Eigentlich sollen die letzten Soldaten der Nato im April das Land verlassen. Darauf aber warten die Taliban nur – um dann die ganze Macht an sich zu reißen.
Militärisch betrachtet ist der Einsatz der Nato in Afghanistan ein Fiasko. Fast 4000 Soldaten der westlichen Allianz und Zigtausende von Soldaten der afghanischen Armee haben am Hindukusch ihr Leben gelassen, die Taliban sind so stark wie nie und die Friedensgespräche mit der Regierung festgefahren. Der Kampf gegen Armut, Gewalt und Korruption hat etwas Verzweifeltes, wenn nicht gar Aussichtsloses angenommen. Wie schon nach der gescheiterten Invasion der Sowjets in den achtziger Jahren versinkt das Land auch nach fast 20 Jahren an der Seite des Westens im Chaos.
Die Regierung in Kabul ist zu schwach
Trotzdem wäre es ein kapitaler Fehler, wenn Amerikaner, Deutsche oder Niederländer ihre Truppen im Frühjahr wie ursprünglich geplant nach Hause holen. Im Moment ist es alleine die Präsenz der Nato, die die Taliban im neutralen Doha noch am Verhandlungstisch hält - ganz abgesehen davon, dass es schon eine politische Zumutung ist, mit Islamisten ihres Kalibers überhaupt verhandeln zu müssen. Die Regierung in Kabul aber hat weder die Kraft noch die Autorität, diesen Konflikt selbst zu entschärfen. Sie muss schon froh sein, wenn sie den Taliban am Ende eine Art friedliche Koexistenz abringen kann – einen Frieden, der diesen Namen auch verdient, wird es in Afghanistan womöglich auf Jahrzehnte hinaus noch nicht geben.
Der Westen steht damit vor einer schweren strategischen Entscheidung: Soll er das Land sich selbst überlassen, weil auch Billionen von Dollar und Hunderttausende von Soldaten es bisher nicht vor dem schleichenden Zerfall retten konnten? Soll er es riskieren, das Afghanistan noch einmal zu einer Brutstätte des globalen Terrors wird, ein Rückzugsraum für einen neuen Osama bin Laden? Oder versucht er, finanziell wie militärisch, die völlige Preisgabe des Landes an die Taliban doch noch zu verhindern? Ein rascher Rückzug der letzten Nato-Truppen wäre ja nichts anders als ein Freibrief für die selbst ernannten Gotteskrieger, sich Afghanistan ganz unter den Nagel zu reißen und ein Regime von rücksichtsloser religiöser Härte zu etablieren. Damit hätte auch der Westen, um im Jargon der Militärs zu bleiben, wie einst die Sowjetunion vor den Verhältnissen in Afghanistan kapituliert. Tausende von Soldaten wären umsonst gestorben, unter ihnen auch 59 deutsche.
In Afghanistan sind noch knapp 1100 deutsche Soldaten stationiert
Gemeinsam rein, gemeinsam raus: Auch wenn die Bundeswehr mit ihren knapp 1100 Mann im Norden des Landes bereits auf gepackten Kisten sitzt und Donald Trump im vergangenen Jahr ohne Rücksprache mit den Alliierten ganze Bataillone nach Hause beordert hat, braucht die Nato noch Geduld mit Afghanistan – und Afghanistan umgekehrt noch Hilfe bei der Ausbildung seiner eigenen Sicherheitskräfte, beim Wiederaufbau des Landes und seinen vorsichtigen demokratischen Gehversuchen. Dass die Taliban damit drohen, wieder verstärkt die westlichen Truppen anzugreifen, spricht ja Bände – sie sehen ihre Felle davonschwimmen. US-Präsident Joe Biden hat es mit dem Abzug der Truppen bei Weitem nicht so eilig wie sein Vorgänger und wird alles Weitere vom Verlauf der Gespräche in Doha abhängig machen.
Doch selbst wenn an deren Ende eine Art Friedensvertrag zwischen der Regierung und den Taliban stehen sollte: Wer, wenn nicht eine neutrale militärische Instanz, überwacht anschließend, ob der Vertrag auch eingehalten wird? Mag sein, dass die Nato ihr Mandat mit Doha als erfüllt betrachtet, an ihre Stelle aber müsste dann eine Blauhelmmission der Vereinten Nationen treten – ein Einsatz, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern kann und dem sich im Falle eins Falles auch die Bundeswehr nicht komplett verweigern könnte.
