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Türkei: Merkel kann Erdogan nicht umstimmen

Türkei

Merkel kann Erdogan nicht umstimmen

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    Erst sagt er „Welcome“, dann „Willkommen“: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul zu einem Meinungsaustausch.
    Erst sagt er „Welcome“, dann „Willkommen“: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul zu einem Meinungsaustausch. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Als Angela Merkel am Montagnachmittag im deutschen Generalkonsulat in Istanbul vor die Presse tritt, steht sie der guten alten Zeit der deutsch-türkischen Beziehungen gegenüber: Von der Wand des Raums, in dem sich die Kamerateams versammelt haben, schaut ein strenger Kaiser Wilhelm II. in Uniform aus einem Ölgemälde auf die Kanzlerin herab. Zu seiner Zeit waren Deutsche und Türken noch enge Waffenbrüder im Ersten Weltkrieg. Heute ist von Brüderschaft nicht mehr viel übrig.

    Am Rande des UN-Nothilfegipfels in Istanbul hat Merkel gerade mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesprochen – und in so ziemlich allen wichtigen Bereichen der bilateralen Beziehungen einen Dissens festgestellt. Schon mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft habe sie am Vorabend darüber gesprochen, dass eine Demokratie eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien und ein starkes Parlament brauche, sagt Merkel. Gegenüber Erdogan habe sie ihre tiefe Besorgnis über die Aufhebung der Abgeordnetenimmunitäten im türkischen Parlament zum Ausdruck gebracht.

    Erdogan bleibt bei seinem Nein

    Der war aber offenbar nicht sehr beeindruckt. „Es bleiben Fragen in dieser Richtung offen“, weitere Gespräche seien nötig. Merkel vermittelt den Eindruck, als habe sie nichts anderes erwartet. Die Kanzlerin besucht Istanbul kurz nach der Aufhebung der Immunität zahlreicher Abgeordneter auf Betreiben Erdogans, der damit erreichen will, dass Kurdenpolitiker vor Gericht gestellt werden. Gleichzeitig beauftragte Erdogan seinen treuen Gefolgsmann, den bisherigen Transportminister Binali Yildirim mit der Bildung einer neuen Regierung – der bisherige Premier Ahmet Davutoglu, der mit Merkel und anderen EU-Spitzenpolitikern eng zusammengearbeitet und das Flüchtlingspaket ausgehandelt hatte, war von Erdogan abserviert worden. Deshalb ist es kein Wunder, dass es auch beim Thema Visafreiheit keine Bewegung gibt zwischen Kanzlerin und Präsident.

    Erdogan bleibt bei seinem Nein zur Änderung der türkischen Terrorgesetze. Das bedeute, so Merkel mit Blick auf die Hoffnung vieler Türken auf das unbeschränkte Reisen nach Europa, dass es im Juni wohl noch nichts werde mit der Visafreiheit. Schließlich seien alle 72 Kriterien zu erfüllen, sagt sie in Anspielung auf Erdogans Behauptung, die Forderung nach liberaleren Terrorgesetzen sei von der EU draufgesattelt worden. Merkel betont, das Kriterienpaket stamme aus dem Dezember 2013, aus einer Zeit also, als Erdogan selbst noch Ministerpräsident war und mit der EU verhandelte.

    Die Frage eines Reporters, ob es wirklich klug gewesen sei, das Flüchtlingsthema mit der Visafreiheit zu verbinden, pariert Merkel mit dem Hinweis auf das große Ganze: Alles hänge miteinander zusammen. Wie geht es also weiter mit dem Flüchtlingsdeal? Daran, dass das Abkommen mit der Türkei richtig war, will Merkel nicht rütteln lassen. Es sei nicht das erste Mal in ihrer Karriere, dass die Umsetzung ausgehandelter Abkommen eine gewisse Zeit brauche, sagt die Kanzlerin und verweist auf die Vereinbarung von Minsk über den Ukraine-Konflikt. Merkel setzt offenbar darauf, dass sich die Einsicht irgendwann einmal auch beim türkischen Präsidenten einstellt. „Wenn es etwas länger dauert, um die vollständige Umsetzung zu schaffen, dann müssen wir eben intensiv miteinander sprechen, das ist meine Einstellung dazu.“

    Merkel und Erdogan sprechen vor allem über Innenpolitik

    Erosion des Rechtsstaates, Demokratieabbau, Kurdenproblem – das sind weitere Themen, die Merkel mit Erdogan bespricht. Ungewöhnlich für den Besuch einer Regierungschefin in einem Partnerland: Es geht fast nur um innenpolitische Fragen, und zwar um türkische wie deutsche Innenpolitik. Merkel steht zu Hause unter Druck. 59 Prozent der Deutschen erwarten laut Politbarometer ein Scheitern des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Sie muss deshalb in Istanbul klare Töne gegenüber Erdogan finden, um den Eindruck aus der Welt zu schaffen, sie lasse sich vom türkischen Staatschef erpressen.

    Bei ihrer Begegnung mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft am Sonntagabend gibt Merkel erste Hinweise darauf, dass sie weiß, was sie bei Erdogan erwartet. „Sie war sehr gut informiert“, berichten Teilnehmer des Gesprächs, das in einem Luxushotel am Bosporus stattfindet. Und: „Sie weiß, dass man bei Erdogan ein dickes Fell braucht.“ Bei dem Treffen mit Menschenrechtlern, Anwälten, Geschäftsleuten und Journalisten spricht die Kanzlerin Deutsch, manchmal Englisch, während sich die Teilnehmer auf Türkisch mit Simultanübersetzung an Merkel wenden.

    Unter den Eingeladenen sind einige prominente Erdogan-Gegner. Das Gespräch ist auf eine Stunde angelegt, dauert aber mehr als zwei. Das Thema syrische Flüchtlinge spielt nur eine Nebenrolle, die Unterredung dreht sich vor allem um die politische Lage in der Türkei. Erdogan will so schnell wie möglich ein Präsidialsystem einführen und räumt ein Hindernis nach dem anderen aus dem Weg. Mit fragwürdigen Methoden, wie seine Gegner finden. Regierungskritische Zeitungen sind am Montag voll mit Kommentaren, in denen vom Marsch der Türkei in den Ein-Mann-Staat die Rede ist.

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