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Interview: Schäuble über Parlament in Corona-Krise: "Hier wird nichts durchgewunken"

Interview

Schäuble über Parlament in Corona-Krise: "Hier wird nichts durchgewunken"

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    Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zitiert gerne Friedrich Hölderlin - auch in Zeiten des Coronavirus.
    Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zitiert gerne Friedrich Hölderlin - auch in Zeiten des Coronavirus. Foto: Ulrich Wagner

    Sie haben die Flüchtlingskrise als das Rendezvous der Deutschen mit der Globalisierung bezeichnet. Ist die Corona-Krise die Rache der Globalisierung?

    Wolfgang Schäuble: Das wäre übertrieben, so würde ich das nicht sagen. Aber diese Krise ist eine Erfahrung, die wir in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg so nicht gemacht haben. In unserer Gewissheit, dass alles schon irgendwie gut geht, sind wir schwer erschüttert. Man kann jetzt auch einmal darüber nachdenken, ob es damit zu tun hat, dass wir vieles übertrieben haben.

    Was meinen Sie damit? Die globale Vernetzung, die globalen Abhängigkeiten, oder eher unser genussorientierter und freiheitsliebender Lebensstil?

    Schäuble: Ich weiß es auch noch nicht so genau. Die globale Vernetzung geschieht ja nicht nur online über das Internet, sondern auch ganz praktisch, etwa durchs Reisen. Schauen Sie nur mal, wie viele deutsche Staatsbürger, nicht nur Touristen wir in den letzten Wochen nach Hause zurückholen mussten. Globalisierung bedeutet eben leider auch: Klimawandel und Artensterben. Wir erinnern uns jetzt daran, dass Microsoft-Gründer Bill Gates schon vor Jahren gesagt hat, er fürchte nicht so sehr einen Krieg, er fürchte eine Pandemie. Damals haben viele noch gedacht: Das wird nie eintreten.

    Sie sind durch viele Krisen marschiert: Was unterscheidet diese von vorherigen Herausforderungen wie der Weltfinanzkrise oder der Eurokrise?

    Schäuble: Man kann das überhaupt nicht miteinander vergleichen. Neu und anders ist das Unvorhersehbare dieser Krise, die Ungewissheit, die Unsicherheit. Sie zwingt uns dazu, mit großer Vorsicht vorzugehen.

    Schäuble trifft sich wegen des Coronavirus nicht mit seinen Kindern und Enkeln

    Aus medizinischer Sicht gehören Sie mit 77 Jahren auch zur Risikogruppe. Wie schützen Sie sich im Alltag?

    Schäuble: Ich halte mich an das, was für alle Menschen empfohlen wird. Ich habe möglichst wenige Kontakte, die meisten Dinge erledige ich vom heimischen Büro aus. Zur kommenden Sitzungswoche werde ich natürlich wieder nach Berlin reisen, aber auch in meinem dortigen Büro werden meine Mitarbeiter und ich alle Vorschriften und Empfehlungen einhalten. Ich treffe mich im Augenblick nicht mit meinen Kindern und meinen Enkeln. Dass ich aufgrund meines Lebensalters zu der Gruppe von Menschen gehöre, die stärker als andere gefährdet sind, weiß ich auch. Aber das liegt nun mal im Lauf des Lebens.

    Können Sie jene verstehen, die sagen: Wir müssen erst einmal die Alten isolieren, die Jungen sterben an dem Virus nicht und müssen arbeiten und leben?

    Schäuble: Als ich das erste Mal von solchen Überlegungen gehört habe, war meine Reaktion: Bedeutet das, dass Ältere das Virus stärker verbreiten als Jüngere? Oder heißt das, dass Ältere besonders vorsichtig sein müssen? Die Antwort ist die letztere. Deswegen bin ich überzeugt, dass ich etwa die Bundestagssitzungen noch selber leiten kann.

    Die schwarze Null war Ihnen stets besonders wichtig. Nun spielt ein ausgeglichener Haushalt gar keine Rolle mehr, viele Milliarden werden binnen weniger Tage mobilisiert. Blutet Ihnen da das Herz?

    Schäuble: Die schwarze Null war ein wirkungsvoller kommunikativer Begriff für eine gesunde Finanzpolitik, die darin bestand, die hohe Neuverschuldung wieder abzubauen. Das haben wir mit großem Engagement und gegen manche Widerstände konsequent getan. In einer Situation wie der jetzigen müssen wir jedoch das Notwendige tun, also Ausgaben erhöhen und auch neue Schulden machen. Das ist aber kein Widerspruch. Schließlich haben wir in der Schuldenbremse genau für diesen Fall Ausnahmen eingebaut.

    Schäuble über Corona-Krise: "Dürfen Wirtschaft nicht durch dauerhafte Grenzkontrollen schädigen"

    Gehören zum Notwendigen auch Steuersenkungen für alle, wie sie CSU-Chef Söder fordert? Oder ein gigantisches Konjunkturprogramm, wie es Teilen der SPD vorschwebt?

