
China verbietet Hobbybrauer: Der Staat trinkt mit

Plus Sie brauen Bier und trinken es gern. Jetzt stuft China eine Gruppe von Pekinger Hobbybrauern als illegal ein und verbietet sie. Wie der Staat ins Private hineinregiert.
Seit neun Jahren treffen sich die Bierfreunde regelmäßig in Pekinger Kneipen, fachsimpeln über handwerklich hergestellte Sorten und tauschen Tipps zum richtigen Bierbrauen aus. Sie nennen sich die „Bejing Homebrewing Society“, Heimbrauer-Gesellschaft, und sind eine lose Truppe junger Menschen, die vor allem eins verbindet: die Liebe zum Gerstensaft. Oft verabredeten sie sich über Meetup, eine öffentliche Plattform im Internet. Dort schreibt zum Beispiel Monika, die vor ein paar Jahren neu nach Peking kam und einfach jemanden zum Anstoßen sucht. Oder der Kanadier Jeff, der auf seinem Profil verrät, dass er seit 2015 selber braut und anderen immer gerne hilft, wenn es um Craft Beer aus verschiedenen Hopfensorten geht. Auf den Fotos ihrer Treffen sieht man fröhliche Menschen, manche mit asiatischem Hintergrund, manche westlich. Eigentlich recht harmlos, oder?
In Chinas Hauptstadt sieht die Staatsmacht dies jedoch anders: Seit dem vergangenen Wochenende nämlich wird die „Bejing Homebrewing Society“, kurz BHS, als illegale Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) geführt und ist mit einem zehnjährigen Verbot belegt. Zuvor hatte ein Unbekannter – mutmaßlich ein konkurrierender Wirt im Wettstreit mit einem anderen Gastronomen – die Gruppe bei den Behörden angeschwärzt. Diese fanden schließlich heraus, dass die Bierbrauer-Gemeinschaft keine offizielle Regierungsgenehmigung führte – eine Lizenz, die so schwer zu bekommen ist, dass die Gruppe es nach Jahren vergebener Mühe irgendwann aufgegeben hatte. Der Fall zeigt erneut, wie der Parteiapparat in China versucht, mehr und mehr in das Privatleben der Menschen hineinzuregieren.
Selbst die patriotischen Chinesen sind fassungslos
In sozialen Medien sorgt der – auch für chinesische Verhältnisse absurde – Fall für eine Mischung aus Verwirrung, Spott und Trauer. „Wir entfernen uns immer weiter von einer Zivilisation“, kommentiert ein Nutzer auf der Online-Plattform Weibo. Ein anderer offensichtlich patriotischer Chinese meint: „NGOs, die mit sogenannten Menschenrechten oder demokratischen Werten rumalbern, sollen sich natürlich auflösen. Aber wieso sollte man Gruppen verbieten, die sich mit Getränken auseinandersetzen?“

Man könnte den Vorfall als rein kafkaesken Auswuchs der Pekinger Bürokratie abheften. Doch er lässt sich auch als Parabel lesen über das hochpolitisierte Gesellschaftsklima in der chinesischen Hauptstadt, das keinen Platz mehr lässt für soziale Freiräume abseits staatlicher Kontrolle. Ein Klima voll Paranoia, in dem Durchschnittsbürgerinnen und -bürger rasch unter Verdacht geraten und andere zu eifrigen Blockwarten werden.
Für das Auge ersichtlich manifestiert sich jenes Klima nirgendwo so deutlich wie in der Pekinger Stadtplanung. Chinas Hauptstadt hat sich abgeschottet: Der Universitätscampus – früher beliebt bei Tagesausflüglern – bleibt Besuchern versperrt, staatliche Museen lassen sie nur nach vorheriger Registrierung inklusive Sicherheitscheckpoint ein und praktisch jeder Quadratkilometer wird von Überwachungskameras in den Blick genommen.
Nahezu alle Wohnanlagen werden von Nachbarschaftskomitees in schwarzen Uniformen bewacht. Seit der Pandemie messen sie die Körpertemperatur eines jeden Einwohners und jeder Bürgerin, fragen nicht registrierte Ankömmlinge nach ihrem Ausweis. Vor über drei Jahrzehnten waren es ebenjene Nachbarschaftskomitees gewesen, die den Behörden bei der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste vom Tiananmen-Platz halfen.
Harmlose Gruppen sind ebenfalls im Blick des Staats
Dass auch arglose Gruppen in China schon lange ins Visier der Staatsführung geraten, bestätigt Professor Björn Alpermann, Lehrstuhlinhaber für Contemporary Chinese Studies an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Es ist in China seit Jahrzehnten so, dass immer mal wieder offensichtlich harmlose Freizeitaktivitäten verboten werden – vor allem, wenn die Mitglieder sich regelmäßig treffen.“ Er denke etwa an die achtziger Jahre, als jeder Fußballverein nur noch einen offiziellen Fanklub haben durfte. „Solche Verbote fußen meist nicht auf der Vermutung, dass diese Gruppen umstürzlerisch tätig sind. Das gesellschaftliche Leben soll einfach so weit wie möglich kontrolliert werden – und das Ausmaß hat sich in den letzten Jahren definitiv verschärft.“
Das geht bis hin zur Frage, wie Familien ihre Kinder zu erziehen haben. Ende August verfügte die Kommunistische Partei um Staatspräsident Xi Jinping, dass Kinder nicht mehr länger als drei Stunden pro Woche videospielen dürfen. Überprüft wird das per Gesichtserkennung und dadurch, dass Spielerinnen und Spieler sich mit ihrem Personalausweis auf den Gaming-Plattformen anmelden müssen. Die Behörden begründen das offiziell mit ganz fürsorglichen Plänen: Man wolle Spielsucht unter Kindern vermeiden, schrieb die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Noch dazu erlaubt das Gesetz der Staatsführung, mächtige Tech-Konzerne strenger zu kontrollieren. „Der Staat versucht, schlicht in alle Bereiche hineinzuwirken“, so fasst es der Würzburger Sinologe zusammen. Alpermann erinnert sich an den Fall eines seiner Doktoranden, dessen Englisch-Konversationsrunde in einer kleinen chinesischen Provinz vor einiger Zeit wie die Pekinger Bierbrauer-Gruppe verboten wurde. Er erklärt das Vorgehen so: „Mittlerweile wird versucht, alle Gruppen, die informell organisiert sind, auf die formelle Ebene zu ziehen. Verboten wird, was dem Parteistaat suspekt vorkommt. Andere Aktivitäten aber sind vollkommen in Ordnung – zum Beispiel, wenn jemand sich sozial engagiert.“
Alle haben sich der Kommunistischen Partei unterzuordnen
China, das mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichste Land der Welt, besitzt eines von global fünf kommunistischen Einparteiensystemen – neben Vietnam, Laos, Kuba und Nordkorea. Der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei ist in der Verfassung verankert. Jede und jeder, politische Organisationen, Medien, haben sich der Partei unterzuordnen. Dabei hatten Beobachterinnen und Beobachter noch vor zehn Jahren gehofft, dass die Volksrepublik sich hin zu mehr Demokratie entwickelt. Doch Xi Jinping, seit 2013 Nachfolger des reformorientierten Staatschefs Hu Jintao, hat die Öffnungsschritte ins Gegenteil verkehrt.

