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Landtagswahl: Das sind die sieben Lehren aus der Hessen-Wahl

Landtagswahl

Das sind die sieben Lehren aus der Hessen-Wahl

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    Für Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel  war es in Hessen eine bittere Landtagswahl.
    Für Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel war es in Hessen eine bittere Landtagswahl. Foto: Oliver Dietze, dpa

    1. Die Große Koalition im Bund bleibt eine massive Belastung

    Es ist mehr als ein Gefühl: Für die Verluste von CDU und SPD in Hessen bei der Landtagswahl sehen die Experten  starken Gegenwind aus Berlin als einen Grund. Die Forschungsgruppe Wahlen aus Mannheim analysiert: „Die Arbeit der Bundesregierung wird erstmals seit Jahren bei einer

    Insbesondere der CDU fehle der „Merkel-Bonus“, den sie noch vor fünf Jahren hatte. Zu dieser Erkenntnis kommt auch das Institut Infratet dimap. Für die Hälfte der hessischen Wähler war der Urnengang  laut einer Umfrage von Infratest dimap eine gute Gelegenheit, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. 86 Prozent sehen die Große Koalition in Berlin als zu zerstritten an. Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld von der Universität München kommt sogar zu dem Urteil: „Das war eine Ersatz-Bundestagswahl.“

    2. Merkel taumelt, aber sie stürzt (noch) nicht

    Sie ist ein politisches Phänomen. Der Gegenwind mag noch so stark sein – Angela Merkel verzieht keine Miene. Viele Jahre wurde die Kanzlerin gerade deshalb von den Wählern geschätzt, bisweilen sogar bewundert. Doch inzwischen dreht sich die Stimmung sogar bei Merkel-Fans. Die Kanzlerin ist für viele erkennbar geschwächt, die Kritik nimmt immer breiteren Raum ein. Nicht unmöglich, dass Merkel am Ende beim CDU-Parteitag Anfang Dezember von sich aus auf eine erneute Kandidatur um den Parteivorsitz verzichtet - auch wenn sie eine Trennung von CDU-Führung und Kanzlerschaft bislang strikt ausgeschlossen hat.

    Wie sich Merkel entscheidet, dürften selbst engste Vertraute noch nicht sicher einschätzen können. Die Antwort von Kramp-Karrenbauer auf Journalistenfragen zur Zukunft der Parteichefin am Wahlabend lässt aufhorchen: „Die Bundesvorsitzende hat ganz klar erklärt, dass sie auf dem Parteitag noch mal antreten wird. Und ich habe bis zur Stunde keine anderen Signale.“

    „Bis zur Stunde“ - ob sich das noch ändern könnte? Bis zum Parteitag ist es noch lange hin. Trotzdem glauben Experten, dass Merkel so schnell nicht aufgibt. "Die bundespolitischen Konsequenzen für Merkel werden sich im Rahmen halten", sagt Oskar Niedermayer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin in einem Interview. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus der Führungsriege ihr beim Parteitag den Vorsitz streitig machen wird."

    3. Auch die Landespolitik zählt

    Alle Schuld liegt in Berlin begraben? So einfach ist es nicht. In Bayern hatte Ministerpräsident Markus Söder mit schlechten persönlichen Umfragewerten zu kämpfen. Hinzu kam der Dauer-Ärger mit dem CSU-Parteichef Horst Seehofer. Und auch die Hessen sind nicht unbedingt zufrieden mit ihrem Ministerpräsidenten Volker Bouffier.

    Er wird zwar etwas besser bewertet als vor der letzten Landtagswahl, bleibt aber sichtbar unter dem Durchschnittsniveau aller Länder-Regierungschefs was die Beliebtheit angeht. Noch schwächer als Bouffier wird SPD-Kandidat Thorsten Schäfer-Gümbel eingestuft, der auch in der Frage nach dem bevorzugten Ministerpräsidenten das Nachsehen hat: 45 Prozent sind laut Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen für Bouffier und nur 33 Prozent für Schäfer-Gümbel.

    4. Die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland werden unsicherer

    Bisher konnten sich Union und SPD die Macht in Deutschland aufteilen. Mal regierte der eine, mal die andere. Diese Zeiten sind vorerst vorbei. Noch am Wahltag waren in Hessen von Schwarz-Grün bis Rot-Grün-Rot sieben verschiedene Koalitionen denkbar. Mit noch mehr Parteien in den Parlamenten werden die zu verteilenden Kuchenstücke eben immer kleiner. Dazu kommt, dass niemand mit der AfD koalieren will. Ähnlich ist es mit der Linken.

    Die Große Koalition aus CDU bzw. CSU und SPD hat sich den Ruf als Totengräber der Volksparteien erworben – mehr Abschreckung geht gerade nicht. „Koalitionen zu bilden, ist unglaublich komplex geworden, Hessen hat es wieder einmal gezeigt“, sagt der Berliner Wahlforscher Thorsten Faas unserer Redaktion. „Damit können Parteien und Wähler noch nicht gut umgehen.“

    5. Die SPD steckt in einer tiefen Krise

    Juso-Chef Kevin Kühnert versucht es mit Humor: “Gut, dass letzte Nacht Zeitumstellung war. Jetzt ist es nicht mehr 5 vor 12, sondern erstmal wieder 5 vor 11”, twitterte er. Die Sozialdemokraten haben ihre Anziehungskraft für weite Wählerkreise verloren. Anders als die CDU verliert sie nicht nur Stimmen an die Grünen und an die AfD, sondern in alle Richtungen: Mehr als 100.000 an die Grünen, 68.000 an Nichtwähler, 38.000 an die AfD, 27.000 an die CDU, 24.000 an die Linke, 23.000 an die FDP und 21.000 Wähler an die „Sonstigen“.