    Schäuble: In einer Situation, in der die Politik gezwungen ist, das Wirtschaftsleben weitgehend auf Eis zu legen, hat es doch wenig Sinn, über Konjunkturprogramme zu reden. Solange nicht alle Geschäfte wieder geöffnet haben, nützen Konjunkturprogramm nichts. Was sollen die Leute denn machen mit all ihrem Geld?

    Was lernen wir denn aus dieser Krise?

    Schäuble: Wir müssen das Verhältnis zwischen Marktwirtschaft und staatlicher Regulierung neu definieren. Es wäre ganz falsch, die marktwirtschaftlichen Mechanismen außer Kraft zu setzen. Aber den Rahmen, in dem wir uns bewegen, muss man neu bewerten. Wir müssen auch dringend darauf achten, dass wir durch dauerhafte Grenzkontrollen unserer Wirtschaft nicht noch zusätzlich Schaden zufügen - in einer Zeit, in der die Handlungsfähigkeit Europas ohnehin dringend verbesserungswürdig ist.

    Das klingt so, als ob Ihnen die gerade beschlossene Verlängerung der Grenzkontrollen ein Dorn im Auge ist?

    Schäuble: Ich habe für die Entscheidung der Verantwortlichen jedes Verständnis und ich bin froh, dass entschieden wird. Zu all diesen Fragen gibt es verschiedene Gesichtspunkte und Abwägungen. Gleichzeitig muss man darauf hinweisen, und das hat ja auch die EU-Kommission getan: Wenn der Ausstieg aus den Kontaktbeschränkungen möglich ist, dann verlieren Grenzkontrollen ihre Notwendigkeit.

    Während der Corona-Pandemie habe jeder im Rahmen seiner Verantwortung zu handeln

    Sie mussten in der Griechenlandkrise viel Kritik einstecken, zu hart gegenüber den Südländern aufzutreten und so Europa zu spalten. Brennt sich nun in der Corona-Krise etwa bei den stark betroffenen Italienern ein, dass Deutschland zu wenig und zu spät solidarisch ist?

    Schäuble: Das ist nicht mein Eindruck. In dieser Krise, in der niemand genau wusste, was sie bedeutet, sind wir täglich mit neuen Erkenntnissen konfrontiert worden. Das hat doch beispielsweise jeder Bürgermeister zunächst seine ganz eigene Verantwortung gehabt. Ich habe sehr genau verfolgt, wie in Frankreich, noch vor uns, die Entscheidung zur Schließung von Ladengeschäften getroffen wurde. Das führte natürlich dazu, dass die Menschen über den Rhein gekommen sind, um in Deutschland einzukaufen. Das wiederum hat den Oberbürgermeister von Freiburg dazu bewogen, als einer der Ersten Ausgangsbeschränkungen einzuführen. Das heißt: zunächst einmal hat jeder im Rahmen seiner Verantwortung zu handeln. Danach muss man sich dann allerdings sofort darum bemühen, dieses Handeln möglichst zu vereinheitlichen.

    Aber „Corona-Bonds“ wollen Sie und Ihre Partei in Europa weiter nicht?

    Schäuble: Ich bin dafür, dass man Hilfen für die Schwächeren ermöglichen muss. Aber das muss über Investitionsprogramme und den europäischen Haushalt gehen. Nicht über gemeinsame Anleihen, bei denen dann nicht kontrolliert werden kann, wie die Mittel verwendet werden und bei denen die Verantwortung für das Handeln und das Haften auseinanderfallen.

    Wäre jetzt nicht die ideale Gelegenheit, eine echte Reform der Defizite der Währungsunion anzugehen, etwa während der anstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft?

    Schäuble: Es wäre jedenfalls die intelligentere Debatte, als nur über Eurobonds zu reden, von denen jeder weiß, dass sie nach den europäischen Verträgen rechtlich überhaupt nicht zulässig sind. Der Strukturmangel der Währungsunion ist ja seit ihrer Schaffung bekannt. Damals war nicht mehr möglich. Wenn die Krise dazu führt, dass wir uns in Europa an eine Beseitigung des Mangels machen, umso besser.

    Bundestagspräsident hält Coronavirus für Bewährungsprobe für das föderale System

    Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratungen dieser Woche zu ersten Lockerungen der Regeln?

    Schäuble: Es ist gut, dass sich die Regierungschefs der Länder gemeinsam mit der Bundeskanzlerin geeinigt haben. Der Bund und die Länder leisten gute Arbeit. Die Bevölkerung hat ja in vielen Umfragen deutlich gemacht, dass sie die Beschränkungen für beschwerlich, aber für notwendig hält. Wir haben es hier mit einer Bewährungsprobe für unser föderales System zu tun. Bisher besteht unser System diese Probe sehr gut. Meine Rolle als Bundestagspräsident ist es vor allen Dingen, daran mitzuwirken, dass dabei die besondere Bedeutung unseres freiheitlich-demokratischen Systems bewahrt bleibt.

