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Interview: Rainer Wendt: „Die Polizisten sind enttäuscht von der Politik“

Interview

Rainer Wendt: „Die Polizisten sind enttäuscht von der Politik“

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    Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt wirft Bund und Ländern Versagen in der Sicherheitspolitik vor.
    Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt wirft Bund und Ländern Versagen in der Sicherheitspolitik vor. Foto: Ingo Wagner, dpa

    Rainer Wendt, 59, ist seit 2007 Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG. Der Vater von fünf Kindern trat 1973 in die Polizei ein und arbeitete 25 Jahre im Schichtdienst der Schutzpolizei in Duisburg. Wendt ist seit den Siebzigerjahren CDU-Mitglied. Sein Buch „Deutschland in Gefahr. Wie ein schwacher Staat die Sicherheit aufs Spiel setzt“, (19,99 Euro, 190 Seiten) erschien im Riva-Verlag.

    Herr Wendt, Sie sind als Polizeigewerkschaftschef unter die Autoren gegangen und nennen Ihr Buch „Deutschland in Gefahr“. Ihr Vorwurf ist, dass ein schwacher Staat die Sicherheit seiner Bürger aufs Spiel setzt. Worauf gründen Sie Ihren Vorwurf?

    Wendt: Bei der Polizei wurde kräftig gestrichen. Und das hatte zwei fatale Folgen: Erstens wurde nicht genügend ins Personal investiert, auch die Technik ist veraltet. Was aber noch viel dramatischer ist: Diese Einstellungspolitik führte zu einer Veralterung des Personalbestandes. Wenn heute ein Streifenwagen vorfährt, steigen mal schnell 110 Jahre aus, aber da sitzen nur zwei Polizisten drin und nicht drei oder vier. Die Beamten werden bis an die Pensionsgrenze herangeführt. Die dramatischen Folgen werden erst noch kommen: Ab 2017 bis 2025 werden wir im gesamten Öffentlichen Dienst in Deutschland eine riesige Pensionierungswelle erleben. Und das schwächt den Staat noch mehr.

    Wirkt sich das auf die Motivation der einzelnen Polizisten aus?

    Wendt: Es gibt in weiten Teilen Frustration. Die Kollegen sind enttäuscht von der Politik. Sehen Sie sich die Berliner Polizei an: Die ist dramatisch abgebaut worden und war fast zehn Jahre lang von jeder Einkommenserhöhung abgeschnitten. Keine Anerkennung, immer nur Kritik an der Polizei. Und immer wieder Generalverdacht gegen die Polizisten, beispielsweise von Grünen und Linken, die uns Namensschilder umhängen wollen und keine anderen Probleme haben.

    Sie beklagen in Ihrem Buch einen Werteverfall. Woran machen Sie das fest?

    Wendt: Ich habe mich intensiv mit der Situation von Familie und Schule auseinandergesetzt und mit der Frage: Wohin geht eigentlich unsere Gesellschaft, wenn wir nicht mehr die notwendige Autorität haben, um Kindern auch zu zeigen, wie man friedlich miteinander umgeht. Diese Entwicklung, der Verfall von staatlicher Autorität, der Umstand, dass sich Zwölfjährige vor unseren Polizisten aufbauen, sie als Nazis beschimpfen, bespucken und treten, und der Staat dem wenig entgegenzusetzen hat, genau das frustriert und lähmt die Motivation.

    Was sollen Politik und Gesellschaft dagegen unternehmen?

    Wendt: Innere Sicherheit fängt nicht erst bei der Polizei an. Polizei ist nur eine Art Reparaturbetrieb der Gesellschaft, wenn in den Familien, in den Kindertagesstätten und Schulen schon alles falsch gelaufen ist. Das fängt schon in der Ausstattung an, dafür können die Lehrer beispielsweise nichts. Die werden schlecht ausgestattet, mies bezahlt, alleingelassen. Allein in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen sind tausend Schulleiterstellen unbesetzt, weil das kaum noch einer machen will. Da landet ein Lehrer auf der Anklagebank, weil er einen 14-Jährigen hat nachsitzen lassen. Und der ist jetzt wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Man muss sich vor Augen halten, welches Signal ein solcher Prozess auf die Schulen hat.

