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Interview: Journalist und Autor Marc Hujer: "Politiker sind ja auch Schauspieler"

Interview

Journalist und Autor Marc Hujer: "Politiker sind ja auch Schauspieler"

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    Anton Hofreiter ist ein Genussmensch. In seiner Freizeit stellt er unter anderem Pralinen her.
    Anton Hofreiter ist ein Genussmensch. In seiner Freizeit stellt er unter anderem Pralinen her. Foto: Sonja Och

    Tennis mit Söder, Golf mit Altkanzler Schröder, als Jagdbegleiter von Philipp Amthor oder im Fußballstadion mit Kevin Kühnert: Wie kamen Sie auf den Trichter, Politiker bei der Ausübung ihrer „Leidenschaften“ zu begleiten?

    Marc Hujer: Es fing mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht an. Ich hatte damals wirklich Probleme, so an sie heranzukommen, dass ich das Gefühl hatte, ein gutes Porträt schreiben zu können. Von Sahra Wagenknecht hat man ja den Eindruck, dass sie mit einer fast maschinenhaften Präzision und Perfektion auf der Bühne auftritt. Also habe ich ihr gesagt, man müsste das irgendwie einmal ganz anders machen. Und so sind wir darauf gekommen, dass wir zusammen Fahrrad fahren könnten – was sie ja zu dieser Zeit so richtig ernsthaft begonnen hat.

    Und das funktionierte dann so gut, dass Sie auch bei anderen Politikerinnen und Politikern so vorgegangen sind?

    Hujer: Absolut. Politiker sind ja auch so etwas wie Schauspieler. Sie haben ihre Rolle, ihr Programm, das sie vertreten. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Schauspieler-Porträt nur anhand seiner Auftritte auf der Bühne schreiben, ohne ihn je anders erlebt zu haben. Natürlich vergessen die Politiker nicht, dass ein Reporter danebensteht, wenn sie ihrem Hobby nachgehen. Aber dennoch begeben sie sich in eine Situation, die sie vorher nicht geprobt haben.

    Was ändert sich für Sie als Journalist in diesem Moment?

    Hujer: Dass mir Dinge auffallen, die ich normalerweise nicht bemerken würde. Man erkennt bestimmte Charakterzüge viel besser, die dann auch einiges erklären können, was sie als Politiker ausmacht. Mir geht es bei diesen Porträts weniger um die Beurteilung von politischen Positionen. Ich suche Beweggründe. Warum ticken solche Menschen so? Ist das jetzt ein Weltverbesserer, ist das ein Selbstinszenierer?

    Nennen Sie ein Beispiel!

    Hujer: Bei meinem Porträt über Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner habe ich wie immer mit der Frage begonnen: „Was ist Ihre Leidenschaft?“ Eigentlich war geplant, mit Julia Klöckner, die ja aus einer Winzerfamilie stammt, auf ihren Hof zu fahren und mit ihr zusammen Wein zu trinken. Auch um sie zu fragen, wie das ist, ständig mit diesem Klischee als Weinkönigin umzugehen. Doch dann hat sie mich kurzfristig damit überrascht, dass sie lieber mit mir Vespa fahren wolle. Warum denn das ihre Leidenschaft sei, habe ich gefragt. „Weil ich da leicht einen Parkplatz finde“, antwortete sie. Das sagt ungeheuer viel. Alles ist easy. Da sieht man, Julia Klöckner ist jemand, der es gerne leicht hat. Ich glaube, da muss man gar nicht mehr viel sagen.

    Auf Wertungen verzichten Sie konsequent in allen elf Ihrer Porträt-Texte des Buches.

    Hujer: Ich finde, der Leser kann das für sich selber bestimmen. Wenn ich mit FDP-Chef Christian Lindner Porsche fahre, möchte ich nicht sagen, ob ich Porsche fahren ablehne oder ob ich das Auto schön oder weniger schön finde. Jeder kann Lindner als Porsche-Fahrer furchtbar sympathisch oder furchtbar unsympathisch finden. Das will ich selber nicht übernehmen. Mein Ziel ist es, mit den Porträts Einblicke zu verschaffen, was einen Politiker antreibt. Ich habe schon den Anspruch, dass das Psychogramme sind.

    Journalist und Autor Marc Hujer.
    Journalist und Autor Marc Hujer. Foto: Hujer

    Spürten Sie oft Kalkül – also den Willen, sich sympathisch zu präsentieren?

