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Hintergrund: Tausende Kandidaten aussortiert: Wahlen ohne Wahl im Iran

Hintergrund

Tausende Kandidaten aussortiert: Wahlen ohne Wahl im Iran

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    Tiefer Frust und Desinteresse überschatten die Parlamentswahlen im Iran. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Wahlbeteiligung in Grenzen halten dürfte. 
    Tiefer Frust und Desinteresse überschatten die Parlamentswahlen im Iran. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Wahlbeteiligung in Grenzen halten dürfte.  Foto: Vahid Salemi, dpa

    Wie aus einer anderen Welt lesen sich die Reportagen über die Parlamentswahlen 2016 im Iran. Die Luft voller "Hoffnung", ein "Ansturm auf die Wahllokale", der "große Erfolg der Reformer und Moderaten" – es schien, als sei in dem Land mitten im Februar der Frühling ausgebrochen. Doch fast exakt vier Jahre danach herrscht – zumindest politisch – ein schier endloser Winter.

    Die Menschen begehren immer wieder gegen die islamistische Führung des Landes auf, die Mullahs um Staatsoberhaupt Ali Chamenei antworten mit knallharter Repression und setzen ihre Revolutionsgarden gegen das eigene Volk ein. Dazu passt, dass die Parlamentswahlen, die heute stattfinden, mit Demokratie nicht viel zu tun haben oder – kürzer formuliert – eine Farce sind. "Die Menschen hatten 2016 nach der Unterzeichnung des Wiener Atomvertrages im Jahr 2015 große Hoffnungen – doch sie sind bitter enttäuscht worden", sagt der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Nouripours Familie hat die Brutalität der Islamisten hautnah erlebt 

    Der 44-jährige Grünen-Politiker hat die Brutalität des islamistischen Regimes in den 80er Jahren hautnah erlebt: Nouripours Onkel wurde hingerichtet, seine Schwester verhaftet und vom Studium ausgeschlossen. Er war 13 Jahre alt, als er mit seinen Eltern das Land verließ.

    Über die Bedeutung der Parlamentswahlen für die Mehrheit der Bevölkerung macht sich Nouripour keine Illusionen: "Nach den Protesten im November, als die Regierung die Iraner über die Ursachen für den Absturz der ukrainischen Maschine belogen hat, und der Repression danach, hat kaum jemand den Glauben daran, dass es etwas bringt, zur Wahl zu gehen." Allerdings müssten diejenigen, die in einem staatseigenen Betrieb arbeiten, Konsequenzen fürchten, wenn sie am Wahltag zu Hause bleiben.

    Wer im Iran als Kandidat antreten will, der kommt im Wortsinn am Wächterrat – die stramm auf Linie getrimmte Wahl-Aufsichtsbehörde des Innenministeriums – nicht vorbei. Das war auch bei vorhergehenden Wahlen bereits der Fall. Doch diesmal hat sich die Behörde selber übertroffen. Der Wächterrat hat tausende von moderaten Männern und Frauen gar nicht erst zugelassen. Das Ergebnis: Es finden Wahlen ohne wirkliche Wahl statt. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass sich so etwas wie 2016 nicht wiederholt, als gemäßigte Politiker alle Parlamentssitze in der Hauptstadt abräumten. Eine Schmach für die Hardliner, die bis heute nicht vergessen ist.

    Ein Hort der lupenreinen Demokratie ist das iranische Parlament schon heute nicht. Doch nach den Wahlen dürfte die Meinungsvielfalt noch überschaubarer werden. 
    Ein Hort der lupenreinen Demokratie ist das iranische Parlament schon heute nicht. Doch nach den Wahlen dürfte die Meinungsvielfalt noch überschaubarer werden.  Foto: dpa

    Der Frust bei vielen der rund 58 Millionen Stimmberechtigten ist so groß, dass Beobachter bereits spekulieren, ob diese Karikatur einer demokratischen Wahl die Iraner erneut zu öffentlichen Protesten treibt. Nouripour glaubt das eher nicht. "Ich glaube, dass die Wahl für die meisten Leute dafür inzwischen zu unwichtig ist, auf der anderen Seite ist der Druck im Kessel so hoch, dass ein geringer Anlass genügt, auf die Straße zu gehen."

    Präsident Ruhani fleht die Iraner an, Wählen zu gehen

    Präsident Hassan Ruhani, der als moderat gilt, dürfte klar sein, dass er seinen Wahlerfolg von vor vier Jahren nicht ansatzweise wiederholen kann. Fast flehentlich bat er seine Landsleute, ihre Stimme abzugeben. "Nichts ist schlimmer als leere Wahllokale", sagte er.

    Dass Ruhani auf offene Ohren trifft, ist allerdings eher nicht zu erwarten. Denn sein Ansehen in der Bevölkerung hat stark gelitten. Die Wirtschaft liegt am Boden, Reformen Fehlanzeige. Im Gegenteil: Die Staatsmacht drangsaliert die Bevölkerung mehr denn je. Zudem haben immer wieder aufflammende, oft auch gewalttätige Massenproteste Ruhani erheblich geschwächt. Mal demonstrierten die Menschen gegen den verhassten Kopftuchzwang für Frauen, mal gegen die exorbitante Verteuerung von Treibstoff und vielen anderen Gütern. Noch mehr Vertrauen haben die dreisten Lügen über den versehentlichen Abschuss des ukrainischen Jets mit 176 Toten gekostet. Gleichzeitig wächst der Ärger über die kostspielige und politisch brisante Einmischung des Irans im Jemen, im Libanon, in Syrien oder im Irak, während zu Hause die Konjunktur kollabiert. "Jahrelang hat das Argument verfangen, dass man ja ISIS im Ausland stoppen müsse. Das haben viele geglaubt. Doch dieses Argument ist ausgelutscht – spätestens seit der Benzinpreisexplosion", sagt Nouripour.

    Nouripour: "Kein Wunder, dass viele Perser das Weite suchen."

    Sicher ist sich der Grüne, dass die Iraner viel moderner sind, als ihre Regierung glaubt. "Die Zivilgesellschaft ist sehr weit, mit vielen demokratischen Facetten, in der Frauen oft den Ton angeben. Die Menschen haben es wirklich satt, um jede kleine Freiheit im Alltag kämpfen zu müssen", sagt er.

    Es sei kein Wunder, dass seit vielen Jahren tausende gut ausgebildete Perser das Weite suchen: "Es gab in den 90er Jahren ein Plakat, das in vielen klassischen Teenager-Zimmern in Teheran hing. Darauf stand: 'Yankee Go Home and Take Me with You'." Was so viel heißt, wie "Ami, geh’ nach Hause – und nimm mich mit."

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