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Analyse: Israels Premier Netanjahu siegt – zum letzten Mal?

Analyse

Israels Premier Netanjahu siegt – zum letzten Mal?

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    Nach der Entscheidung per Mitgliedervotum: In seiner Likud-Partei bleibt Benjamin Netanjahu der Chef.
    Nach der Entscheidung per Mitgliedervotum: In seiner Likud-Partei bleibt Benjamin Netanjahu der Chef. Foto: Ariel Schalit, dpa

    Stehaufmännchen, begnadeter Instinktpolitiker, gewiefter Taktiker – so oder so ähnlich wurde Benjamin Netanjahu schon unzählige Male charakterisiert. Und jetzt stand der israelische Regierungschef erneut vor seinen Anhängern, um sich feiern zu lassen. Von einem „riesigen Sieg“ sprach der 70-Jährige am Freitag. Und tatsächlich hatte das Mitgliedervotum über die Führung der rechtskonservativen Likud-Partei ein klares Ergebnis: Netanjahu ließ mit 72,5 Prozent der Stimmen seinem Herausforderer Gideon Saar, der bei 27,5 Prozent landete, keine Chance. Und dennoch: Es könnte der letzte große Sieg von „Bibi“ – so nennen ihn die meisten Israelis – gewesen sein. Denn er mag zwar in seiner Partei gezeigt haben, dass er Herr im Haus ist. Auf ganz Israel bezogen sieht die Sache aber anders aus.

    Benjamin Netanjahu ist schwer angeschlagen. Ein Mann, dem sein Nimbus als unbesiegbarer Macher gerade unter den Händen zu zerbröseln droht. Zweimal ist es ihm nicht gelungen, nach Wahlen eine Regierung auf die Beine zu stellen. Wenn am 2. März erneut gewählt wird, erwarten nahezu alle Beobachter, dass die Pattsituation zwischen den beiden Lagern bestätigt wird. Dann droht die Verlängerung der bereits über ein Jahr andauernden politischen Blockade des Landes. Laut aktueller Umfragen könnte es dem Likud schaden, dass eine Mehrheit Netanjahu dafür verantwortlich macht, in gut zwei Monaten schon wieder in die Wahllokale gerufen zu werden.

    Den logischen Zeitpunkt für den Rücktritt hat Netanjahu verpasst

    Und dann ist da noch das drohende juristische Unwetter, das sich seit 2017 über dem Haupt des Premiers zusammenbraut. Netanjahu wurde im November 2019 von der Generalstaatsanwaltschaft nach umfassenden Ermittlungen in drei Fällen wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Spätestens dies wäre für jeden Regierungschef eines demokratischen Staates der logische Zeitpunkt gewesen, zurückzutreten. Doch Netanjahu dachte nicht daran – zum Schaden seines Landes. Nicht nur, dass er die Staatsanwaltschaft attackierte, er entwickelte krude Verschwörungstheorien und stilisierte sich als Opfer von aus dem Verborgenen agierenden Gegnern. Im Wahlkampf beklagt er regelmäßig, dass eine beispiellose Hexenjagd auf ihn im Gange sei. Ganz im Stile seines politischen Freundes US-Präsident Donald Trump. Anhaltspunkte für seine Behauptungen blieb Netanjahu schuldig. Dennoch halten viele seiner Anhänger unbeirrt zu ihrem Idol.

    Die Anklage gegen den israelischen Premierminister ist ein Hinweis dafür, dass die Justiz in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens funktioniert. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit war als Staatssekretär im Kabinett ein politischer Weggefährte Netanjahu, entschied sich aber für eine Anklage.

    Der langjährige Botschafter Israels in Berlin, Avi Primor, hegt schon lange den Verdacht, dass sich Netanjahu nur noch an sein Amt klammert, weil es ihm Immunität garantiert: „Eine echte Katastrophe. Die Bevölkerung ist tief gespalten. Die Anhänger von Netanjahu und dem Likud glauben an den Premierminister wie an einen Propheten. Ob er etwas richtig oder falsch gemacht hat, ob er Verbrechen begangen hat. Das hat religiöse Züge.“

    Netanjahu stand lange für wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit  

    Die Frage ist, ob das am 2. März reicht. Nach seiner erneuten Wahl zum Premier im Jahr 2009 gelang es Netanjahu, die Unterstützung vieler Israelis zu gewinnen, die sich nicht zum harten Kern der Wähler des Likud oder einer der religiösen Parteien zählen. Denn ohne Zweifel erstarkte Israel in seiner Amtszeit wirtschaftlich. Auch die Sicherheitslage stabilisierte sich – und das ist in einem Land, das sich erbitterter Feinde in unmittelbarer Nachbarschaft erwehren muss, viel wert. Dass Netanjahu im gleichen Zeitraum mit seiner aggressiven Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten eine Lösung im Dauerkonflikt mit den Palästinensern fast unmöglich gemacht hat, spielt innenpolitisch eine untergeordnete Rolle.

    Die misslungenen Versuche, eine Regierung zu bilden, und die Korruptionsvorwürfe haben jedoch Netanjahus Anziehungskraft auf gemäßigte Wähler verringert. Hinzu kommt, dass er bei Parteien, die als Koalitionspartner infrage kommen, als toxischer Politiker gilt. Ex-Militärchef Benny Gantz, der das moderat-konservative Bündnis Blau-Weiß anführt, kann sich eine Koalition mit dem Likud zwar vorstellen, aber eben nicht mit Netanjahu an der Spitze. Blau-Weiß hatte den Likud bereits bei der letzten Wahl im September 2019 knapp überholt.

    Die Wahl an 2. März könnte das Ende seiner politischen Karriere besiegeln 

    Sollte Benjamin Netanjahu im März ein drittes Mal in Folge daran scheitern, eine Regierung zu basteln, dürfte sein politisches Schicksal besiegelt sein. Er braucht also – mal wieder – ein sensationelles Comeback. Aber nun könnte eine neue Hürde den Premier schon vor der Wahl stoppen: In den nächsten Tagen steht eine weitere brisante juristische Entscheidung an: Es geht darum, ob ein Angeklagter überhaupt als Kandidat für das Amt des Regierungschefs ins Rennen gehen kann. Bis Sonntag soll Generalstaatsanwalt Mandelblit eine – eventuell vorentscheidende – Einschätzung dazu abgeben.

    Lesen Sie dazu auch: Netanjahu und das israelische Drama

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