Lesen Sie dazu auch:
- Afghanistan und Irak: Trump ordnet Rückzug weiterer US-Truppen an
- Deutsche Rüstungsexporte in Milliardenhöhe in Krisenregion Nahost
- Deutschland meldet Nato Verteidigungsausgaben in Rekordhöhe
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Der Nato-Krieg in Afghanistan mit Hunderttausend getöteten Menschen und Kosten von Billionen-Dollar hat ein zerstörtes Land mit Korruption, Drogenanbau, Armut und Gewalt hinterlassen. Wann sehen die Nato-Staaten und auch die Bundesregierung ein, dass der Krieg gegen Afghanistan ein Fehler war und mit dem angerichteten Schaden und den vielen Toten nicht zu rechtfertigen ist? Wann überlässt man es der einheimischen Bevölkerung selbst über ihr Schicksal zu entscheiden als ihnen mit Krieg ein System aufzuzwingen, dass nicht zu ihnen passt? Wann greift die Einsicht, dass die Durchsetzung unserer geostrategischen Macht- und Wirtschaftsinteressen mit Krieg und Gewalt unendliches Leid für die dortige Bevölkerung verursacht? Die Vorstellung, dass die weitere Anwesenheit der Bundeswehr zu einem guten Ende für Afghanistan führen wird, ist mit dem bisherigen Fiasko nicht zu rechtfertigen und reines Wunschdenken, das noch viel Geld kosten wird.
>> ...hat ein zerstörtes Land mit Korruption, Drogenanbau, Armut und Gewalt hinterlassen. <<
Das war es vorher schon...
In der Kernaussage haben Sie sicher recht; man muss diesen rassistischen Krieg beenden. Die Menschen dort haben das Recht selbst Leistung zu bringen, Bildung zu fördern, Vielfalt und Frauenrechte zu leben und demokratisches rechtsstattliches Staatswesen aufzubauen.
Weil man sich nicht eingestehen will, das Billionen Dollar/Euro und das Blut tausender Soldaten umsonst waren, muss man damit einfach weitermachen? Was für eine absurde Logik und nur zu verstehen, wenn Kinderlose Politiker/innen so über das Leben von Soldaten/innen zu entscheiden haben. Gerade werfen die sich alle in die Brust - jeder (Covid-)Tote ist einer zu viel, eine Triage gilt es zu verhindern und gleichzeitig werden tausende Soldatinnen in die Blutmühle Afghanistan gesteckt. Für Nichts. Die Osamas dieser Welt können auch heute Afghanistan als Rückzugsort nutzen. Der Opium-Handel gedeiht. Faschistoide Islamisten bestimmen die Gesellschaft. Daran ändern Bundeswehrsoldaten, ohne starkes Mandat, die sich ihre Schutzausrüstung auf dem örtlichen Basar kaufen müssen, und wenn sie denn ihren Job machen, von den Berufsempörten in Deutschland vor Gericht und um ihre berufliche und soziale Existenz gebracht werden, gar nix.
Wer fordert, dass die BuWe dort bleiben soll, soll sich die Frage beantworten, ob er seine Kinder dorthin schicken würde.
Sehr guter Bericht, die Taliban haben ja in der Bevölkerung noch so viel Zustimmung, sonst wäre deren Stärke nicht machbar. Wenn dort ein Systemwechsel sattfinden soll, kann er nur von der eigenen Bevölkerung kommen aber nicht mit Gewalt von Außen.
Die Bundeswehr ist nicht von existentieller Bedeutung für Afghanistan, wird eher verzichtbar sein.
Der Kampfeinsatz der Koalition der "Willigen" bringt für Deutschland nichts. Im Gegensatz, denn erst seitdem die Koalition der Willigen sich in Afghanistan befindet, kommen von dort Flüchtlinge.
Nach 20 Jahren Kriegseinsatz hat sich dort nichts (sic!) relevant geändert. Die Taliban sind immer noch da.
Die Rechtsgrundlage des Kampfeinsatzes ist zudem sowieso fragwürdig. Man könnte auch von illegal nach der UN Charta ausgehen. Es wurde ein Land mit einer extremistischen fragwürdigen Regierung bombardiert und angegriffen, besetzt. Dieses Land hat aber keinen anderen angegriffen. Die Aktion war also keine Verteidigung. Die Bundeswehr und unsere Partner haben dort nichts zu suchen.
Warum? Afghanistan geht Deutschland nichts an. Das habe ich schon zu Beginn gesagt. Siehtr es unter dem Blickpiunkt Waffen testen, Ausrüstung testen ... na ja.