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Türkei: Botschafter-Krise in der Türkei: So kam es zu Erdogans Wutausbruch

Türkei

Botschafter-Krise in der Türkei: So kam es zu Erdogans Wutausbruch

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    Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt unter anderem den deutschen Botschafter in der Türkei zur unerwünschten Person.
    Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt unter anderem den deutschen Botschafter in der Türkei zur unerwünschten Person. Foto: -/Xinhua/dpa (Archivbild)

    Als Recep Tayyip Erdogan am Samstag is nordwesttürkische Eskisehir reiste, um mehrere neue Fabriken einzuweihen, sah das zunächst nach einem Routine-Termin des türkischen Präsidenten aus. Doch dann trat Erdogan ans Rednerpult – und es war aus mit der Routine. „Kavala, Kavala, Kavala, Kavala“, beschwerte er sich vor tausenden Anhängern. „Von morgens bis abends geht das so.“ Erdogan meinte das Engagement des Auslands für den inhaftierten Bürgerrechtler Osman Kavala, das sich zuletzt in der Forderung von zehn westlichen Botschaftern nach Kavalas Freilassung geäußert hatte.

    Er habe seinen Außenminister angewiesen: „Sie veranlassen sofort, dass diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zu unerwünschten Personen erklärt werden.“ Damit würden die Diplomaten gezwungen, die Türkei zu verlassen. Hinter Erdogans Wutausbruch stehen persönliche und innenpolitische Gründe. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Was hatten die westlichen Botschafter von der Türkei gefordert?

    In einer gemeinsamen Erklärung am vergangenen Montag – dem vierten Jahrestag von Kavalas Festnahme am 18. Oktober 2017 – verlangten die Botschafter, die Türkei solle Kavala so schnell wie möglich freilassen. Hinter der Erklärung standen die Vertreter von Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und den USA. Die Diplomaten wurden darauf ins türkische Außenamt einbestellt, während Erdogan bereits in einer ersten Reaktion mit ihrem Rauswurf drohte.

    Botschafter-Krise in der Türkei: Um was geht es im Fall Kavala?

    Der 64-jährige Kulturförderer sitzt seit vier Jahren im Gefängnis. Erdogan und die Justiz werfen ihm vor, an den Gezi-Protesten des Jahres 2013 und dem Putschversuch von 2016 beteiligt gewesen zu sein. Da es keine Beweise dafür gibt, wird Kavala mit immer neuen Vorwürfen und Verfahren in Untersuchungshaft gehalten. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ordnete schon 2019 seine Freilassung an. Doch obwohl sich die Türkei als Mitglied des Europarats an die Weisungen der Richter halten muss, bleibt Kavala in Haft.

    Warum ist Kavala für Präsident Erdogan ein rotes Tuch?

    Der Präsident ist überzeugt, dass Kavala ihn stürzen will. Schon 2013 war Erdogan laut Presseberichten zu Ohren gekommen, dass Kavala das damals geplante Präsidialsystem als Anfang eines totalitären Staates ablehnte. Seitdem steht Kavala im Visier der Erdogan-treuen Justiz. Kavala selbst erklärte nach den jüngsten Äußerungen des türkischen Präsidenten, er habe keine Chancen mehr auf ein faires Verfahren und werde deshalb nicht mehr an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Der Prozess gegen ihn wird am 26. November fortgesetzt. Wenige Tage später entscheidet der Europarat über den Rauswurf der Türkei wegen Kavalas langer Haft.

    Wie kam es zu Erdogans Wutausbruch in Eskisehir?

    Einiges spricht dafür, dass die Äußerungen des Präsidenten in der Regierung nicht abgesprochen waren. Die Nachrichtenagentur Anka meldete, das Außenamt habe in den vergangenen Tagen vergeblich versucht, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Unter den von Erdogan beschuldigten Diplomaten sind Vertreter der wichtigsten Handelspartner der Türkei und von Nato-Bündnispartnern. Einige der Staats- und Regierungschefs dieser Länder will Erdogan in den kommenden Tagen beim G20-Gipfel in Rom und beim Klimagipfel von Glasgow treffen. In seinen Äußerungen in Eskisehir gibt es einige Ungereimtheiten: ein weiteres Zeichen dafür, dass diese Rede nicht vorbereitet war. So behauptete er, die Botschafter seien ins türkische Außenministerium gekommen, um Kavalas Freilassung zu verlangen – dabei waren die Diplomaten ins Außenamt zitiert worden und hatten ihren Appell schon am Tag zuvor schriftlich veröffentlicht. Unter Erdogans Präsidialsystem haben Ministerien wie das Außenamt an Einfluss verloren, während die Macht von Präsidentenberatern zugenommen hat. Demokratische Kontrollmechanismen wurden außer Kraft gesetzt. Die türkische Außenpolitik hänge inzwischen von den Launen eines einzigen Mannes ab, analysierte das Nahost-Institut in Washington kürzlich.

    Wie fallen die Reaktionen auf die Botschafter-Krise in der Türkei aus?

    Die regierungstreue Presse applaudiert. Der Westen wolle die Türkei unter Druck setzen, kommentierte etwa die Zeitung Star. Dagegen wirft die Opposition dem Präsidenten vor, die Botschafter-Krise aus Eigeninteresse vom Zaun gebrochen zu haben. Erdogan wolle einen Vorwand schaffen, um den Westen für die Wirtschaftsprobleme der Türkei verantwortlich machen zu können, sagte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Am Tag vor Erdogans Rede in Eskisehir war die Lira wegen einer auf Druck des Präsidenten hin erfolgten Leitzinsentscheidung der türkischen Zentralbank auf neue Rekord-Tiefstände gegenüber Dollar und Euro abgesackt.

    Was geschieht jetzt?

    Die betroffenen Staaten erhielten bis zum Sonntag keine offizielle Mitteilung der Türkei über einen Rauswurf ihrer Botschafter. „Wir haben die Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan sowie die Berichterstattung hierüber zur Kenntnis genommen und beraten uns derzeit intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern“, heißt es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Sollten die zehn Botschafter tatsächlich des Landes verwiesen werden, wäre dies der schwerste Bruch zwischen der Türkei und dem Westen seit der Zypern-Krise von 1974. Die türkische Wirtschaft dürfte noch tiefer in die Krise schlittern, das Land am Bosporus würde sich noch weiter vom Westen entfernen, der Einfluss Russlands würde wachsen. Selbst wenn der Krach um die Botschafter noch beigelegt werden kann, wird ein Nachgeschmack bleiben: Ein Rauswurf der Türkei aus dem Europarat ist unabhängig vom Ausgang des Streits wahrscheinlicher geworden.

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