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Interview mit SPD-Chef: Walter-Borjans: Bürgergeld statt Hartz IV wird höher, einfacher und unterstützend

Interview mit SPD-Chef

Walter-Borjans: Bürgergeld statt Hartz IV wird höher, einfacher und unterstützend

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    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans im Interview: "An Nikolaus ist GroKo-Aus."
    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans im Interview: "An Nikolaus ist GroKo-Aus." Foto: Janine Schmitz, Photothek/Imago-Images

    Herr Walter-Borjans, wie lief die erste Runde der Koalitionsverhandlungen mit Grünen und der FDP?

    Norbert Walter-Borjans: Es war die Fortsetzung der guten Atmosphäre, die wir bei den Sondierungen hatten. Wir haben in einer sehr konstruktiven Grundhaltung zusammengefunden. Wir wissen, dass wir drei verschiedene Parteien sind. Wir wissen, dass in diesem Land viel zu tun ist. Wir wissen, dass wir gerade hier eine große Übereinstimmung haben. Wir brauchen wirklich einen Modernisierungsschub, einen Schub beim Klimaschutz, aber eben mit sozialer Verantwortung. Dass wir gut miteinander umgehen, sehen Sie unter anderem daran, wie diskret wir die Ergebnisse behandeln, wenn das so vereinbart ist. Das ist ein Riesenunterschied zu Gesprächen, die wir mit unserem bisherigen Koalitionspartner hatten.

    Sie versprechen nicht weniger als einen Aufbruch für Deutschland. Obwohl sie vertrauensvoll miteinander umgehen, stehen SPD, Grüne und FDP für verschiedene Milieus und Weltanschauungen. Das muss doch bei den Verhandlungen für Reibung sorgen?

    Walter-Borjans: Es wäre wirklich seltsam, wenn drei so unterschiedliche Partner feststellen würden, dass sie alle eigentlich zur gleichen Partei gehören. Das soll auch nicht sein. Das erwarten die Wählerinnen und Wähler auch nicht. Aber sie erwarten, dass man jetzt das Land in den Vordergrund stellt und seine Arbeit macht. Und diesen Geist gibt es. Die SPD will das und steht geschlossen dahinter.

    Mindestlohn auf zwölf Euro und bezahlbare Wohnungen: SPD will investieren

    Was sind denn für die SPD die drei wichtigsten inhaltlichen Punkte, die sie in den nächsten Wochen mit nach Hause nehmen wollen?

    Walter-Borjans: Ich erwarte von anderen, dass sie keine Vorfestlegungen treffen, und das gilt auch für uns. Aber wir haben im Wahlkampf gesagt, die Menschen brauchen soziale Sicherheit, auf die sie setzen können. Deshalb wollen wir den Mindestlohn auf zwölf Euro anheben. In Deutschland würden davon zehn Millionen Beschäftigte profitieren. Ganz oben steht für uns auch, dass es Verlässlichkeit für das Alter gibt. Die Rente muss zum Leben reichen. Das ist nicht nur ein Thema für die jetzigen Rentner, sondern auch für die Jüngeren. Das Thema Wohnen ist für Bürgerinnen und Bürger eine zentrale Daseinsfrage. Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn Menschen 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens nur für die Miete zahlen müssen. Deshalb wollen wir 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, von denen ein großer Teil zu bezahlbaren Mieten vergeben wird. Und wir dürfen auch nicht länger zulassen, dass nur die Kinder ihre Talente entfalten, die aus abgesicherten Verhältnissen kommen. Deshalb wollen wir die Kindergrundsicherung einführen, damit alle sich entfalten können, egal wie viel ihre Eltern verdienen. Der Klimaschutz ist für uns ebenfalls im Zentrum, vor allem mit sozialverträglicher Umsetzung. Das haben wir schon bei der Sondierung verabredet. Jetzt geht es darum, das konkret zu unterlegen.

    SPD-Chef Walter-Borjans für Inbetriebnahme von Nord Stream 2

    Sie haben eben gesagt, es brauche einen Schub für den Klimaschutz. Die Klimapolitik erlebt gerade eine erste Belastungsprobe. Das Heizen wird teurer, die Spritpreise liegen auf einem Rekordhoch. Pendler bekommen das zu spüren. Können Sie sich denn da Entlastungen vorstellen?