    Schwindelt Ihnen nicht als Jurist und Parlamentarier mit fast einem halben Jahrhundert Erfahrung der Kopf, wie schnell in dieser Corona-Krise alles geht? Unsere Versammlungsfreiheit, die Vereinsfreiheit sind eingeschränkt, ebenso die Religionsfreiheit und die Berufsfreiheit.

    Schäuble: Doch! Ich denke von morgens bis abends darüber nach. Aber wissen Sie was? Das Schlimmste wäre, wenn man vor lauter Bedenken überhaupt nicht entscheiden würde. Man muss sorgfältig prüfen, das tun wir zum Beispiel im Bundestag sehr genau. Aber die Krise erfordert, dass schnell gehandelt und entschieden wird. Dabei muss man immer sehr genau darauf achten, ob das so in Ordnung ist und wir es verantworten können. Deshalb ist das alles zeitlich befristet, deshalb muss alles immer auf den Prüfstand gestellt werden.

    Aber der einzelne Parlamentarier hat doch bei diesem irren Tempo gar nicht die Zeit, sich umfassend über die einzelnen Maßnahmen zu informieren?

    Schäuble: Hier wird nichts durchgewunken. Wir beraten ständig. Ein Großteil meiner Kollegen ist den ganzen Tag über in allen möglichen Telefonkonferenzen und Videoschalten. Jeder trägt die Erfahrungen aus seinem Wahlkreis an andere weiter, dann wird wieder diskutiert. Wenn sich herausstellt, dass eine Maßnahme korrekturbedürftig ist, wird sie korrigiert.

    Schäuble will die Situation in den USA nicht bewerten

    Sollten die Parlamentarier aus Solidaritätsgründen auf einen Teil ihrer Diäten verzichten?

    Schäuble: Dazu brauchen die Abgeordneten keine Ratschläge ihres Präsidenten. Wenn ich das richtig sehe, gibt es bereits einen breiten Konsens, dass man von der gesetzlich vorgesehenen Erhöhung in diesem Jahr eine Ausnahme machen will. Das finde ich ganz vernünftig.

    Vor kurzem haben Sie den Kollaps der Volksparteien beklagt, auch Ihrer Union. Nun wirken die wieder obenauf. Woran liegt das?

    Schäuble: Ich habe von einer geringeren Bindungskraft der Volksparteien überall in Europa gesprochen. Jetzt wächst das Vertrauen wieder, und das ist eine gute Erfahrung. Es zeigt, dass in Krisen das Wesentliche wieder besser wahrgenommen wird.

    Aber selbst der eher mäßige Krisenmanager Donald Trump legt in Umfragen zu. Es ist halt die Stunde der Exekutive.

    Schäuble: Die Situation in den USA will ich als Bundestagspräsident nicht bewerten. Lassen Sie uns in Deutschland bleiben: Wenn die Verantwortlichen in der Krise ihre Verantwortung gut wahrnehmen, wächst eben das Vertrauen. Das Parlament ist dabei unverzichtbar. Wir geben der Regierung den notwendigen Spielraum, achten gleichzeitig aber darauf, dass die Prinzipien parlamentarischer Demokratie nicht außer Kraft gesetzt werden.

    Schäuble: "Diese Krise kann auch etwas sehr Heilsames sein"

    Es ist gerade verpönt, über Machtoptionen zu sprechen, aber es wird ja auch ein Leben nach Corona geben: Wie beeinflusst diese Krise etwa den Auswahlprozess in der Union?

    Schäuble: Dazu wird sich der Bundestagspräsident in Interviews nicht äußern. Im Übrigen habe ich als CDU-Mitglied von meiner Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer wie auch von den drei Kandidaten, die sich um ihre Nachfolge bewerben, die Erklärung gehört, dass es jetzt wichtigere Fragen gibt als diese. Das finde ich richtig und unterstütze es.

    Sie zitieren gerne Hölderlin, der geschrieben hat, dass in der Gefahr das Rettende wachse. Gilt das sogar für die Corona-Krise?

    Schäuble: Ohne Frage. Das menschliche Leben ist getragen von der Hoffnung. Ohne Hoffnung können wir nicht leben. Diese neue Urerfahrung der Menschen, dass wir eben gar nicht alles selbst entscheiden können, führt dazu, dass wir etwas demütiger werden. Zugleich müssen wir bedenken, dass wir weder Grund noch Recht haben, zu resignieren und zu verzweifeln. So kann diese Krise auch etwas sehr Heilsames sein. Und dann hat mein Landsmann Hölderlin schon wieder recht gehabt.

    Über alle wichtigen Entwicklungen bezüglich der Corona-Krise informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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