Die technologische Entwicklung hat die Möglichkeiten zu maximaler Kontrolle noch erweitert. Das chinesische Büro für öffentliche Sicherheit hat erst im März dieses Jahres eine „Anti-Betrugs-App“ veröffentlicht, um gegen Phishing-Anrufe und andere Hochstapelei vorzugehen. Doch die App, die unter anderem Anrufe und Textnachrichten in Echtzeit aufzeichnet, hat auch dazu geführt, dass chinesische Nutzerinnen und Nutzer in lokale Polizeistationen zum Verhör gebeten wurden, weil sie bestimmte ausländische Nachrichtenseiten auf ihrem Handy aufgerufen hatten.
Die lokale Polizeibehörde des Bezirks Chaoyang hat für ihre Unterstützerinnen und Unterstützer bereits vor vier Jahren eine eigene App programmiert, auf der sie jedes Jahr tausende Hinweise erhält.
Allein in Chaoyang, dem mit 3,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadtteil Pekings, gibt es laut Medienberichten 130.000 registrierte Mitglieder einer Bürgerwehr, die sich als freiwillige Polizei-Hilfskräfte verstehen – und beim Aufspüren von Dieben, Drogendealern und „verdächtigen Personen“ helfen.
Chinas Bürger nehmen nicht mehr alles hin
Personen so wie die Hobby-Bierbrauer in Peking? Der Vereinigung traten im Internet zuletzt Monat für Monat neue Mitglieder bei. Mindestens bis in den August hinein haben sie sich außerdem regelmäßig getroffen. Es sei eine „Herausforderung, in China zu Hause Bier zu brauen“, so beschreiben die Gründer ihre Mission im Internet. Die verlässliche Ausstattung finden, hochwertige Rohzutaten, all das. „Als Gemeinschaft möchten wir das einfacher machen. Also: Wenn du dein Bierwissen und deine Hingabe an China vergrößern willst – sei dabei!“ Auf das Land und seinen Parteiapparat werden die Hobbybrauer in den kommenden zehn Jahren sicher nicht mehr anstoßen.
Das vermehrte Hineinregieren ins Privatleben wird von immer mehr Chinesinnen und Chinesen nicht mehr klaglos hingenommen, beobachtet Sinologie-Professor Alpermann. Grundsätzlich aber stehe die chinesische Bevölkerung Regularien, die die Privatsphäre betreffen, „nicht so negativ gegenüber. Ein Großteil sieht Überwachung als Mittel zur Sicherheit und dazu, irreguläres Verhalten zu verhindern, die Vertrauenswürdigkeit der Bürgerinnen und Bürger herzustellen.“
Welche Auswüchse wird die Staatskontrolle noch annehmen? Alpermann hält sich zurück. „Ich persönlich habe nie gedacht, dass China sich notwendigerweise demokratisch entwickelt. Aber das Ausmaß, mit dem die Uhr zurückgedreht wird, hat mich überrascht. Ich möchte nicht spekulieren, wo all das noch hinführt. Ich befürchte, dafür reicht meine Fantasie nicht aus.“
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