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Suizidhilfe: Landesbischof: "Es sollte keine organisierte Sterbehilfe geben"

Suizidhilfe

Landesbischof: "Es sollte keine organisierte Sterbehilfe geben"

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    Bisher ist aktive Sterbehilfe in Deutschland strafbar; eine Mehrheit in Deutschland befürwortet aber eine Erlaubnis.
    Bisher ist aktive Sterbehilfe in Deutschland strafbar; eine Mehrheit in Deutschland befürwortet aber eine Erlaubnis. Foto:  Symbolbild: Oliver Berg (dpa)

    Heinrich Bedford-Strohm ist der evangelische Landesbischof in Bayern und wurde 1960 in Memmingen geboren. Im Interview warnt er vor organisierter und kommerzieller Sterbehilfe. Und er erklärt, warum die Mehrheit der Deutschen anderer Meinung ist.

    Herr Bedford-Strohm, würden Sie Ihre Frau in die Schweiz begleiten, wenn diese todkrank wäre und dort Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte?

    Bedford-Strohm: Ich habe mit meiner Frau darüber intensiv gesprochen. Das Ergebnis ist, dass sich diese Frage nicht stellt. Wenn ich vor eine solche Entscheidung gestellt würde, dann müsste ich meinem Gewissen folgen. In jedem Fall würde ich organisierte Sterbehilfe persönlich ablehnen. Das ist für mich ganz klar.

    Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat die Frage bejaht.

    Ich habe größten Respekt vor dem, was er gesagt hat. Er wurde allerdings von manchen missverstanden.

    Schneider sagte, er würde wohl seine krebskranke Frau aus Liebe in die Schweiz begleiten, auch wenn es „völlig“ gegen seine Überzeugung wäre. In der Schweiz bieten Vereine wie „Exit“ oder „Dignitas“ Suizidbegleitung an.

    Eben. Er sagte: „aus Liebe“ und „gegen meine Überzeugung“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Ehemann seine Frau alleine sterben lassen würde. Schneider hat an keiner Stelle die Position der EKD, die ja auch seine eigene ist, in irgendeiner Weise aufgeweicht. Er sagt heute wie früher, dass er aktive Sterbehilfe oder eine organisierte und erst recht kommerzialisierte Hilfe zum Sterben ablehnt.

    Sterbehilfe: Die Rechtslage in Deutschland

    Der Bundestag will die Sterbehilfe in Deutschland reformieren. Ein Überblick über Rechtslage und Reformüberlegungen:

    Aktive Sterbehilfe: Sie ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.

    Passive Sterbehilfe: Gemeint ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Laut Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht.

    Indirekte Sterbehilfe: Die Gabe starker Schmerzmittel, die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen können, ist nicht strafbar, wenn sie dem Patientenwillen entspricht. Eine Übersicht über die solche Fälle in Kliniken gibt es nicht.

    Beihilfe zum Suizid: Ein Mittel zur Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt, ist nicht strafbar. Die Ärzteschaft hat sich allerdings in ihrem Berufsrecht das Verbot auferlegt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.

    Reformpläne: Organisierte Sterbehilfe soll verboten werden. Vereinigungen sollen keine Tötungshilfe als Serviceangebot anbieten dürfen. Doch die unterschiedlichen Positionen verlaufen quer durch die Fraktionen des Bundestages. Es wird wahrscheinlich mehrere Gruppenanträge von Abgeordneten geben und am Ende eine Abstimmung ohne Fraktionszwang.

    Organisierte Suizidhilfe sollte nicht länger möglich sein

    Schneider wurde mehr oder weniger deutlich kritisiert. Der katholische Passauer Bischof Stefan Oster gab zum Beispiel im Gespräch mit unserer Zeitung zu bedenken: „Ist der Glaube der Kirche nur abstrakte Lehre oder erfüllt er wirklich mein Leben – und zwar auch und gerade dann, wenn es schwer wird?“

    Wenn damit gemeint sein sollte, dass Schneider von der Position seiner Kirche abweichen würde, hätte man ihn absolut falsch verstanden. Der eigentliche moralische Skandal wäre es doch, wenn ein Ehemann seine Frau bewusst in dieser Situation allein lassen würde.

    Der Bundestag wird bis Ende 2015 über eine gesetzliche Neuregelung der Suizidbeihilfe debattieren ...

    ... und der Gesetzgeber darf die organisierte oder gar kommerzielle Suizidbeihilfe nicht länger ermöglichen. Sie darf nicht zu einer normalen Option werden.

    Die Kirchen werden es schwer haben, mit ihrer Haltung durchzudringen: Zwei Drittel der Deutschen sind einer aktuellen Umfrage zufolge dafür, aktive Sterbehilfe zu erlauben. 60 Prozent würden sogar Sterbehilfe-Organisationen weiter zulassen.

    Die Kirchen reden von ihrer Botschaft her und orientieren sich nicht an Umfragen. Wenn es wirklich darum geht, sich töten zu lassen, ändern viele Menschen ihre Meinung. Wenn sie erfahren, dass sie liebevoll und medizinisch optimal betreut bis in den Tod begleitet werden, fällt ihre Antwort oft völlig anders aus als vielleicht in einer Umfrage.

