Kommt die deutsche Pkw-Maut – oder nicht? Am Dienstag urteilt der Europäische Gerichtshof über eine Klage Österreichs, mit der die geplante Infrastrukturabgabe noch gestoppt werden könnte. Noch dazu gibt es neue Zweifel, ob die geplante, sogenannte Infrastrukturabgabe sich wirklich wirtschaftlich rechnet, mit der ausländische Autofahrer an den Kosten des deutschen Autobahnnetzes beteiligt werden sollen: „Diese Maut droht zu einem Minusgeschäft zu werden“, warnt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. „Sie würde uns jährlich bis zu 155 Millionen Euro kosten, die Grenzregionen extrem belasten und unsere europäischen Nachbarn ohne Not verärgern“, kritisiert er.
Hofreiter bezieht sich auf ein Gutachten, das seine Fraktion bei dem Berliner Institut Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in Auftrag gegeben hat, das einst in den Neunzigern die Grundzüge der bis heute geltenden Ökosteuer erarbeitet hatte. Die Forscher überprüften die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums und warnen vor Millionenkosten des Projekts. „Ein Defizit von zehn bis 155 Millionen Euro in den ersten Jahren der Einführung ist wahrscheinlich“, heißt es in dem Gutachten.
Pkw-Maut: Grünen-Fraktionschef Hofreiter spricht von Stammtischparole
Als Grund nennen die Experten die im Zuge des Streits mit der EU zusätzlich beschlossene Entlastung von schadstoffarmen Autos der Euro-6-Norm. Dies fresse die tatsächlichen Nettoeinnahmen auf und könnte entweder von Beginn an oder spätestens in wenigen Jahren zu einem Defizit im laufenden Betrieb führen, warnen die Experten. Die Entlastung schlage im Jahr 2020 mit 110 Millionen Euro zu Buche und verdopple sich bis 2023 angesichts der seit dem Diesel-Skandal wachsenden Nachfrage nach saubereren Motoren auf 230 Millionen Euro. Bereits vor zwei Jahren hatte eine Studie des ADAC nach Abzug der Betriebs- und Verwaltungskosten bei der Pkw-Maut ein Defizit von 71 Millionen Euro vorhergesagt.
Für den Grünen-Fraktionschef ist das drohende Defizit bei der einst im Wahlkampf von der CSU propagierten „Ausländermaut“ ein politisches Desaster: „Ich kenne keine Stammtischparole, die uns so teuer zu stehen kommen würde“, kritisiert Hofreiter. „Und obendrein diskriminiert diese Maut europäische Mitbürger“, fügt er hinzu.
Scharf kritisiert der Grünen-Fraktionschef, dass nach den Plänen der Bundesregierung künftig Pkw sowie Lkw über 7,5 Tonnen mautpflichtig sein sollen, nicht aber die wachsende Zahl von Transportern, Kleinlastern und leichten Lkw unter 7,5 Tonnen. „Dass diese Fahrzeuge von Lkw- und Pkw-Maut ausgespart werden, ist ein Beispiel für den stümperhaften CSU-Verkehrsmurks“, sagt Hofreiter. „Wir fordern: Die Lkw-Maut muss auf Kleintransporter ausgeweitet werden“, fügt er hinzu und fordert stattdessen den Stopp der Pkw-Maut-Pläne. „Mir wäre es lieber, wenn nicht das Gericht sich mit dieser unsinnigen Maut rumschlagen müsste, sondern die Bundesregierung sie endlich stoppen würde“, betont der Grünen-Politiker. „Die Bundesregierung sollte noch mal kühl nachrechnen“, sagt Hofreiter mit Blick auf das drohende Defizit.
Vieles spricht dafür, dass Verkehrsminister Scheuer bei der Pkw-Maut gewinnt
CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer geht dagegen von knapp einer halben Milliarde Mehreinnahmen pro Jahr aus. Er erwartet 846 Millionen Euro an Einnahmen durch ausländische Fahrzeuge, denen rund 247 Millionen Euro Systemkosten und 110 Millionen Euro Steuerrabatte für umweltfreundlichere Euro-6-Fahrzeuge gegenüberstehen würden.
Vieles spricht dafür, dass Scheuer am kommenden Dienstag als Sieger aus dem jahrelangen Rechtsstreit hervorgehen wird. Nils Wahl, der für dieses Verfahren zuständige Generalanwalt des EuGH in Luxemburg, hatte bereits im Februar beantragt, die Klage Österreichs gegen die deutsche Maut abzuweisen, und in seinem Gutachten keine Benachteiligung festgestellt. Jeder ausländische Autofahrer dürfe an den Kosten für Bau und Betrieb von Autobahnen beteiligt werden. Die dafür anfallenden Kosten seien genauso hoch wie für deutsche Autobesitzer. Eine Erstattung für einheimische Pkw-Halter sei rechtens, da sie sonst einer „unverhältnismäßig hohen Besteuerung“ unterworfen wären, erklärte Wahl.
In der Mehrzahl der Fälle richtet sich der EuGH nach den Empfehlungen seiner Generalanwälte, allerdings gibt es auch Ausnahmen. Tatsächlich kritisieren andere Juristen, dass der Generalanwalt die Instrumente „Infrastrukturabgabe“ sowie „Kfz-Steuer“ jeweils einzeln betrachtet. Tatsächlich stellt die Bundesregierung aber eine untrennbare Verbindung her, indem sie die deutschen Autofahrer entlastet. Somit bestehe eine indirekte Diskriminierung, so die Kritiker. Auch die ist laut EU-Recht nicht erlaubt.
Sollte der EuGH keine Diskriminierung erkennen, darf die Bundesrepublik ab Herbst 2020 die Pkw-Maut einführen. Allerdings ist dann damit zu rechnen, dass einige Nachbarländer wie Belgien oder die Niederlande, deren Autobahnen bisher ohne Abgabe genutzt werden dürfen, nachziehen. Unterm Strich würde das für jene, die oft über die Grenze fahren, also teurer. Lehnt das Gericht die deutsche Pkw-Maut ab, muss die Bundesregierung ihre Pläne umarbeiten – oder aufgeben.