    Walter-Borjans: Wir werden zum Beispiel dafür sorgen, dass noch in dieser Legislaturperiode der Strompreis nicht mehr durch die EEG-Umlage belastet wird. Dass wir die abschaffen wollen, war Teil unseres Wahlprogramms und ist Teil der gemeinsamen Verabredungen. Der derzeitige Preisanstieg bei Gas und Kraftstoffen hat drei ganz unterschiedliche Ursachen. Die CO2-Steuer hat daran den kleinsten Anteil. Entscheidender ist der Nachholeffekt nach der Corona-Pandemie, weil die Wirtschaft nicht in einem Rutsch wieder in Gang kommt und weil die befristete Senkung der Mehrwertsteuer endete. Und im Augenblick treibt die Lieferpolitik Russlands die Energiekosten nach oben...

    Stichwort Putin - aus dem Kreml gibt es die Signale, dass Russland mehr Gas liefern würde, wenn die neue Pipeline Nord Stream 2 eine Genehmigung bekommt. Mehr Angebot würde wahrscheinlich zu sinkenden Preisen führen. Die Grünen wollen sich aber nicht von Putin erpressen lassen und keine schnelle Genehmigung erteilen. Wie ist da Ihre Haltung?

    Walter-Borjans: Unabhängigkeit sichert man meiner Meinung nach nicht dadurch, dass man Verbindungen zu anderen kappt, sondern dass man möglichst viele Verbindungen zu möglichst vielen Partnern hat. Die Lieferanten kann man sich leider selten nach der Sympathie für ein politisches System aussuchen, das ist beim Öl ganz genauso. Trotzdem engagiert sich gerade Deutschland für die Einhaltung grundlegender Standards und beteiligt sich ja auch an europäischen Wirtschaftssanktionen. Es geht in diesem Fall aber nicht um Handel, sondern um eine Infrastruktur, die uns hilft, den Übergang unseres hochindustrialisierten Landes zur Klimaneutralität zu schaffen. Parallel dazu müssen wir selbstverständlich zügig die Erneuerbaren ausbauen.

    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans pricht sich für die Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 aus.
    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans pricht sich für die Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 aus. Foto: Jens Büttner, dpa

    Als besonders kniffliges Thema der Ampel-Verhandlungen gelten die Finanzen. Die Schuldenbremse soll eingehalten werden, Steuererhöhungen soll es nicht geben und sie wollen trotzdem massiv investieren in Bildung, den modernen Staat und die Infrastruktur. Sie waren ja einmal Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Wie soll das zusammengehen?

    Walter-Borjans: Nicht nur die Experten, sondern auch die am Tisch Versammelten sind sich in einem einig: Wir hab einen erheblichen Investitionsbedarf, der sehr viel Geld kostet. Von der Infrastruktur über das Thema Wasserstoff, Transformation der Wirtschaft zur Klima-Neutralität, aber eben auch für Bildung und bezahlbares Wohnen.

    Also was tun? Sie wollen ja mehr staatliche Investitionen.

    Walter-Borjans: Die Schuldenbremse bietet ja Spielraum für sinnvolle Investitionen. Das sind einige Milliarden. Darüber hinaus haben wir staatliche Institutionen, die öffentliche Investitionen ermöglichen. Die KfW, die Autobahngesellschaft, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben können Kredite aufnehmen, um Zukunftswerte zu schaffen. Dabei muss immer sichergestellt werden, dass das Ganze einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt und nicht intransparent wird.

    Sie haben sich mit Grünen und FDP bereits darauf verständigt, dass die nächste Koalition härter gegen Steuerbetrug vorgehen will. Als Steuer-CD-Einkäufer ist das ja Ihr Spezialgebiet. Was stellen Sie sich vor?

