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Gesellschaft: Sollen junge Bürger einen Staatsdienst absolvieren?

Gesellschaft

Sollen junge Bürger einen Staatsdienst absolvieren?

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    Die Nachfrage nach Freiwilligendienst ist größer als das Stellenangebot.
    Die Nachfrage nach Freiwilligendienst ist größer als das Stellenangebot. Foto: dpa

    Das Ende der Wehrpflicht ist eine der bleibenden Folgen der kurzen Amtszeit von Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister. Der schillernde CSU-Politiker war nach seinem spektakulären Rücktritt schon gar nicht mehr im Amt, als die damalige Koalition aus Union und FDP gegen die Stimmen der anderen Parteien im März 2011 die Aussetzung beschlossen hat. Während die rot-rot-grüne Opposition die damalige Bundeswehrreform als Murks geißelte, stimmten viele Unionsleute nur unter Murren zu: Unter Konservativen zählt die Wehrpflicht eigentlich bis heute zum Markenkern der Republik.

    Nach dem Aufstieg der AfD schmerzt die Narbe manche in der Union noch stärker als damals. Kein Wunder, dass in den vergangenen Jahren sowohl der CDU-Konservative Jens Spahn, als auch Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer immer wieder die Einführung eines Pflichtdiensts für junge Bundesbürger in der Bundeswehr oder im sozialen Bereich ins Spiel bringen.

    Jetzt schwenkt die CSU auf einen ähnlichen Kurs ein. Der CSU-Vorstand diskutierte am Montag „die Einführung eines staatsbürgerlichen Deutschland-Praktikums während der Ausbildungszeit, das bei staatlichen, sozialen, ökologischen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen oder der Bundeswehr absolviert werden kann.“ Die CSU denkt, anders als die CDU, nur an etwa acht bis zwölf Wochen. Parteichef Markus Söder sagte, auch viele in der CSU hätten zwar Sympathie für eine allgemeine Dienstpflicht, das „Deutschland-Praktikum“ soll aber freiwillig und ein Einstieg für mehr staatsbürgerschaftliches Engagement sein. Das Praktikum ist ein Punkt in einem Positionspapier zur Bundeswehr. Denn der Wehrdienst war tatsächlich eine Art Schnupperpraktikum, das manchen jungen Soldaten zu einer Karriere als Staatsbürger in Uniform animierte.

    Für eine echte Dienstpflicht auch für Frauen müsste das Grundgesetz geändert werden. Dafür fehlt derzeit nicht nur die politische Mehrheit. Auch Verfassungsrechtler streiten, ob dieser tiefe Eingriff in die Freiheitsrechte mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist.

    Auch bei den Betroffenen stoßen die Gedankenspiele der Union auf keine Gegenliebe: „Das Denkgerüst für die Pläne zu einem Zwangspraktikum scheint von einer Defizitbeschreibung junger Menschen auszugehen, die erst zu sinnvoller Tätigkeit gezwungen werden müssen“, sagt der Präsident des Bayerischen Jugendrings Matthias Fack. „Das Gegenteil ist der Fall: Junge Menschen engagieren sich schon jetzt in hohem Maß ehrenamtlich und freiwillig – soweit ihnen Schule und Ausbildung die Zeit dazu lassen.“ Statt üblicher Lippenbekenntnisse und Debatten über Pflichtpraktika wünscht sich Jugendvertreter Fack lieber mehr Geld und Plätze sowie weniger Bürokratie für die jetzigen Angebote an Freiwilligendiensten.

    Auch die bayerische Chefin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, betont, dass es beim Freiwilligen Sozialen Jahr und dem Bundesfreiwilligendienst schon heute mehr Nachfrage gebe, als die Politik Stellen finanzieren wolle: „Die Diskussion über eine Dienstpflicht ist eine Schaufensterdebatte, die an den wirklichen Problemen vorbeigeht“, sagt Mascher. Selbst die Bundeswehr wäre nach Maschers Ansicht in der augenblicklichen Verfassung gar nicht in der Lage, auch noch Massen an Praktikanten aufzunehmen.

    Der stellvertretende Juso-Bun- deschef Sepp Parzinger schließt aus, dass die SPD einer Grundgesetzänderung zustimmt, „die jungen Menschen ein Stück ihrer Zukunftsplanungen“ nehme. Junge Leute könnten sich kaum noch Wohnungen leisten und die Union wolle ihnen zusätzlich noch einen schlecht bezahlten Zwangsdienst aufbürden – „realitätsferner geht es kaum noch“, kritisiert der Juso-Vize.

    Ähnlich sieht dies auch der Bundessprecher der Grünen Jugend, Max Lucks: „Junge Menschen verzichten nicht auf ein freiwilliges soziales Jahr, weil sie einfach zu faul sind, sondern weil es sich viele nicht leisten können. 300 Euro Taschengeld reichen nicht mal für ein WG-Zimmer.“ Wäre es der Union ernst mit dem sozialen Engagement junger Menschen, müsste sie für eine bessere Bezahlung beim Freiwilligen Sozialen Jahr, sorgen. „Dass sie lieber auf Zwangsmaßnahmen setzt, zeigt, dass es hier im Kern um einen Rekrutierungsdienst für die Bundeswehr geht“, kritisiert Lucks.

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