    Das heißt?

    Das heißt: Wir müssen Menschen, die vor dem Lebensende stehen, optimale Rahmenbedingungen schaffen. Davon sind wir noch weit entfernt. Die Palliativmedizin muss ausgebaut werden. Denn sie wird nicht in dem Maße gefördert, in dem es notwendig wäre. Und wir brauchen eine pflegerische Versorgung in den Hospizen und Pflegeheimen, die diesen Namen auch verdient. Der Personalschlüssel etwa muss höher werden. Das müssen wir mit dem neuen Gesetz unbedingt verknüpfen.

    Suizidhilfe ist kein Gebot der Nächstenliebe

    Was Sie fordern, wird Milliarden kosten.

    Ich glaube, wir sind noch nicht soweit, um das genau beziffern zu können. Aber klar ist in der Tat: Es wird Milliarden kosten. Wir brauchen deshalb eine deutliche Erhöhung des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung. Im Koalitionsvertrag ist schon eine schrittweise Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte ab Januar 2015 vereinbart. Das wird nicht ausreichen. Wir brauchen längerfristig eine Erhöhung um 1,0 Prozentpunkte. Das muss uns die Würde der Menschen am Lebensende einfach wert sein.

    Der CDU-Politiker und evangelische Pfarrer Peter Hintze sowie die SPD-Politiker Carola Reimann und Karl Lauterbach wollen todkranken Patienten erlauben, bei schwerer, unheilbarer Krankheit mithilfe eines Arztes aus dem Leben zu scheiden.

    Ich sehe, dass es Grenzsituationen gibt, in denen sich diese Frage sehr intensiv stellt. Aber es ist falsch, gesetzlich festzuschreiben, dass bei Vorliegen bestimmter Kriterien die Mittel zur Selbsttötung bereitgestellt werden.

    Hintze hält es für ein Gebot der Nächstenliebe, die ärztliche Beihilfe zum Suizid zu erlauben.

    Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Ich habe die Sorge, dass sich das gesellschaftliche Klima verändert, wenn wir Suizidbeihilfe gesetzlich geregelt zulassen und irgendwann womöglich auch noch aktive Sterbehilfe – auch wenn dem enge Grenzen gesetzt würden. Menschen könnten zunehmend das Gefühl haben, um die Beendigung ihres Lebens bitten zu müssen, wenn sie vermeintlich keinen Nutzen mehr für die Gesellschaft oder ihre Angehörigen haben. Das darf nie passieren.

    Kann man Medizinern, die sich von ihrem Verständnis her dem Lebensschutz verpflichtet fühlen, zumuten, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten?

    Befürworter des ärztlich assistierten Suizids sagen, dass das kein Arzt gegen seinen Willen tun muss. Dennoch wäre es eine fragwürdige Verschiebung des ärztlichen Auftrags.

    Keine Rechtssicherheit für Ärzte bei Sterbehilfe

    Im Moment stecken Ärzte in einer Zwickmühle: Da eine Selbsttötung in Deutschland nicht belangt wird, ist auch die Beihilfe straffrei. Allerdings könnten Ärzte wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden.

    Mir liegt nicht daran, dass Ärzte Angst haben müssen, mit einem Fuß im Gefängnis zu stehen. Man kann auch nicht jeden Einzelfall rechtlich regeln. Ärzte gehen sehr verantwortungsvoll mit dem Thema um, das hat die bisherige Praxis gezeigt.

    Damit würde es dabei bleiben: keine Rechtssicherheit für Ärzte.

    Es muss einen Ermessensspielraum des Arztes geben. Der Arzt muss sagen dürfen: „Mir ist es wichtig, dass dieser Mensch ohne Schmerzen stirbt. Das ist wichtiger, als dass er vielleicht noch zwei oder drei Tage länger lebt.“ Es darf aber nie Ziel sein, einen anderen Menschen zu töten oder ihm bei der Tötung zu assistieren. Das ist doch der Punkt.

    Sterbehilfebefürworter würden sagen: Genau das treibt Menschen in die Schweiz zu den Sterbehilfevereinen. Weil sie hier nicht bekommen, was sie offensichtlich wollen.

    Aber unsere Antwort kann doch nicht sein, dass wir die Mechanismen einführen, die in der Schweiz gelten. Unsere Antwort muss sein, dass wir die medizinischen, pflegerischen und menschlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen gar nicht den Wunsch haben, in die Schweiz zu fahren.

    Haben Sie in Ihrer Familie darüber gesprochen, wie Sie mit einer schweren Krankheit mit wahrscheinlicher Todesfolge umgehen würden?

    Ja. Und ich habe auch eine Patientenverfügung. Wenn ich mit denen, die mir lieb sind, über den Tod spreche, dann empfinde ich das nicht als bedrohlich. Es steigert meine Dankbarkeit für das Leben. Es lässt mich bewusster leben.

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