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Europa: Die EU hat 270 Milliarden Euro Zuschussgelder übrig

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Die EU hat 270 Milliarden Euro Zuschussgelder übrig

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    In Deutschland nutzten viele Bundesländer die Chancen, Projekt mit EU-Mitteln zu finanzieren, andere Staaten scheitern an schlechter Organisation.
    In Deutschland nutzten viele Bundesländer die Chancen, Projekt mit EU-Mitteln zu finanzieren, andere Staaten scheitern an schlechter Organisation. Foto: Christians, dpa (Symbolbild)

    Der CDU-Politiker Klaus Heiner Lehne weiß, wovon er redet. Schließlich steht er seit zwei Jahren an der Spitze des Europäischen Rechnungshofes in Luxemburg. Nun zog er in einem Interview eine bittere Bilanz der EU-Förderpraxis. Denn die EU-Mitgliedsstaaten haben ein überraschendes Problem: Sie geben zu wenig Geld aus. Viele Länder rufen von Brüssel bereitgestellte Mittel nicht ab oder sind dazu schlicht nicht in der Lage.

    „Die Summe der nicht abgerufenen Mittel für EU-Förderprogramme ist auf den Rekordstand von 270 Milliarden Euro gestiegen“, sagt Rechnungschef Lehne. „Die Gelder sind von der EU zugesagt, werden aber nicht ausgegeben.“ Der Berg werde immer größer und sei nun „doppelt so hoch wie ein EU-Jahresetat.“ Den Missstand gibt es bereits seit Jahren, ohne dass etwas geschieht. „Wir erreichen jedes Jahr neue Höchststände“, bestätigt Ingeborg Grässle, die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament. „Im vergangenen Jahr waren wir bereits bei 248 Milliarden Euro, die auf Halde lagen.“

    Ausgerechnet Italien ruft am wenigsten Finanzmittel ab

    Die CDU-Europaabgeordnete aus Baden-Württemberg nennt die wichtigsten Gründe: „Manche Staaten können die vorgeschriebenen Eigenmittel nicht aufbringen“, verweist sie auf die vorgeschriebene Co-Finanzierung. „Andere erfüllen die Bedingungen nicht. Wieder andere haben schlicht keine förderwürdigen Projekte und manche Regionen sind ausfinanziert.“

    Zu einem erheblichen Teil handelt es sich ausgerechnet um Finanzmittel, die Italien zustehen. Obwohl gerade der römische Innenminister Matteo Salvini nicht müde wird, von Brüssel mehr Geld zu fordern. Dabei müsste der Rechtspopulist das geforderte Geld nur abrufen. Doch die italienische Verwaltung arbeitet alles andere als effizient. Grässle bestätigte, dass einige wenige der von der EU in Italien geförderte Projekten erst jetzt abgerechnet werden, obwohl sie aus dem Jahre 1994 stammen.

    Das Geld kann nicht einfach für anderes ausgegeben werden

    Fast 90 Prozent der nicht abgerufenen Mittel stehen für die Infrastruktur- sowie die sogenannte Kohäsionspolitik bereit: Es sind also Gelder, mit denen benachteiligte Regionen aufgepäppelt werden sollen. Doch das ist schwierig, wie die EU-Abgeordnete und SPD-Fachfrau für Regionalpolitik Kerstin Westphal erklärt: „Ich vergleiche den europäischen Etat immer mit einem Dampfer, der – einmal auf Kurs gesetzt – kaum noch lenkbar ist.“ Tatsächlich dürfen nicht genutzte Gelder nämlich nicht von einer in eine andere Haushaltsposition umgewidmet werden. Eine Flexibilität, die für nationale Etats selbstverständlich ist. Mit entsprechenden Konsequenzen: „Der aktuelle Haushalt, der noch bis 2021 läuft, wurde 2013 beschlossen“, sagt Westphal. „Deswegen müssen wir jetzt mühsam dafür sorgen, dass man EU-Fördergelder beispielsweise für die Integration von Flüchtlingen ausgeben kann.“

    Das Problem bleibt: „Der neue Etat wird bis 2027 laufen - wer will jetzt schon sagen, vor welchen Herausforderungen wir 2024 stehen?“, fragt nicht nur die SPD-Politikerin. Rechnungshof-Präsident Lehne sieht das genauso: „Der Kommunismus ist schon an einem Fünf-Jahres-Plan gescheitert – wir machen einen Sieben-Jahres-Plan“, kritisiert er.

    In Zukunft sollen EU-Finanzmittel umgewidmet werden können

    Günther Oettinger, innerhalb der Europäischen Kommission für den Haushalt zuständig, hat in seinem Entwurf für die sieben Jahre ab 2021 deshalb ein neues Instrument eingebaut: In der Mitte der nächsten Finanzperiode soll eine Art Kassensturz gemacht werden, um zu sehen, ob die Prioritäten stimmen. Außerdem fordert er, die Umwidmung von Finanzmitteln zu ermöglichen. Doch ob die Mitgliedstaaten mitmachen, ist ungewiss. „Jedes Land klammert sich an sein Geld und pocht auf gegebene Zusagen“, weiß Grässle. Allerdings wird die ineffiziente Nutzung wichtiger Gelder so einfach fortgeschrieben.

    SPD-Politikerin Westphal ärgert sich über den vertanen Chancen: „Statt Energie darauf zu verwenden, die EU schlechter zu reden, sollten sich die Länder darauf konzentrieren, das Geld tatsächlich abzurufen und vor Ort Jobs zu schaffen, Innovation zu fördern oder den Klimawandel zu bekämpfen.“

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