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Umwelt: Was ist schuld am Bienensterben?

Umwelt

Was ist schuld am Bienensterben?

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    Vergangenen Winter raffte das rätselhafte Bienensterben in Deutschland nach Hochrechnungen von Wissenschaftlern 170000 Bienenvölker dahin.
    Vergangenen Winter raffte das rätselhafte Bienensterben in Deutschland nach Hochrechnungen von Wissenschaftlern 170000 Bienenvölker dahin. Foto: Stratenschulte, dpa

    Wenn Imker im Frühjahr nach ihren Bienenstöcken sehen, lautet ihre größte Sorge: Wie viele Völker wurden über den Winter Opfer des Bienensterbens? Vergangenen Winter raffte das rätselhafte Phänomen in Deutschland nach Hochrechnungen von Wissenschaftlern 170000 Bienenvölker dahin. Dabei sind Bienen allerdings vielfältigen Gefahren ausgesetzt, Umwelteinflüsse verändern ihr Verhalten, Milben und Viren gelten als Hauptfeinde – aber auch der Mensch: Monokulturen und Pflanzengifte in der Landwirtschaft sind nach Ansicht von Experten mitverantwortlich für den massenhaften Bienenvölkertod.

    Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa schreibt unter anderem drei Pflanzenschutzmitteln, sogenannten Insektiziden ein „hohes, akutes Risiko“ für Bienen zu. Ihre Namen klingen sperrig: Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid. Die drei Nervengifte gehören zur Gruppe der sogenannten Neonikotinoide. Sie werden als Saatgutbeizmittel eingesetzt, um Schädlinge zu bekämpfen und die angebauten Pflanzen dadurch zu schützen. Doch ihre aggressive Wirkung entfalten sie auch gegen solche Tiere, deren Rückgang gar nicht beabsichtigt ist – vor allem Bienen.

    „Neonikotinoide lähmen oder töten Bienen bereits bei einer niedrigen Dosierung“, sagt der britische Bienen-Experte Dave Goulson von der Universität Sussex. Die tödliche Dosis für viele der Wirkstoffe beträgt nach seinen Angaben etwa vier milliardstel Gramm pro Biene „Bei schwächerer Dosierung beeinträchtigen sie unter anderem die Navigation und das Lernen, reduzieren die Fortpflanzungsfähigkeit und unterdrücken das Immunsystem.“

    Anders als beim jüngsten Streit um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat sind die gefährlichen Nebenwirkungen der genannten Insektizide selbst in Brüssel nicht umstritten: Bereits vor vier Jahren entschied die EU-Kommission den Einsatz der drei Neonikotinoide zu beschränken. So ist es derzeit EU-weit nicht erlaubt, die drei Insektizide etwa auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken anzuwenden. Doch die Beschränkung hat viele Lücken: Für zahlreiche Pflanzen gibt es Sondergenehmigungen. So dürfen die Neonikotinoide zum Beispiel bei Hafer oder Weizen angewendet werden, wenn die Getreide zwischen Januar und Juni ausgesät werden.

    Der Beschluss der Kommission im Jahr 2013 ging auf ein Gutachten der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa zurück. Das Amt erhielt damals zugleich den Auftrag, weitere Erkenntnisse zur Wirkung der drei Insektizide zusammenzutragen. Die EU-Kommission diskutiert nun, ob es weitere Beschränkungen für die drei Insektengifte geben soll. Im Gespräch sind innerhalb der Kommission Vorschläge, nach denen die drei Gifte nur noch in Gewächshäusern eingesetzt werden dürften. Ob es diese Woche schon eine Entscheidung gibt, ist unklar.

    Umweltschützer fordern ein generelles Verbot der Neonikotinoide: „Die Teilverbote und Sondergenehmigungen der EU greifen ins Leere, Jahr für Jahr werden weiter große Mengen eingesetzt“, sagt Leif Miller von der Naturschutzorganisation Nabu. Landwirtschaftsvertreter sind gegen ein Totalverbot und sprechen von Wettbewerbsnachteilen für Europas Landwirtschaft: „Wir behaupten nicht, dass diese Mittel harmlos sind“, sagt Martin May vom Industrieverband Agrar. „Aber sie können von fachkundigen Landwirten verantwortungsvoll eingesetzt werden.“ Mays Verband fordert zudem, die für Februar erwartete Empfehlung der EU-Behörde abzuwarten: „Wir sind verwundert, warum die Kommission diesen Schritt jetzt geht. Wir finden es wichtig, das wissenschaftliche Votum der Efsa abzuwarten.“

    Und so könnte das Thema, wenn die zuständigen EU-Gremien heute tagen, am Ende wieder zu einer Streitfrage wie Glyphosat werden. Vor zwei Wochen hatte CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt gegen das Veto von SPD–Umweltministerin Barbara Hendricks einer verlängerten Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat zugestimmt und sich eine Rüge von Kanzlerin Angela Merkel eingefangen.

    Im Fall der Neonikotinoide unterstützt Hendricks Umweltministerium die Vorschläge der Kommission einer Beschränkung auf Gewächshäuser, und möchte sich in der Regierung für eine entsprechende deutsche Position einsetzen. Schmidts federführendes Landwirtschaftsministerium betont, die Ergebnisse der Efsa-Empfehlung im Februar abwarten zu wollen. Allerdings sagte Schmidt kürzlich in einer Talkshow: Wenn sich in der Efsa-Studie herausstelle, dass die Stoffe schädlich seien, „dann müssen sie komplett verboten werden“.

    Während die Politik noch diskutiert, befürchtet der britische Bienen-Experte Goulson bereits, dass sich die Hersteller der Insektizide herauszuwinden versuchen: „Während diese Debatte hochgekocht ist, hat die Industrie geräuschlos Ersatzprodukte registriert. Angeblich sollen es keine Neonikotinoide sein, tatsächlich aber haben sie eine verdächtige Ähnlichkeit.“ So sei etwa der Wirkstoff „Flupyradifuron“ seit 2015 in einigen EU-Ländern als Insektizid zugelassen. Deutschland gehört bislang nicht dazu. Janne Kieselbach und Fabian Nitschmann, dpa

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