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Großbritannien: Theresa May bittet EU um Brexit-Aufschub bis Ende Juni

Großbritannien

Theresa May bittet EU um Brexit-Aufschub bis Ende Juni

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    Die britische Premierministerin Theresa May wird die Europäische Union Berichten zufolge um einen kurzen Brexit-Aufschub von etwa drei Monaten bitten.
    Die britische Premierministerin Theresa May wird die Europäische Union Berichten zufolge um einen kurzen Brexit-Aufschub von etwa drei Monaten bitten. Foto: Steve Parsons, PA Wire/dpa

    London Wieder beginnt der Brief mit „Dear Donald“, „Lieber Donald“, doch anders als vor knapp zwei Jahren hat Premierministerin Theresa May dieses Mal auf die persönliche Note verzichtet. Während sie sich in dem damaligen Schreiben, mit dem die britische Regierungschefin den EU-Austrittsprozess eingeleitet hat, handschriftlich und in schwarzer Tinte an EU-Ratspräsident Donald Tusk wandte, war die Anrede nun Teil des Gedruckten. Es mag nur eine Randnotiz sein, aber sie zeigt, wie frostig das Verhältnis zwischen London und Brüssel mittlerweile zu sein scheint. Dennoch hatte May keine andere Wahl, als ihre Bitte an Tusk zu richten.

    Neun Tage vor Ablauf der Zweijahresfrist am 29. März bat May jetzt offiziell um eine Verlängerung des Brexit-Termins bis Ende Juni. Weil die Premierministerin eine Teilnahme an den Europawahlen ausschließen will, will sie keinen längeren Aufschub. Stattdessen hält May weiterhin an ihrem bereits gescheiterten Plan fest. May will eine Mehrheit für den mit der EU ausgehandelten Austrittsdeal erreichen – jenes Abkommen, das bereits zwei Mal im Parlament krachend durchgefallen ist. Und nach der Einmischung von Unterhaussprecher John Bercow in dieser Form auch nicht noch einmal den Abgeordneten vorgelegt werden kann.

    Brexit: Unterhaussprecher Bercow hatte Mays Plan zunächst vereitelt

    Doch alles deutet darauf hin, dass May beabsichtigt, noch in der nächsten Woche abermals eine Entscheidung vom Unterhaus zu erzwingen. Sollte der Vertrag dann gebilligt werden, müsste das Königreich lediglich eine kurze „technische Verlängerung“ in Anspruch nehmen. Die Zeit würde benötigt, um den Brexit formal korrekt abzuwickeln und die innerstaatliche Gesetzgebung anzupassen.

    Erst am Montag hatte Unterhaussprecher Bercow den Plan der Regierung vereitelt, die Abgeordneten diese Woche ein drittes Mal über den Deal abstimmen zu lassen. Vorerst zumindest. Der „Speaker“ verwies auf einen Präzedenzfall von vor mehr als 400 Jahren, wonach ein bereits abgelehntes, unverändertes Gesetzesvorhaben dem Parlament nicht immer wieder vorgelegt werden kann. Die einen jubelten, die anderen wüteten. Vermutlich war es unausweichlich, dass das Königreich in diesen chaotischen Brexit-Wochen, in denen die EU-Gegner gerne von den alten Zeiten schwärmen, irgendwann im Jahr 1604 landen würde. Dass aber ausgerechnet Bercow den Schwenk ins 17. Jahrhundert machen würde, hätten die Europa-Skeptiker wohl nicht erwartet.

    So schmähte etwa die Boulevardzeitung Daily Express den Sprecher als „Brexit-Zerstörer“. Bercow, von dem bekannt ist, dass er beim Referendum für den Verbleib gestimmt hat, habe eine „Verfassungskrise“ ausgelöst. Auch May ließ verlautbaren, das Land befinde sich in einer „Krise“. Doch ob eine dreimonatige Verlängerung diese lösen kann?

    Während der wöchentlichen Fragerunde im Parlament attackierte die Regierungschefin am Mittwoch all ihre Kritiker und präsentierte sich überraschend selbstbewusst. „Als Premierministerin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschieben.“ Etliche Beobachter interpretierten die Aussage als Hinweis auf ihren möglichen Rücktritt, sollte am Ende eine längere Verzögerung des EU-Austritts unausweichlich werden.

    Und nun? Das Chaos auf der Insel, von dem man seit Wochen annimmt, es könnte größer kaum werden, wird tatsächlich von Tag zu Tag größer. Offiziell treten die Briten am 29. März aus der Staatengemeinschaft aus, sollten die übrigen 27 Mitgliedstaaten die von London gewünschte Verlängerung nicht einstimmig genehmigen. Die sogenannte „Default-Option“, ohne Abkommen und ohne Übergangsphase auszuscheiden in einem „harten Brexit“, bleibt bis dahin bestehen, ein anderslautender Parlamentsbeschluss ist rechtlich nicht bindend.

    Regierungschefs der EU sprechen Freitag über die Brexit-Möglichkeiten

    Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel in Brüssel, aber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat bereits angekündigt, dass er dann noch keine Entscheidung über eine Verschiebung erwartet. Auch wenn das neu gewählte Europaparlament erst am 2. Juli erstmals zusammentritt, steht die EU einem Aufschub bis Ende Juni skeptisch gegenüber.

    So wolle man entweder eine kurze Verlängerung bis zum Start der Europawahlen am 23. Mai gewähren oder gleich eine lange Verlängerung bis mindestens zum Ende des Jahres mit der Option einer Verkürzung, sollte vorher eine Lösung gefunden werden. Seit Wochen ist aus Brüssel zu hören, dass einer Verschiebung des Austrittsdatums nur zugestimmt würde, wenn London einen klaren Plan für das weitere Vorgehen präsentiert. Dennoch gehen Beobachter dies- und jenseits des Ärmelkanals davon aus, dass die verbleibenden EU-Staaten alles versuchen werden, einen ungeordneten Brexit ohne Deal zu verhindern.

    Obwohl die Premierministerin nach etlichen Schlappen mittlerweile an Demütigungen gewöhnt sein dürfte, sind die aktuellen Entwicklungen ein gewaltiger Dämpfer für die Regierung. Nun muss May mit leeren Händen nach Brüssel reisen. Selbstkritik wurde jedoch nicht laut. Vielmehr hieß es aus der Downing Street, Unterhaussprecher Bercow habe den Deal sabotiert. Die Aussage darf man hinterfragen, denn die Chancen auf einen Abstimmungserfolg von May im dritten Anlauf gingen ohnehin gegen Null. Nun aber könnte sich das Blatt wenden.

    Etliche Parlamentarier, die in der Vergangenheit den Vertrag abgelehnt hatten, änderten nach Bercows überraschender Einmischung offenbar ihre Meinung und verrieten, dass sie in einem dritten oder gar vierten Versuch in Betracht gezogen hätten, den Deal zu billigen. Einige Kommentatoren betonten deshalb, dass die Aussichten gestiegen seien, das Abkommen auf die letzten Meter durchs Parlament zu bekommen – vorausgesetzt, May kann bei der EU Änderungen erzielen und den Abgeordneten den Vertrag noch einmal vorlegen. Eine andere Möglichkeit wäre, schlichtweg das Parlamentsprozedere anzupassen, um so ein erneutes Votum zu ermöglichen.

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