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Kommentar: Die Briten nerven - aber sie gehören zu Europa

Kommentar

Die Briten nerven - aber sie gehören zu Europa

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    Großbritannien ist immer auf Distanz zur EU geblieben, gehört weder der Eurozone noch dem die Reisefreiheit regelnden „Schengenraum“ an. Aber ein Europa ohne die Briten?
    Großbritannien ist immer auf Distanz zur EU geblieben, gehört weder der Eurozone noch dem die Reisefreiheit regelnden „Schengenraum“ an. Aber ein Europa ohne die Briten? Foto: Federico Gambarini, dpa, Archiv

    Der 23. Juni wird zum Schicksalstag für die Europäische Union. Das britische Volk entscheidet nach einem mit harten Bandagen geführten Wahlkampf, ob das Vereinigte Königreich in der EU bleibt oder Europa den Rücken kehrt. Es ist eine – offenbar auf Messers Schneide stehende – Abstimmung von historischer Tragweite. Nicht nur für Großbritannien, sondern für ganz Europa. Sagen die Briten „Yes“, bleibt der schon heute krisengeschüttelten EU eine weitere, womöglich sogar existenzbedrohende Krise erspart. Sagen die Briten „No“, steht die Zukunft der EU auf dem Spiel.

    Brexit: Ein verheerender Rückschlag

    Die Union wird gewiss nicht auseinanderbrechen. Auch werden Brüssel und London im Ernstfall Mittel und Wege finden, den volkswirtschaftlichen Schaden für beide Seiten zu begrenzen. Doch der kühne Traum von einem vereinten Europa, das sich mit vereinten Kräften im scharfen globalen Wettbewerb behauptet und mit seinen 500 Millionen Menschen eine maßgebliche Rolle in der Welt spielen kann, ist dann auf unabsehbar lange Zeit ausgeträumt. Der „Brexit“ wäre ein verheerender Rückschlag für das Einigungsprojekt.

    Es stimmt ja: Die Briten nerven. Sie sind schwierige Partner, die für sich seit 1973 viele Ausnahmen von gemeinsamen Regeln erkämpft haben. Großbritannien ist immer auf Distanz zur EU geblieben, gehört weder der Eurozone noch dem die Reisefreiheit regelnden „Schengenraum“ an. Aber ein Europa ohne die Briten: Das bedeutet ein schwächeres, ein politisch amputiertes Europa. Großbritannien hat die zweitgrößte Volkswirtschaft und die drittgrößte Bevölkerung der EU und bürgt für ein gewisses Gewicht Europas in der Außen- und Sicherheitspolitik. Gehen die Briten, droht überdies ein Dominoeffekt. Das Unbehagen an der EU, das sich auf der Insel vor allem aus der massenhaften Zuwanderung von (osteuropäischen) EU-Bürgern speist, wächst ja europaweit. Der erste Austritt eines Landes aus der EU könnte zur Blaupause für andere Staaten werden und würde populistischen, antieuropäischen Parteien weiteren Auftrieb verschaffen.

    Massiver Ansehensverlust der EU

    Die Briten müssen entscheiden, ob sie um ihrer nationalen Souveränität willen die ökonomischen Risiken eines Brexit in Kauf nehmen. In europäischem und deutschem Interesse ist ihr Verbleib in der EU. Gerade Deutschland braucht diesen Verbündeten, um sich in der EU gegen die staatsgläubige Phalanx der Südeuropäer und deren Pläne für eine Transfer- und Schuldenunion zu behaupten. Ohne die Briten und deren marktwirtschaftlichen Geist hat Deutschland einen noch schwereren Stand. Und ohne die Achse Berlin–London wird der Schwur des Lissabon-Vertrags, Europa mit solidem Wirtschaften und Reformen zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen, vollends in Vergessenheit geraten.

    Die Brexisten hätten keine Chance, wenn die zerstrittene EU in der Flüchtlingskrise entschlossen handeln würde und imstande wäre, die Bürger von den Vorzügen eines vereinten Europa zu überzeugen und wiederzugewinnen für die große europäische Idee. Der massive Ansehensverlust der EU ist auch das Resultat einer abgehobenen Politik, die ohne hinreichende demokratische Legitimation gemacht wird, ganz Europa in das Brüsseler Korsett zu zwängen versucht, Verträge (siehe die Eurokrise!) nach Belieben dehnt und der Debatte darüber ausweicht, was sinnvollerweise Sache der EU ist und was der übersichtlicheren nationalen Politik überlassen bleiben sollte. Die Briten sagen hoffentlich „Yes“. Aber wenn die europäischen Eliten in ihren Elfenbeintürmen glauben, anschließend einfach so weitermachen zu können wie bisher, dann begehen sie einen für die Zukunft Europas verhängnisvollen Irrtum.

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