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Kommentar: Die Gesellschaft muss die Pflege mehr wertschätzen

Kommentar

Die Gesellschaft muss die Pflege mehr wertschätzen

Rudi Wais
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    Eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft: Gesundheitsminister Jens Spahn versucht mit einer großen Pflegereform und mehreren Milliarden Euro dem Pflegemangel zu begegnen.
    Eine Wohn-Pflege-Gemeinschaft: Gesundheitsminister Jens Spahn versucht mit einer großen Pflegereform und mehreren Milliarden Euro dem Pflegemangel zu begegnen. Foto: Uwe Anspach, dpa

    Schon der Gedanke hat etwas Beängstigendes. Im hohen Alter von einem fremden Menschen gewaschen, gewickelt und gefüttert zu werden, als einer unter vielen in einem schon etwas in die Jahre gekommenen Heim. Wer noch mitten im Leben steht, verdrängt solche düsteren Bilder gerne – es sei denn, die eigenen Eltern oder Großeltern werden pflegebedürftig. In diesem Moment wird aus einem eher abstrakten Thema wie der Zukunft der Pflege in Deutschland plötzlich ein sehr konkretes.

    Reicht das Geld für ein Heim, in dem die Pflege nicht im Minutentakt durchrationalisiert ist? Bekommt meine Mutter die Zuwendung, die sie verdient? Ist Opa auf der Pflegestation nur noch einer unter vielen oder erfährt er auch auf der letzten Etappe seines Lebens noch Nähe und Empathie?

    Altenpfleger erhalten wenig Geld und wenig Anerkennung

    Solchen sehr emotionalen Fragen versucht Gesundheitsminister Jens Spahn nun mit einer großen Pflegereform und mehreren Milliarden Euro aus dem Steuertopf zu begegnen. Um mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen, sollen in Zukunft alle Heime nach Tarif bezahlen, was in der Branche weiß Gott keine Selbstverständlichkeit ist.

    Kinderlose sollen noch etwas mehr in die Pflegeversicherung einzahlen als bisher, während auf der anderen Seite der Eigenanteil für die stationäre Pflege gedeckelt werden soll. In der Summe sind das alles vernünftige, in Teilen schon überfällige Maßnahmen. Die entscheidende Frage allerdings beantwortet auch Spahn mit seiner Reform noch nicht: Wird der Beruf des Alten- oder Krankenpflegers durch ein paar hundert Euro mehr im Monat tatsächlich attraktiver?

    So sehr sie in der Corona-Krise für ihren Einsatz gefeiert werden: In einem Land, in dem es mehr freie Ausbildungsplätze als Bewerber gibt, sind die Pflegeberufe bei den Schulabgängern nicht die erste Wahl und vermutlich noch nicht einmal die zweite. Zu schlecht ist die Bezahlung, vor allem in der Altenpflege, zu gering die gesellschaftliche Anerkennung und zu groß oft die körperliche Belastung.

    Nach einer Studie der Universität Bremen fehlen alleine in Deutschlands Altenheimen im Moment 120.000 Vollzeitkräfte. Eine Ausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinderpflege aber haben im vergangenen Jahr nur 45.000 junge Menschen abgeschlossen – viel zu wenig, um auch nur annähernd den Bedarf zu decken, zumal der Anteil der Krankgeschriebenen und der Teilzeitbeschäftigten in der Pflege überdurchschnittlich hoch ist. Bis zu 500.000 Pflegestellen, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft, könnten daher im Jahr 2035 in Kliniken, Heimen und ambulanten Pflegediensten unbesetzt sein. Eine alarmierende Zahl!

    Den Pflegern lastet ein uncooles Image an

    Mit dem Anwerben von Pflegern und Pflegehelfern im Ausland wird sich diese Lücke nicht schließen lassen. Die Pflege hat, vor allem bei jungen Menschen, ein Imageproblem, weil sie irgendwie uncool ist und nur allzu häufig auf den Dreiklang Waschen-Wickeln-Füttern reduziert wird. Tatsächlich gibt es wenige Berufe, die so sinnstiftend, so bewegend und herausfordernd zugleich sind.

    Alten- und Krankenpfleger helfen Menschen durch die elementarsten Situationen ihres Lebens, sie übernehmen Verantwortung für andere und einen wesentlichen Teil der medizinischen Grundversorgung. Dies stärker herauszustellen und dabei gleichzeitig die ökonomischen Rahmenbedingungen zu verbessern – das ist die eigentliche Aufgabe der Politik und der Arbeitgeber in der Pflege.

    Ob Jens Spahn nun vier oder sechs Milliarden Euro in das System pumpt, spielt dabei noch die geringste Rolle. Wenn die Pflege in einer alternden Gesellschaft nicht selbst zum Pflegefall werden soll, muss diese Gesellschaft die Arbeit in der Pflege auch mit der Wertschätzung begegnen, die sie verdient.

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