    Hujer: Da gibt es riesige Unterschiede. Ein Moment der Inszenierung ist immer dabei – logischerweise. Und das ist ungeheuer stark bei Markus Söder. Er wollte bei meinem Termin mit ihm in der Tennishalle die Kontrolle behalten, hatte selber Ideen, was man machen könnte. Er war da sehr aktiv. Ganz anders die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, mit der ich eine Tanzstunde absolviert habe. Sie ist total zurückhaltend: Ich sollte alles auswählen – wo man hingeht, welchen Tanz wir tanzen. Das ist gewissermaßen auch ein Teil ihrer Inszenierung. Weil sie eben nicht diese dominante Persönlichkeit ist wie Söder und auch nicht sein möchte. Das zu zeigen, führt für mich zu einem Aha-Effekt. Das war auch bei Wagenknecht nicht anders.

    Was war der Aha-Effekt bei Wagenknecht?

    Hujer: Sahra Wagenknecht ist sehr auf sich bezogen, nimmt ihre Umwelt kaum wahr. Sie ist bei unserer Radtour so lange mit Tempo gefahren, bis ich nicht mehr mithalten konnte. Andere Politiker hätten garantiert darauf geachtet, ob der Journalist hinterherkommt. Das kommt Sahra Wagenknecht überhaupt nicht in den Sinn. Sie zieht ihr Trainingsprogramm auf dem Rad durch. Als sie sah, dass ich zurückbleibe, sagte sie, „wenn Sie jetzt nicht mehr können, dann muss der Oskar kommen und Sie abholen“. In dem Moment war mir klar, das ist es, was sie ausmacht. Das erklärt ihre Perfektion, die sie auf der Bühne zeigt.

    Gab es auch Politiker, die Ihre Anfrage abgelehnt haben?

    Hujer: Ja, die gab es. Da war zum einen eine Politikerin, die gerne reitet. Also war mein Vorschlag, mit ihr reiten zu gehen. Doch dann sagte ihr Pressesprecher, er würde das eher nicht machen, weil dann am Ende da stehen würde: „Hoch zu Ross“. Natürlich ist es so, dass man einen Politiker in der Hand hat, wenn man ein Porträt über ihn schreibt. Gleichzeitig kann es auch eine Chance sein. Ich glaube, Politiker müssen das Wagnis eingehen. Frau Merkel, die sich komplett abschottet, ist die große Ausnahme. Die Bindungskraft der Parteien wird geringer, Personen werden wichtiger. Sympathie ist die Grundlage dafür, dass Wähler Politikern zuhören. Dazu müssen Politiker ein Stück ihrer Persönlichkeit preisgeben. Man muss sie als Mensch mit Schwächen wahrnehmen können. Das hat nichts mit Boulevard zu tun.

    Marc Hujers Buch erscheint am Montag in der Deutschen Verlags-Anstalt, DVA, 24 Euro.
    Marc Hujers Buch erscheint am Montag in der Deutschen Verlags-Anstalt, DVA, 24 Euro. Foto: Verlagsgruppe Random House GmbH, München

    Welche Politiker haben Sie bei Ihren Treffen zu den Porträts am meisten überrascht?

    Hujer: Das ungeheuer Genießerische des Grünen Anton Hofreiter hat mich überrascht. Bei unserer Wanderung hat er fast jedes Gasthaus angesteuert, auch mit Vergnügen Fleisch gegessen. Viel gelernt habe ich auch bei dem Treffen mit dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dieser doch sehr brav wirkende Mensch, der dann so eine wunderbare Selbstironie hat, sein leichtes Spießbürgertum und seine Schwächen auf die Schippe nimmt. Das fand ich wahnsinnig groß und mutig. Christian Wulff hat mich wirklich beeindruckt.

    Sind die Medien in Ihrer Kritik bisweilen zu rigoros, ja gnadenlos gegenüber Politikern?

    Hujer: Der Job ist ungeheuer beanspruchend. Das wird in der Öffentlichkeit nicht immer so gesehen. Natürlich darf man sich hart mit Politikern auseinandersetzen, aber es fehlt doch oft an Anerkennung. Das war ein Beweggrund für meine Porträts. Die nicht selten auch persönlich beleidigende Art, mit der Politiker konfrontiert werden, hat mich schon immer gestört.

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