    Ihr Markenkern, also das, was die Partei ausmacht, ist für viele kaum noch zu erkennen. Nahles' Botschaft ist klar: Es gebe zwei Gründe für das Ergebnis.  „Erstens: In der SPD muss sich etwas ändern“, sagt sie. „Wir müssen klarer werden, wofür die SPD in den großen Fragen jenseits der Regierungspolitik steht.“ Und zweitens sei der Zustand der Regierung nicht akzeptabel.

    Auch die Union müsse Konsequenzen ziehen - wohl mit Blick auf Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer fordert Nahles personelle Klärungen. „Wir legen unser Schicksal aber nicht in die Hände des Koalitionspartners.“ Daher wird sie im Vorstand an diesem Montag einen Vorschlag für einen Koalitionsfahrplan bis zur Halbzeitbilanz im Herbst 2019 machen - dann will die SPD ohnehin beraten, ob sie in der Koalition bleibt. Großen Spielraum hat die SPD allerdings nicht: Sieben Vorsitzende hatte die SPD bereits während der Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel. Auch die klammen Kassen erlauben keine großen Sprünge – eine Neuwahl würde den Sozialdemokraten finanziell mächtig zusetzen.  Nahles setzt also auf Zeit - erstmal Druck aus dem Kessel nehmen.

    6. Die FDP steht auf wackeligen Füßen

    In Hessen könnte die FDP tatsächlich wieder zum Königsmacher für die CDU werden. Sollte es auf eine Koalition zwischen CDU, Grünen und FDP hinauslaufen, nehmen die Freidemokraten wieder auf einer Regierungsbank Platz. Trotzdem kann dieser Erfolg nicht darüber hinwegtäuschen, dass die FDP bei den Wahlen nicht so stark abschneiden, wie sie es gerne hätten. Umfragen sprachen vor der Wahl von 10 Prozent – tatsächlich wurden es nur sieben Prozent.

    Bei  der Landtagswahl in Bayern vor zwei Wochen musste die Partei lange zittern, am Ende reichte es immerhin knapp. Noch immer hängt der Partei das Image des Neinsagers und Besserwissers an – nachdem sie sich im Bund spektakulär gegen eine Jamaika-Koalition entschlossen hatte. Lindner versucht aus der Not eine Tugend zu machen. “Uns ist heilig, was wir vor Wahlen sagen“, betonte er am Sonntagabend.

    Es müsse einen Unterschied machen, ob die FDP in einer Regierung ist oder nicht. Im ZDF sagte er: „Falls wir in Hessen gefragt werden sollten, falls wir benötigt werden sollten, führen wir Gespräche, allerdings nach dem Modell Schleswig-Holstein, nicht in der Methode Merkel im Jahr 2017.“ Lindner spielte damit auf den Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Sondierungen in Berlin im November 2017 an. Nötig sei ein partnerschaftliches Verhältnis.

    7. Die Grünen bleiben auf der Erfolgswelle

    Starke Konkurrenz für CDU und SPD kommt auch in Hessen von den Grünen, für die sich laut Forschungsgruppe Wahlen viele Wähler kurzfristig entschieden haben. Für 69 Prozent der Befragten stehen die Grünen in Hessen „für eine moderne, bürgerliche Politik“. Für ihre Arbeit in der bisherigen schwarz-grünen Koalition bekommen die Grünen demnach die besseren Noten als die CDU. Zudem stellen sie mit Tarek Al-Wazir den beliebtesten Spitzenpolitiker Hessens.

    Die Forschungsgruppe Wahlen analysiert: Mit klar positivem Image, einem zugkräftigen Kandidaten und gut bewerteter Regierungsarbeit stehen die Grünen für 69 Prozent aller Befragten „in Hessen für eine moderne, bürgerliche Politik“. Erst Bayern, jetzt Hessen - die Grünen feiern zwei Rekordergebnisse innerhalb von zwei Wochen. Seit das Spitzenduo Habeck/Baerbock übernommen hat, scheint alles zu gelingen. 

    Nach den 17,5 Prozent in Bayern schaffen die Grünen den zweiten Rekord innerhalb von zwei Wochen. Bei den jungen Wählern unter 30 werden sie in Hessen Analysen zufolge gar stärkste Kraft. Diesel und Klimaschutz, zwei Lieblingsthemen der Partei, treiben die Menschen um. Dazu haben sie es geschafft, sich als Anti-AfD zu positionieren. Die Frage ist: Ist das Hoch von Dauer?

    Der Politologe Professor Jürgen Falter bezweifelt das und sieht Parallelen zu 2011: „Die aktuelle Situation ist vergleichbar mit der Zeit nach dem Atomunglück in Fukushima. Damals haben die Grünen Werte wie heute eingefahren und in einem Jahr war das – bis auf Baden-Württemberg – alles wieder weg.“

    Diese Meinung vertritt auch Professor Oskar Niedermayer von der Freie Universität Berlin. In einem Interview mit der Bild-Zeitung sagt er: „Das Wachstum der Grünen ist begrenzt, sie können keine Volkspartei werden. Denn: Eine Volkspartei muss ein breites Spektrum an Positionen abbilden, die die unterschiedlichsten Wähler einbindet. Die Grünen dagegen stehen in dem wichtigen gesellschaftspolitischen Konflikt über die Flüchtlingspolitik ganz klar auf einer Seite.“

    Hier können Sie noch einmal unseren Live-Blog zur Wahl nachlesen:

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