    Sie beklagen das Verhalten der Politik in der Flüchtlingskrise. Ist die Krise derzeit das Hauptproblem, mit dem die Polizei zu kämpfen hat, oder ist es eher ein Anlass für Sie, einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen?

    Wendt: Das Letztere ist richtig. Es ist ja nicht so, dass wir schon vor der Zuwanderungswelle Langeweile gehabt hätten: Fußball, Rocker, Salafisten, Rechts-Links-Demos, Extremismus am rechten und linken Rand – das alles hat es ja vorher auch schon gegeben. Wir sind mit einem Drittel der Bereitschaftspolizei in Stadien unterwegs, weil sich Verrückte, die sich Fans nennen, die Schädel einschlagen. Wir haben eine steigende Rockerkriminalität mit immer mehr ausländischen Rockern. Dann kommt die Zuwanderung noch obendrauf. Gesetzestreue ist der Grundbaustein des Polizeiberufes. Und dann stehen unsere Kollegen an der Grenze in Bayern, und das Gesetz wird einfach außer Kraft gesetzt. Denn wir müssten eigentlich Menschen laut Gesetz zurückweisen, die zuvor schon in ein anderes Land eingereist waren.

    Haben Sie Sorge, dass es durch die gegenwärtigen Probleme zu einer Radikalisierung der Bevölkerung kommt?

    Wendt: Ich finde es schlimm, wenn weite Teile der Politik glauben, bei den Sorgen der Menschen wegschauen zu können. Die ganze Ausgrenzeritis war in den vergangenen Monaten nichts anderes als ein Konjunkturprogramm für die AfD. Deshalb mahne ich auch im Umgang mit der AfD zur Gelassenheit, denn radikale Parteien in Deutschland haben sich schon immer, wenn sie in die Verantwortung kamen, selbst marginalisiert. Weil sie nicht getragen werden von einem Wertekanon wie die etablierten Parteien. Das ist alles bei den Extremisten nicht vorhanden. Ich habe null Sympathie für die AfD. Aber man muss die Sorgen der Leute ernst nehmen.

    Wachsender Extremismus wird auch in Gewalttaten sichtbar. Erstmals hat sich der Islamische Staat zu islamistischen Anschlägen in Deutschland bekannt. Sie warnen vor einer Vernachlässigung des Linksextremismus, zugleich steigt die Anzahl rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher Übergriffe. Wie groß ist die Bedrohung?

    Wendt: Ich weiß gar nicht, was gefährlicher ist. Was den Extremismus angeht, so denke ich, es ist den Menschen wurscht, ob es ein Rechter oder Linker ist, der ihr Auto angezündet hat. Wir müssen den Verfassungsschutz so aufstellen, dass er in gleicher Weise alle extremistischen Strömungen beobachten kann. Nie war er wichtiger als heute. Was wir jetzt erleben, ist eine Wechselwirkungsspirale zwischen Links- und Rechtsextremismus. Noch viel gefährlicher ist aber das Auftreten religiös motivierten Extremismus etwa in Form des Salafismus und nationalistisch motivierten Extremismus, beispielsweise zwischen Türken und Kurden. Das ist eine supergefährliche Entwicklung.

    Was muss der Staat ändern, damit wieder das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung geschärft wird?

    Wendt: Wir brauchen eine große Einstellungs-Initiative für den gesamten Öffentlichen Dienst, nicht nur für die Polizei. Wir brauchen eine Politik, die nicht nur einen starken Staat will, sondern die auch den Menschen, die für diesen Staat arbeiten, das notwendige Grundvertrauen und die notwendige Anerkennung entgegenbringt. Dann vertrauen die Menschen auch dem Staat wieder.

    Und wie sieht die Zukunft Deutschlands aus, wenn das nicht passiert?

    Wendt: Das will ich mir gar nicht ausmalen. Dann werden wir innere Unruhen in Deutschland bekommen. Und ich fürchte, dann wird die Gewalt wachsen.

    Wäre angesichts der momentanen Problemlage Polizist noch immer Ihr Traumberuf, wenn Sie Berufseinsteiger wären?

    Wendt: Ja, ich habe mich mit 15 Jahren bei der Polizei beworben und mit 16 angefangen. Was nach weit über 40 Jahren noch viel schöner ist: Ich würde morgen wieder Polizist werden.

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