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Kommentar: Wenn's ums Fleisch geht, sind wir alle Sklavenhalter

Kommentar

Wenn's ums Fleisch geht, sind wir alle Sklavenhalter

Matthias Zimmermann
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    Die Fleischindustrie setzt auf Masse.
    Die Fleischindustrie setzt auf Masse. Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    Mit Ausreden kommt diesmal niemand mehr weit. Schon wieder gibt es einen Skandal um deutsche Schlachthöfe. Diesmal geht es vordergründig nicht um Hygienemängel oder Tiere, denen bei vollem Bewusstsein Schmerz zugefügt wird. Plötzlich redet das ganze Land über die Lebensbedingungen der in großer Zahl osteuropäischen Schwerarbeiter in den industriellen Schlachtbetrieben. Dabei sind die himmelschreienden Zustände seit Jahren bekannt: Die Arbeiter werden von Sub- oder gar Subsubunternehmen in ihrer Heimat angeworben, um dann für Billigstlöhne in der deutschen Fleischindustrie die Blut- und Knochenjobs zu erledigen.

    So viel Fleisch wird in Deutschland produziert

    Im Jahr 2019 haben die gewerblichen Schlachtbetriebe in Deutschland nach vorläufigen Ergebnissen knapp 60 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde geschlachtet. Einschließlich des Geflügels erzeugten die Unternehmen insgesamt knapp 8,0 Millionen Tonnen Fleisch.

    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sank die erzeugte Fleischmenge damit gegenüber 2018 um 1,4 Prozent. Der Rückgang ergibt sich aus der geringeren Schweinefleischerzeugung, die um 3 Prozent zurückging. Die Produktion von Rind- und Geflügelfleisch hingegen ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

    Betrachtet man die Entwicklung der Fleischmengen über die vergangenen zehn Jahre, zeigt sich insbesondere beim Geflügelfleisch eine deutliche Veränderung: Von 2009 bis 2019 ist die Menge an erzeugtem Geflügelfleisch um 22 Prozent gestiegen, während die Menge an Schweine- und Rindfleisch – mit leichten Schwankungen in einzelnen Jahren – etwa auf dem gleichen Niveau geblieben ist.

    Meist sprechen sie kein oder nur gebrochen Deutsch, haben kaum eine Vorstellung von ihren Rechten, geschweige denn Zeit oder Unterstützung, um diese einzufordern. Sie leben vielfach eingepfercht auf engstem Raum in schäbigen Unterkünften. Weil das Coronavirus dort ideale Verbreitungsbedingungen findet, ist ihre Lage plötzlich zum Problem für die Fleischbarone geworden. Nicht weil es den Menschen dreckig geht wohlgemerkt, sondern weil diese Existenzen am Rande der Gesellschaft plötzlich eine latente Gefahr für alle anderen sind. Das ist der eigentliche Skandal an der Geschichte. Gewerkschaften und Medien berichten seit Jahren von den unhaltbaren Zuständen. Doch selbst wenn nicht allen Politikern, die nun Besserung versprechen, Scheinheiligkeit vorzuwerfen ist: Wahlen waren mit der Forderung nach Reformen nie zu gewinnen.

    Deutschland ist zum Schlachthaus Europas geworden

    Die Coronakrise legt nun das soziale und ethische Versagen unserer Gesellschaft offen. Wenn Arbeitsminister Heil seine Ankündigungen wahr machen kann, und Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie verboten werden sollten, ist dies sicher nicht falsch. Es greift nur leider viel zu kurz. Das ganze System ist krank. Es hat sich eine ganze Industrie darauf gebildet, Fleisch zu einer Ramschware zu machen. Die wenigen Profiteure dieses Systems setzen ganz auf Masse. Über 55 Millionen Schweine wurden vergangenes Jahr in Deutschland geschlachtet. Wir sind zum Schlachthaus Europas geworden, zu einem der führenden Fleischexporteure der Welt.

    Doch um bei so niedrigen Preisen noch Profit zu machen, müssen die Kosten an allen Ecken runter. Den Preis zahlen die Arbeiter, die unter fast schon sklavenartigen Bedingungen schuften müssen. Den Preis zahlen aber auch die Tiere. Gerade erst hat der Ethikrat eine Stellungnahme zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren abgegeben. Das Dokument sollte mit jeder Packung Fleischwurst oder Grillfleisch im Supermarkt oder Discounter ausgegeben werden. Einstimmig bescheinigen die Experten der deutschen Agrarpolitik, dass die derzeitige Massentierhaltung in Deutschland nicht einmal Mindeststandards eines unter ethischen Gesichtspunkten akzeptablen, oder auch nur tierschutzgesetzlichen Vorgaben entsprechenden Umgangs mit Nutztieren erfüllt. Tierwohl kostet Geld – und das fehlt im ganzen System. Den Preis für die vermeintlich so billigen Fleischpreise zahlen wir auch an anderer Stelle: Der Verzehr von zu viel rotem Fleisch wird in Zusammenhang mit vielen Gesundheitsproblemen gebracht, darunter Herz- und Gefäßkrankheiten oder Krebs.

    Die Zukunft heißt: weniger Fleisch, aber besser erzeugtes

    Dieses System aus immer mehr und immer billiger ist nicht reformierbar. Aber ein Ausstieg funktioniert nicht von heute auf morgen. Wenn die Coronakrise hilft, den Strukturwandel endlich einzuleiten, hat sie wenigstens ein Gutes. Die Zukunft heißt: weniger Fleisch, aber besser erzeugtes. Der Respekt vor dem Leben der Tiere führt auch zu mehr Respekt den Menschen gegenüber.

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