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Kommentar: Die neuen Realitäten kommen aus dem Osten

Kommentar

Die neuen Realitäten kommen aus dem Osten

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    Am Sonntag wurde in Thüringen gewählt. Was das Ergebnis über die Ostdeutschen aussagt.
    Am Sonntag wurde in Thüringen gewählt. Was das Ergebnis über die Ostdeutschen aussagt. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbol)

    Seit nunmehr fast 30 Jahren gehören die neuen Länder zu den alten. Jetzt, eine Generation später, muss der Westen auf den Osten blicken, um seine eigene politische Zukunft zu sehen. Der abgehängte, kleine und ärmere Osten zeigt dem großen, reichen und dominanten Westen, wie sich das politische System entwickelt. Nicht in Gänze, aber doch in wesentlichen Ausprägungen. Die Stabilität des westdeutschen Parteiengefüges ist Geschichte. Die Große Koalition in ihrem Leid ist seine letzte Zuckung.

    In Thüringen lässt sich beobachten, wie zuletzt auch in Sachsen und Brandenburg, dass es schwierig wird, überhaupt eine Regierungsmehrheit zusammenzuzimmern. Durchregieren war gestern. Bündnisse aus drei Parteien werden die neue Realität. Minderheitenkabinette werden ernsthaft diskutiert, weil selbst drei Koalitionspartner manchmal nicht genügend Masse aufbringen.

    Flaggen afrikanischer Staaten müssen dafür herhalten, den Farbenspielen einen Namen zu geben. Plötzlich ist die Thüringer CDU gezwungen, über eine Tolerierung einer Regierung der SED-Nachfolger nachzudenken. Spitzenkandidat Mike Mohring hat erklärt, das bislang Undenkbare tatsächlich zu tun. Den Wählern in Ostdeutschland wäre es übrigens recht. Je zwei Drittel derer, die für CDU oder Linke gestimmt haben, halten nichts davon, an alten Tabus festzuhalten. Der Thüringer CDU-Fraktionsvize wiederum kann sich sogar eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen.

    Nach der Wahl in Thüringen: Kirchen haben im Osten nur wenig Bedeutung

    Während die CDU-Spitze im westdeutsch geprägten Konrad-Adenauer-Haus den Dammbruch irgendwie zu verhindern sucht, werden im Osten schon eifrig Löcher gebohrt. Die Wähler haben entschieden. Die Ostdeutschen haben nie eine so feste Bindung an die etablierten Parteien aufgebaut, wie sie sich in Westdeutschland entwickelt hat. Die Kirchen haben nur wenig Bedeutung.

    Die Wähler wechseln viel schneller das Pferd, machen mal hier, mal dort ihr Kreuz. In einzelnen Großstädten im Ruhrgebiet haben mehr Menschen ein SPD-Parteibuch als in ganzen Landesverbänden zwischen Ostsee und Erzgebirge. Freilich, die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD bestimmten auch in den neuen Ländern die Politik für lange Zeit. Die Abstürze der letzten Jahre sind aber brutaler.

    Eine Besonderheit im Osten sind die Stärke der Linken und der AfD. Sie haben die Wut und den Frust aufgesogen, die sich aus der Verelendung der Ost-Wirtschaft und dem Exodus der Jungen gebildet haben. Anders als in den alten Ländern war die Linke, oder ihre Vorgängerin PDS, im Osten nie ein Paria. Sie zählt dort zur politischen Mitte, hat in vielen Landesregierungen Minister gestellt.

    Ostdeutsche reagieren teilweise allergisch auf Medien

    Die AfD hat der Linken mittlerweile den Titel Ost-Partei entrissen, auch wenn der Erfolg Bodo Ramelows den Wachwechsel überdeckt. Die Alternative für Deutschland profitiert dabei von zwei Gegebenheiten: Erstens sind die Vorurteile gegen Ausländer und Flüchtlinge größer. Zweitens reagieren Ostdeutsche allergischer, wenn Zeitungen und die Fernseh- und Radiosender nicht das aussprechen, was aus ihrer Sicht tatsächlich ist.

    Auch in einigen West-Bundesländern kommt die AfD schon auf über zehn Prozent. Weil der Migrationsdruck auf Europa wegen der Krisen in Afrika und dem Nahen Osten hoch bleibt und die Integration der Flüchtlinge schwierig wird, hat die AfD aber Chancen, ihre Ergebnisse zu steigern. Dann könnten auch in den alten Ländern die Debatten beginnen, die heute schon in den neuen geführt werden. Von den Politikern verlangt das mehr Kompromissbereitschaft und weniger Profilierung. Die Lage wird unübersichtlicher.

    Lesen Sie dazu auch: Das sind die 5 wichtigsten Lehren aus der Thüringen-Wahl

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