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Wohnungsnot: Mit Enteignung gegen die Wohnungsnot: Wie soll das gehen?

Wohnungsnot

Mit Enteignung gegen die Wohnungsnot: Wie soll das gehen?

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    Proteste gegen steigende Mieten und Wohnungsnot in Berlin: Werden bald 240.000 Berliner Wohnungen für Milliarden an Steuergeldern verstaatlicht?
    Proteste gegen steigende Mieten und Wohnungsnot in Berlin: Werden bald 240.000 Berliner Wohnungen für Milliarden an Steuergeldern verstaatlicht? Foto: Christoph Soeder, dpa

    Rund 20.000 Menschen in Berlin und mehrere zehntausend Menschen in vielen anderen deutschen Städten haben am Samstag gegen die wachsende Krise am Wohnungsmarkt demonstriert. Zugleich begann in der Hauptstadt die Unterschriftensammlung für eines der umstrittensten Volksbegehren der vergangenen Jahrzehnte: Eine parteiübergreifende Initiative fordert de facto die Enteignung großer Wohnkonzerne, die in Berlin mehr als hunderttausend Mietwohnungen besitzen.

    Das Berliner Volksbegehren will große Wohnkonzerne enteignen. Geht das überhaupt?

    Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen – Spekulation bekämpfen“ spielt zwar bewusst mit dem Begriff Enteignung, der tatsächlich sogar im Artikel 14 des Grundgesetzes vorgesehen ist. Dies wird als letztes Mittel bei Rechtsstreitigkeiten angewendet, wenn es etwa um den Bau von Straßen oder Bahntrassen geht, wenn Grundstückseigentümer benötigte Flächen nicht verkaufen wollen.

    Tatsächlich geht es den Machern des Volksbegehrens aber um „Vergesellschaftung“ nach Artikel 15 Grundgesetz. Darin heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Das Volksbegehren soll erreichen, dass mit einem Landesgesetz alle profitorientierten Unternehmen vergesellschaftet werden, die in Berlin mehr als 3000 Wohnungen im Bestand haben. Das gesamte Vorhaben ist juristisches Neuland, denn Artikel 15 ist nach Angaben des Bundesjustizministeriums noch nie zur Anwendung gekommen.

    Um wie viele Wohnungen geht es?

    Ziel ist die Überführung von rund 240.000 Berliner Wohnungen – rund 15 Prozent des gesamten Mietwohnungsbestandes – in eine Anstalt öffentlichen Rechts, die von Mietern und direkt gewählten Vertretern der Stadtgesellschaft demokratisch verwaltet werden soll. Der neuen Anstalt wäre es verboten, Wohnungen zu privatisieren oder Profite auszuschütten. Der Vorstoß solle eine Blaupause auch für andere Regionen in Deutschland sein.

    Wer sind die Konzerne wie „Deutsche Wohnen & Co“, gegen die sich das Volksbegehren richtet?

    Der börsennotierte Konzern „Deutsche Wohnen“ wurde 1998 von der Deutschen Bank gegründet und ist seit 2006 als unabhängiger Konzern an der Börse im MDax notiert. Der auf einen Börsenwert von fast 17 Milliarden Euro geschätzte Konzern besitzt bundesweit 160.000 Wohnungen, darunter 112.000 in Berlin, und ist oft wegen seines umstrittenen Umgangs mit Mietern in den Schlagzeilen. Ein Teil der Berliner Wohnungen stammte ursprünglich von der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft Gehag, die der Berliner Senat 1998 teilprivatisiert hatte und aus 51.000 landeseigenen Mietwohnungen, die der Senat 2004 für 405 Millionen Euro an US-Fondsgesellschaften verkauft hatte – und die seit 2013 der Deutsche Wohnen gehören.

    Der zweite Großkonzern in Berlin ist die Vonovia mit 44.000 Wohnungen. Vonovia hieß früher „Deutsche Annington“ und änderte ihren Namen infolge vieler Negativschlagzeilen. Der größte deutsche Wohnkonzern ist im Dax notiert und besitzt bundesweit knapp eine halbe Million Wohnungen und ist der größte Vermieter in Deutschland. Ein Teil der Wohnungen waren einst günstige „Eisenbahnerwohnungen“ der Deutschen Bahn, die dem Bund gehörten, sowie frühere Wohnungen der britischen Streitkräfte und des Energiekonzerns RWE.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass die Pläne des Volksbegehrens Wirklichkeit werden?

    Anfangs wurde der Vorstoß als Idee einiger „linker Spinner“ abgetan, inzwischen hat das Volksbegehren angesichts der angespannten Stimmung in Berlin gute Chancen auf einen Erfolg. Um das Volksbegehren einleiten zu können, müssen zunächst mindestens 20.000 Unterschriften zusammenkommen. Das gilt inzwischen als sicher. Wenn das Landesparlament die Inhalte des Begehrens nicht umsetzt, braucht die Initiative in einer zweiten Stufe die Unterschriften von mindestens sieben Prozent der Wahlberechtigten, also rund 170.000. Klappt das, folgt ein Volksentscheid.

    Der Ausgang ist völlig offen, da das Volksbegehren nicht nur bei Union und FDP, sondern auch bei der regierenden SPD auf Ablehnung stößt. Allerdings hat der Regierende Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) angekündigt, dem Immobilienkonzern Deutsche Wohnen große Wohnungsbestände abkaufen zu wollen – dabei geht es wohl um die 2004 verkauften 51.000 Wohnungen. Dies dürfte ein kolossales Draufzahlgeschäft werden: Der Wert der einst für 405 Millionen Euro verkauften landeseigenen Mietwohnungen wird angesichts der Preisexplosion auf dem Immobilienmarkt inzwischen auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Dennoch scheinen die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne hinter der Idee zu stehen. Die Vergesellschaftung der Berliner Wohnungen lehnt SPD-Regierungschef Müller ab. Nach einer Schätzung des Senats würde dies mit Entschädigung das ohnehin hoch verschuldete Berlin zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten, ohne dass eine einzige zusätzliche neue Wohnung gebaut werden würde. Die Initiative setzt allerdings weit niedrigere Summen an. (mit dpa)

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar Wohnungsnot: Ein Volksbegehren würde nichts nutzen

    So viele Wohnungen fehlen in Deutschland

    Wohnungsnot in Deutschland: In deutschen Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Das geht aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Am größten ist die Wohnungsnot in Berlin, Hamburg, Köln und München.

    Wohnungsbedarf in Deutschland: Immobilienverbände halten bis zu 400.000 neue Wohnungen pro Jahr für erforderlich. Schätzungen der IG Bau zufolge dürften in diesem Jahr nicht einmal 300.000 Wohnungen dazukommen.

    Sozialwohnungen in Deutschland: Nach Zahlen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es derzeit 1,15 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Damit ist die Zahl seit 1990 um 63 Prozent gesunken.

    Situation in Augsburg: Auch in der Stadt mit ihren knapp 300.000 Einwohnern wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Derzeit gibt es etwa 5800 geförderte Wohnungen – halb so viele wie im Jahr 2003. Wie viele Sozialwohnungen in Augsburg nötig sind, wird derzeit diskutiert. Die SPD will durchsetzen, dass in jedem Neubaugebiet 30 Prozent der Wohnungen gefördert werden. Die WBG baut in den kommenden Jahren 500 Sozialwohnungen, dazu kommen Projekte anderer Träger.

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