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Interview: Grünen-Politikerin Ska Keller: "Brauchen einen CO2-Preis auf EU-Ebene"

Interview

Grünen-Politikerin Ska Keller: "Brauchen einen CO2-Preis auf EU-Ebene"

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    Ska Keller ist Spitzenkandidatin der Grünen bei der Europawahl 2019.
    Ska Keller ist Spitzenkandidatin der Grünen bei der Europawahl 2019. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Klimaschutz, soziales Europa, Migration, ein gespanntes Verhältnis zu Russland – die Liste der brennenden Themen ist lang. Welche Herausforderungen sollte der Wähler denn zur Grundlage seiner Entscheidung am 26. Mai machen?

    Ska Keller: Zuallererst muss die Europäische Union dafür Sorge tragen, dass wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Dazu gehört vor allem der Klimaschutz, wo wir jetzt endlich aktiv werden müssen. Je später wir reagieren, desto unschöner wird es. Ich beziehe den Artenschutz hier ausdrücklich mit ein, bei dem die EU über die Landwirtschaftspolitik eine Menge erreichen könnte. Zum Zweiten sollten wir ein soziales Europa schaffen. Wir stehen mit der Digitalisierung vor großen Herausforderungen. Nötig sind Mindeststandards für die Arbeitswelt. Und zum Dritten brauchen wir Rechtsstaatlichkeit und Bewahren der Demokratie, die in vielen Mitgliedstaaten ernsthaft bedroht ist.

    Beim Klimaschutz streitet Deutschland gerade über eine CO2-Steuer. Halten Sie eine europäisch regulierte Abgabe für sinnvoll?

    Keller: Ja, wir brauchen einen CO2-Preis auf EU-Ebene. Die Einnahmen fließen dann über ein Energiegeld pro Kopf wieder an die Bürger zurück. Nur so können wir sicherstellen, dass das auch sozial ausgewogen funktioniert.

    Wieso?

    Keller: Die Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einem geringeren Einkommen in aller Regel weniger CO2 verbrauchen als Bürger mit einem hohen. Die würden dann entsprechend mehr zur Verantwortung gezogen als jene, die weniger CO2 verbrauchen. Ich verspreche mir davon außerdem Anreize für die Unternehmen, in klimafreundliche Technologien zu investieren.

    Einhundert Prozent Klimaneutralität bis 2050 – diesen Vorschlag haben Frankreich und einige andere Mitgliedstaaten jetzt vorgelegt. Ist das genug?

    Keller: Solche Ziele sind wichtig, klar. Auch die Kommission hat ja ähnliche Vorschläge präsentiert. Aber das Entscheidende ist, dass die konkreten Schritte gemacht werden, und da fehlt noch viel...

    Welche Schwerpunkte müsste ein Kommissionspräsidenten-Kandidat im Programm haben, damit Sie ihn mit den Stimmen der Grünen wählen?

    Keller: Uns ist zum einen wichtig, dass es sich um jemanden handelt, der sich als Spitzenkandidat wirklich der Wahl durch die Bürgerinnen und Bürger gestellt hat und nicht plötzlich von den Staats- und Regierungschefs aus dem Hut gezaubert wird. Und wir werden sie oder ihn klar am Inhalt messen. Da kann sicherlich niemand unsere Stimmen bekommen, der nicht für die genannten drei Schwerpunkte einsteht.

    Es wird von einem neuen europäischen Selbstbewusstsein gesprochen. Wo sehen Sie denn die Rolle der EU zwischen den USA, Russland und China, um drei Schwergewichte mit ganz unterschiedlichen politischen Zielen zu nennen?

    Keller: Die EU muss tatsächlich ihren eigenen Platz in der Welt finden. Sie sollte sich als Friedenskraft verstehen und eine Werte- und Menschenrechts-basierte Außenpolitik betreiben – übrigens auch in den eigenen Reihen.

    Ein Flugzeug fliegt über einem Rapsfeld: Die Grünen fordern einen Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid auf EU-Ebene.
    Ein Flugzeug fliegt über einem Rapsfeld: Die Grünen fordern einen Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid auf EU-Ebene. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Sie unterscheiden zwischen Migration und Fluchtursachen. Warum?

    Keller: Flucht und Migration sind unterschiedlich. Aber in jedem Fall müssen wir etwas dagegen tun, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Und da steht die EU mit in der Verantwortung. Wir müssen dahinkommen, dass Europa zumindest nichts mehr zu Fluchtursachen anderswo beiträgt. Da geht es um solche Dinge wie Waffenexporte, Handelsabkommen, ob wir anderen Ländern die Fische alle wegfangen, da kann Europa eine ganze Menge tun.

    Wie wollen Sie denn Staaten wie Ungarn oder Polen dazu bringen, auch bei diesem Thema wieder so etwas wie Solidarität ernst zu nehmen?

    Keller: Ohne Frage muss die EU Rechtsstaatlichkeit durchsetzen, und zwar besser als bisher. Aber wir müssen da verstehen, dass es einen Unterschied zwischen der ungarischen Regierung und den Menschen in Ungarn gibt. Deswegen wäre es falsch, bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit einfach die europäischen Zuschüsse zu kappen. Denn das würde die Falschen treffen. Sinnvoller ist es, wenn die Kommission die Subventionen direkt an Verbände, an Arbeitslosen-Initiativen oder andere Sozialträger vergeben würde. Aber eben nicht länger über die nationale Regierung. Es darf ja nicht sein, dass Premierminister Viktor Orbán die Zuwendungen weiter für Prestigeprojekte wie Fußballstadien zweckentfremden kann. Wir wollen zusätzlich einen Mechanismus installieren, mit dem frühzeitig erkannt wird, wenn ein Land die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu zerstören beginnt. Dann kann man dem früh entgegenwirken.

    Viele junge Europäer werden politisch aktiv, beklagen, dass die EU beim Urheberrecht eigene Wege geht, dass beim Klimaschutz zu wenig getan wird. Wie wollen Sie diese jungen Menschen wieder für Europa begeistern?

    Keller: Wir Politikerinnen und Politiker müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, die Welt dieser jungen Menschen prägen. Bei der Klima-Krise liegt das ja auf der Hand. Die Grünen haben deshalb sehr konkrete Vorschläge für alle Politikbereiche vorgelegt. Ich glaube, dass diese Zukunftsfähigkeit der Politik eine ganz große Aufgabe des nächsten Europäischen Parlamentes sein wird.

    In welchem Europa würden Sie gerne am 27. Mai aufwachen?

    Keller: Ich würde gerne in einem Europa aufwachen, in dem Klimaschutz, Artenschutz und soziale Fragen die politische Agenda prägen. Und ich wünsche mir, dass uns die Bürger ein kraftvolles neues Parlament geben, mit dem wir diese Ziele dann auch erreichen können.

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