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Mittelamerika: Nicaragua: Eigenes Volk ist Präsident Ortegas Gegner

Mittelamerika

Nicaragua: Eigenes Volk ist Präsident Ortegas Gegner

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    Ein Wandgemälde des nicaraguanischen Präsidenten Ortega ist mit Farbe verschmiert. Seit Mitte April eskalieren in dem mittelamerikanischen Land die Proteste.
    Ein Wandgemälde des nicaraguanischen Präsidenten Ortega ist mit Farbe verschmiert. Seit Mitte April eskalieren in dem mittelamerikanischen Land die Proteste. Foto: Moises Castillo, dpa

    Lesther Alemán ist entrüstet. Gerade hat ihn der Präsident seines Landes Nicaragua im Fernsehen einen Terroristen genannt. Der Student wurde berühmt, als er nach dem Aufflammen der landesweiten Proteste Staatschef Daniel Ortega öffentlich vorwarf, Demonstranten zu massakrieren. Seither lebt Alemán im Untergrund, auf der Flucht vor den Schergen Ortegas.

    Der stand einst selbst auf der anderen Seite der Barrikaden, als er 1979 an der Spitze der linken, Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) Diktator Anastasio Somoza stürzte. Das ist lange her, inzwischen sitzt Ortega selbst seit elf Jahren an den Hebeln der Macht, zusammen mit seiner Gattin Rosario Murillo, die als Vizepräsidentin fungiert. Doch er gerät immer stärker in die Defensive: Am Montag erklärt der autokratisch regierende Präsident starrsinnig gegenüber CNN, die Gewalt gehe von Oppositionellen aus und werde von rechten Unternehmern und den USA finanziert. Lesther Alemán sieht in dieser Aussage die üblichen Verleumdungen, sagt er aus seinem Versteck heraus per Skype: „Er hat Nicaragua in ein Blutbad verwandelt.“

    Schwere wirtschaftliche und politische Krise mit hunderten Toten

    Entzündet hatte sich die Krise im April an einem Dekret Daniel Ortegas, mit dem er die Renten um fünf Prozent kürzte und die Sozialversicherungsbeiträge anhob. Nötig wurde dies nach dem wirtschaftlichen Kollaps des sozialistischen Bruderlandes Venezuela und dem Ausbleiben der billigen Kredite und Erdöllieferungen.

    Der Unmut gegen den autoritären Regierungsstil des sich selbst bereichernden Ortega-Clans, einschließlich Wahlbetrug und Internet-Zensur, brodelte aber schon länger. Die Proteste wurden von Polizei und bewaffneten, paramilitärischen Stoßtrupps brutal unterdrückt. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen kamen dabei mehr als 400 Menschen ums Leben, die Interamerikanische Menschenrechtskommission dokumentierte 295 Todesfälle, die Regierung räumt 195 ein.

    Der Konflikt hat das mittelamerikanische Land in eine schwere wirtschaftliche und politische Krise gestürzt. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Ortega hat die Kirche als Vermittlerin diskreditiert und den Dialog sabotiert. Neuwahlen, bekräftigte er, kämen nicht infrage, auch nicht ein Referendum über seinen Amtsverbleib. Ob es ihm nichts ausmache, dass das Land in Trümmern liege und er Diktator genannt werde, wollte der Interviewer wissen. Nein, zuckte Ortega mit den Schultern, er sei daran gewöhnt und die Wirtschaft erhole sich schon.

    Selbst Ortegas Bruder fordert vorgezogene Neuwahlen

    Carlos Fernando Chamorro, Direktor des Medienportals El Confidencial, will die Hoffnung auf eine Demokratisierung aber noch nicht aufgeben. „Militärisch hat Ortega eine Schlacht gewonnen, aber die politische hat er verloren“, schreibt er. „Die Bevölkerung fürchtet ihn nicht mehr und fordert, dass er vor ein Gericht gestellt wird.“

    Die Situation in Nicaragua erinnert stark an Venezuela, wo es dem sozialistischen Machthaber Nicolás Maduro mit einer ähnlichen Taktik – darunter die systematische Spaltung und Ausschaltung der politischen Opposition – gelang, trotz Wirtschaftskrise und Bürgerprotesten an der Macht zu bleiben. Ortega scheint ihm nachzueifern – mit Unterstützung Kubas und Russlands. Seine Chancen stehen jedoch ungleich schlechter. Nicaragua ist im Gegensatz zum Erdölland Venezuela bitterarm und der Pakt mit den Unternehmern, der dem Regime Stabilität sicherte, ist zerbrochen.

    Ausländische Sanktionen haben Präsident Ortega isoliert, intern hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Selbst sein Bruder, der langjährige Heereschef Humberto, forderte vorgezogene Neuwahlen. Doch die Streitkräfte Nicaraguas blieben im erbitterten Machtkampf bislang neutral.

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