    Walter-Borjans: Wir werden die Geldwäsche strenger bekämpfen. In Berlin zum Beispiel belastet die Geldwäsche im Immobilienbereich den Wohnungsmarkt. Wir werden festlegen, dass der Erwerb von Immobilien aus nachweislich versteuertem Geld erfolgen muss. Es darf nicht sein, dass jemand für ein Mehrfamilienhaus Millionen Euro bar über die Theke schiebt, da darf man vermuten, dass das nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Diese gemeinsame Position trägt auch die FDP ausdrücklich mit. Und wir werden die Schwarzgeld-Bekämpfung bei der Financial Intelligence Unit verstärken. Olaf Scholz hat als Finanzminister die Zahl der Mitarbeiter vervielfacht. Aber die immer größere Zahl an Verdachtsmeldungen verursacht weiterhin einen erheblichen Rückstau. Da muss was passieren, auch wenn mehr Personal und Expertise erstmal Geld kosten. Aber unter dem Strich bringt der Kampf gegen Geldwäsche mehr Einnahmen und mehr Gerechtigkeit.

    Neues Bürgergeld soll laut SPD-Chef höher und einfacher als Hartz-IV werden

    Die SPD hat intern lange unter Agenda2020 und den Hartz-IV-Reformen gelitten. Jetzt soll aus dem Arbeitslosengeld II ein Bürgergeld werden. Wird das nur ein schönerer Name oder ändert sich etwas für die Betroffenen?

    Walter-Borjans: Für das neue Bürgergeld wird die Formel gelten: höher, einfacher und unterstützender. Bei der Höhe muss man die Regelsätze überprüfen, wie bedarfsgerecht sie sind. Einfacher bedeutet, dass es nicht sein darf, dass Menschen ein Anrecht haben, aber oft an bürokratischen Hürden scheitern. Vieles kann automatisierter mit weniger kompliziertem Aufwand laufen. Menschen sollen nicht als Bittsteller dastehen, um an ihr Existenzminimum zu kommen, ihnen steht wie jedem und jeder der Respekt als Bürger und Bürgerinnen zu. Unterstützend heißt, dass der Staat seine Fürsorge für diesen Bereich der Gesellschaft wirklich ernst nimmt. Wir müssen andere Wege als existenzgefährdende Sanktionen finden, damit Menschen ihre Mitwirkungspflicht erfüllen. Sie dürfen weder in eine Parallelgesellschaft geschoben werden, noch sich selber dahin abseilen können. Sie sind Teil der Allgemeinheit, haben aber auch eine Mitwirkungspflicht für diese Allgemeinheit.

    Walter-Borjans: "An Nikolaus ist GroKo-Aus"

    Die SPD sorgt dafür, dass mit Bärbel Bas als Bundestags-Präsidentin immerhin eine Frau mit an der Staatspitze steht. Ist damit alles klar für die zweite Amtszeit von Frank Walter Steinmeier als Bundespräsident?

    Walter-Borjans: Ich habe Frank-Walter Steinmeier ermutigt, die Bereitschaft für eine zweite Amtszeit zu erklären. Ich finde, dass wir einen sehr guten Bundespräsidenten haben. Die Frage des Bundespräsidenten darf nichts mit den Koalitionsverhandlungen zu tun haben. Am Ende entscheiden die Mehrheiten in der Bundesversammlung. Ein Geschacher widerspricht der Würde des Amtes. Dass Bärbel Bas als Bundestags-Präsidentin die besten Chancen hat, kann ich nur begrüßen. Ich schätze ihr großes politisches Geschick und ihre fachliche Expertise - und als Nordrhein-Westfale vor allem auch, dass sie mit ihrer Art ihre Herkunft aus dem Ruhrgebiet nicht verleugnen kann und will.

    Frank-Walter Steinmeier soll erneut Bundespräsident werden, findet SPD-Vorsitzender Walter-Borjans.
    Frank-Walter Steinmeier soll erneut Bundespräsident werden, findet SPD-Vorsitzender Walter-Borjans. Foto: Annette Riedl, dpa

    Und was machen Sie um den 6. Dezember herum, wenn Olaf Scholz zum Kanzler gewählt werden sollte?

    Walter-Borjans: Diesmal sollte tatsächlich gelten: An Nikolaus ist GroKo-Aus. Das stimmt mich sehr zuversichtlich für die nächsten Jahre. Erstmal setze ich meine ganze Energie dafür ein, dass wir einen anständigen Koalitionsvertrag hinbekommen.

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