ihrem Buch von „Scheinriesen“ schreiben, hört sich das irgendwie so an, als sei Seehofer gemeint...

    Maiziére: Die Scheinriesen, die ich meine, gibt es in der Politik und in der Wirtschaft, im Sport und in vielen anderen Bereichen. Im wunderbaren Buch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ von Michael Ende kommen die beiden Helden in die Wüste. Und sehen diesen Riesen, der von weitem sehr bedrohlich und furchteinflößend aussieht. Je weiter sie aber auf ihn zugehen, desto kleiner wird er. Es handelt sich um ein harmloses altes Männchen, seine Größe war nur eine Fata Morgana.

    Und was sagt uns diese Geschichte?

    Maiziére: Von Ferne sehen manche Menschen oft riesig und gewaltig aus, vielleicht auch, weil sie einen Titel haben oder ein hohes Amt. Aber im näheren Umgang sieht man, dass sie Menschen mit Stärken und Schwächen sind, wie wir alle. Die Botschaft ist: Lasst Euch nicht zu sehr beeindrucken vom Schein – von Ämtern, von Redegewandtheit oder von toller Kleidung.

    Der Erfolg der AfD hängt eng mit dem Thema Migration zusammen. Gerade in Ihrer sächsischen Heimat sind die Rechtspopulisten stark. Wie kann Ihre Partei, die CDU, da gegensteuern?

    Maiziére: Auch ohne die umstrittene Flüchtlingspolitik gibt es in anderen Staaten dieselben populistischen Erscheinungen, die teils noch stärker sind. Wir haben es also nicht nur mit einem deutschen oder gar ostdeutschen Phänomen zu tun, sondern einem europäischen und sogar weltweiten. In Sachsen wäre meine Antwort für die CDU, nicht auf die AfD zu schauen wie das Kaninchen auf die Schlange. Nicht die AfD darf die politische Agenda bestimmen, sondern wir. Wir müssen sagen, was wir mit Sachsen vorhaben und wie wir die Probleme angehen.

    Im sächsischen Landesverband wird auch über eine mögliche Koalition mit der AfD diskutiert...

    Maiziére: Dazu gibt es eine glasklare Beschlusslage sogar des Bundesparteitages. Wir arbeiten mit der AfD in keiner Weise zusammen und das ist auch richtig so.

    Nach der Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland-Niederlande wegen einer Terrorwarnung im November 2015 löste Ihr Satz ’Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern’ Befremden aus. Bedauern Sie diese Aussage?

    Maiziére: Der Satz war ungeschickt. Er hat mehr Unsicherheit gestiftet als Sorgen genommen. Das war ein Fehler. Damals lagen uns zwei Warnungen vor Anschlägen vor, einer sollte im Stadion, einer am Hauptbahnhof verübt werden. Da ist es nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, ohne zu lügen. Heute würde ich das anders machen.

    Sie waren von 2011 bis 2013 Verteidigungsminister. Bringt unsere Gesellschaft Soldaten genügend Wertschätzung entgegen?

    Maiziére: Die Bundeswehr ist eine großartige Einrichtung. Da gibt es etwas, was es sonst nur selten gibt, nämlich Kameradschaft. Wir in Deutschland sind eine Gesellschaft, die sehr früh einen moralischen Standpunkt einnimmt. Mit nüchterner und pragmatischer Interessenpolitik tun wir uns dagegen schwer, anders als Briten und Franzosen. Es geht aber beim Militär auch um Sterben und Töten – mit allen moralischen Fragen, die damit verbunden sind. Das verdrängen wir gerne.

    Mit welchen Folgen?

    Maiziére: Zunächst einmal gibt es nach zwei Kriegen auf deutschem Boden im vergangenen Jahrhundert gute Gründe für Zurückhaltung. Aber Soldaten sind nicht nur Fluthelfer, sondern auch Kämpfer, die uns verteidigen können müssen. Es ist wie bei der Polizei. Die ist nicht nur der Freund und Helfer. Die muss auch schießen, muss Leute festnehmen, harte Maßnahmen ergreifen. Es ist kein Spaß, gegen gewaltbereite Autonome oder besoffene Hooligans vorzugehen. Unsere Sicherheitskräfte, auch die Nachrichtendienste, haben insgesamt mehr Wertschätzung verdient.

    De Maizière kritisiert Schulschwänzer bei "Fridays for Future"-Demos

    Welchen Stellenwert haben klassische Tugenden heute noch in der Politik?

    Maiziére: Wir brauchen Tugenden heute mehr denn je, in der Politik ebenso wie im Sport oder in der Wirtschaft. Vieles heißt heute anders. Manche sprechen von Teamgeist, ich nenne es lieber altmodisch Loyalität. Neudeutsch ist seit einiger Zeit viel von Resilienz die Rede, ich nenne es Disziplin. Leadership steht für Macht und Führung. Ohne solche Tugenden, auch Anstand gehört dazu, wird eine Institution oder Gesellschaft auf Dauer nicht lebensfähig sein.

    Auch die Tugenden Ordnung und Sorgfalt scheinen eine Renaissance zu erleben, wie etwa der Erfolg japanischer Aufräum-Bücher nahelegt. Der Spitzname „Büroklammer“, den sie wegen ihrer Ordnungsliebe verpasst bekamen – ist der für Sie eher Beleidigung oder Kompliment?

    Maiziére: Am Anfang war ich darüber ärgerlich, später habe ich damit kokettiert. Aber Ordnung gehört natürlich dazu, das hat auch mit geistiger Ordnung im Kopf zu tun. Mal wird geschrieben, dass man Kinder zu streng erzieht, wenn man sie zu Ordnung anhält. Dann heißt es wieder, dass junge Menschen ohne Ordnung nicht lebenstüchtig werden können. Ich denke, Maß und Mitte sind da ein guter Ratgeber.

    Halten Sie es eigentlich für vertretbar, wenn Kinder und Jugendliche gegen die Schulpflicht verstoßen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren?

    Maiziére: Nein, das ist nicht hinnehmbar. Klimaschutz ist ein wichtiges Thema und Protest braucht auch Aufmerksamkeit. Aber auch Demonstranten müssen sich an Regeln halten. Es geht nicht an, dass Protestierer sagen, diesen Teil der Rechtsordnung akzeptiere ich und den anderen nicht. Wenn das eine einmalige Sache wäre, würde man vielleicht ein Auge zudrücken können. Aber als Dauerinstitution geht das nicht.

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