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Kommentar: Die Politik darf sich nicht nur mit Corona beschäftigen

Kommentar

Die Politik darf sich nicht nur mit Corona beschäftigen

Stefan Lange
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    Ungewöhnliches Bild wegen der Corona-Krise: Die Parlamentarier halten bei der Sitzung des Bundestages Sicherheitsabstand.
    Ungewöhnliches Bild wegen der Corona-Krise: Die Parlamentarier halten bei der Sitzung des Bundestages Sicherheitsabstand. Foto: Michael Kappeler, dpa (Symbol)

    Vieles steht gerade still, weil das Coronavirus es so will. Der Unterschied: Theater- oder Konzertbesuche gehören wie einige andere Freizeitvergnügungen zu den Dingen, auf die sich in der Corona-Krise verzichten lässt. Regierungsarbeit gehört sicherlich nicht dazu.

    Bundesregierung und Bundesministerien allerdings haben ihre Arbeitskraft wegen Corona gerade runtergefahren. „Homeoffice“ ist das Schlagwort der Stunde, es werden auch dort Beamte nach Hause geschickt, wo die Einzelbüros zahlreich und die Flure weit sind, wo es also Raum gibt, um den nötigen Sicherheitsabstand einzuhalten. Wer übrig bleibt, wird für den Kampf gegen das Coronavirus eingesetzt. Diese Fokussierung ist grundsätzlich richtig. Allerdings stellt sich hier die gleiche Frage, wie sie sich in der Wirtschaft stellt: Wie lange halten wir das durch?

    Außen- und innenpolitisch stagniert das Land trotz der mehr als 200.000 Beschäftigten in den Bundesministerien. EU-Themen wie die Digitalisierung, der mehrjährige Finanzrahmen und zuvorderst die Flüchtlingskrise finden nicht statt. Kinder leben an der griechischen Grenze im Matsch, weil Deutschland und andere Länder sich gerade nicht in der Lage sehen, sie aufzunehmen.

    Bundestag diskutiert fast nur noch über Corona

    Kann in der Innenpolitik ein Thema wie die Wasserstoffstrategie wegen Corona warten? Wer die Regierung nach dem aktuellen Stand fragt, bekommt auch hier den Corona-Joker gezeigt. Man wolle die Wasserstoffstrategie weiterhin zügig durch das Kabinett bringen, aber im Moment gebe es „natürlich auch ein paar andere Herausforderungen, die zu bewältigen sind“.

    Dabei könnte eine Wasserstoffwirtschaft bis zu eine halbe Million neue Arbeitsplätze schaffen, was angesichts der zu erwartenden Konjunkturdelle ein erfreulicher Zuwachs wäre. Es macht deshalb keinen Sinn, den Ausbau aufs Corona-Ende zu verschieben.

    Auch der Bundestag droht wegen Corona ins Hintertreffen zu geraten. Aus Sicherheitsgründen gab es in der letzten Woche aber nur eine einzige Plenarsitzung, bei der neben dem Bundeswehreinsatz im Irak ausschließlich Corona-Themen beraten wurden. Einen zweiten oder dritten Sitzungstag gab es schon nicht mehr. Wobei sich die Frage stellt, warum die Abgeordneten in ihren geschützten Räumen weniger ins Risiko gehen wollen als die, die sie zuvor noch mit stehenden Ovationen bedachten: Polizisten, Verkäufer, Krankenpfleger. Der Bundesrat hat gezeigt, dass es auch anders geht und über Corona hinaus zahlreiche Beschlüsse gefasst.

    Zwei Drittel der Deutschen verzichten für Corona gerne auf Rechte

    Die Regierung greift gerade so tief in die Grundrechte ein wie lange nicht mehr. In der Bevölkerung wird sie dabei kaum auf Widerstand stoßen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup International Association zufolge sind 71 Prozent der Deutschen bereit, wegen der Krise auf einen Teil ihrer Menschenrechte zu verzichten. Aufgabe des Parlaments ist es, hier anzusetzen, zu diskutieren, Falschinformationen entgegenzutreten und seiner Wächterfunktion nachzukommen. Die Diskussion über die Verwendung von Handydaten zur Identifizierung von Infizierten beispielsweise wird gerade überwiegend auf Regierungsebene geführt. Sie gehört aber ins Parlament.

    Vieles von dem, was unter dem Druck der Corona-Krise gerade beschlossen wird, mag notwendig erscheinen. Die Folgen sind vielfach jedoch nicht absehbar und müssen jeden Tag aufs Neue bewertet werden. Deswegen braucht es funktionierende Ministerien, eine Regierung, die nicht nur im Notmodus arbeitet, und vor allem ein voll einsatzbereites Parlament. Und zwar jetzt. Nicht erst, wenn die Krise vorbei ist.

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