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Türkei: Warum heute alle auf Istanbul schauen - nicht nur in der Türkei

Türkei

Warum heute alle auf Istanbul schauen - nicht nur in der Türkei

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    Istanbul hat am Sonntag einen Oberbürgermeister gewählt. Das Ergebnis könnte sich auf die ganze türkische Politik auswirken.  
    Istanbul hat am Sonntag einen Oberbürgermeister gewählt. Das Ergebnis könnte sich auf die ganze türkische Politik auswirken.   Foto: Burhan Ozbilici, dpa

    Sie kamen mit dem Flugzeug, mit dem Bus und mit dem eigenen Wagen: Hunderttausende Istanbuler Wähler sind am Sonntag aus dem Sommerurlaub in ihre Metropole zurückgekehrt, um ihre Stimme bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl abzugeben. Von einem „unglaublichen Ansturm“ berichtete der Verband der Reisebusunternehmer, die Fluggesellschaft Turkish Airlines richtete viele Sonderflüge ein. Die Entscheidung zwischen dem Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu und Binali Yildirim, dem Vertreter der Regierungspartei AKP von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, könnte das Land verändern. Ergebnisse werden am Abend erwartet. Fünf Gründe, warum Istanbul so wichtig ist:

    In Istanbul leben so viele Menschen wie in Österreich und der Schweiz zusammen

    Etwa jeder fünfte Türke lebt in Istanbul. Mit 16 Millionen Einwohnern, davon fast 10,6 Millionen registrierten Wählern, stellt die Mega-Stadt am Bosporus alle anderen Städte des Landes und Europas in den Schatten. Istanbul hat in etwa so viele Einwohner wie die Schweiz und Österreich zusammen. In der Stadt leben mehr Kurden als in Diyarbakir, der größten Stadt des türkischen Kurdengebietes. Gleichzeitig ist Istanbul die neue Heimat von rund 550.000 syrischen Flüchtlingen. Als einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, ist Istanbul mit einer Fläche von fast 5500 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie das Saarland und sechsmal so groß wie Berlin.

    Istanbul erwirtschaftet allein mehr als ganz Bulgarien  

    Istanbul erwirtschaftet fast ein Drittel des türkischen Nationaleinkommens. Die zehn größten Unternehmen der Türkei haben ihren Hauptsitz in Istanbul. Mit einem Volumen von umgerechnet 146 Milliarden Euro ist die Istanbuler Wirtschaft etwa dreimal so groß wie die gesamte Volkswirtschaft des türkischen Nachbarn Bulgarien. Der künftige Istanbuler Bürgermeister verwaltet einen Sechs-Milliarden-Etat. Auch das Einkommen der Bürger ist in Istanbul höher als in anderen Teilen der Türkei. Pro Kopf verdient ein Istanbuler rund 10.000 Euro im Jahr. Der türkische Landesdurchschnitt liegt bei knapp 6000 Euro.

    Die Stadt Istanbul verspricht lukrative Aufträge für Anhänger der Mächtigen 

    Für die am Bosporus herrschende politische Partei eröffnet der Reichtum der Stadt viele Möglichkeiten, Anhänger in Wirtschaft und Gesellschaft mit finanziellen Zuwendungen bei Laune zu halten. Das betrifft öffentliche Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte ebenso wie Subventionen der Stadt für Verbände und Organisationen. Imamoglus Partei CHP kritisiert, unter der bisherigen Herrschaft der AKP habe die Stadt viele Millionen Euro an Verbände verteilt, bei denen Verwandte von Staatspräsident Erdogan das Sagen haben. Die AKP weist die Korruptionsvorwürfe zurück und verweist auf ihre Leistungen beim Ausbau der Verkehrssysteme.

    Istanbul ist kulturelle und mediale Hauptstadt der Türkei

    Für die Opposition dagegen wäre ein Sieg am Bosporus ein wichtiger Erfolg, der Erdogans Gegner auf einen landesweiten Machtwechsel hoffen lassen könnte. Bei einem klaren Erfolg von Imamoglu dürfte die Opposition auf vorgezogene Neuwahlen von Parlament und Präsident dringen. Auch die Spannungen innerhalb der AKP dürften zunehmen. Wenn nach der kürzlichen Niederlage der AKP in Ankara auch noch Istanbul verloren gehe, „dann öffnen sich die Schleusentore“, sagt der Türkei-Experte Selim Sazak.

    Die Beteiligung an der Wiederholung der Oberbürgermeisterwahl in Istanbul war außergewöhnlich hoch. Viele Bürger reisten eigens aus dem Urlaub an, um ihre Stimme abzugeben.
    Die Beteiligung an der Wiederholung der Oberbürgermeisterwahl in Istanbul war außergewöhnlich hoch. Viele Bürger reisten eigens aus dem Urlaub an, um ihre Stimme abzugeben. Foto: Chris McGrath, afp

    Das sind die Probleme der Stadt Istanbul

    So groß wie Istanbul sind auch die Probleme der Stadt. Vor allem der Dauerstau auf den Straßen, die schlechte Luft und Betonwüsten ohne Baum und Strauch in weiten Teilen des Stadtgebietes machen den Bürgern zu schaffen. Laut dem Lebensqualitätsindex der Personalberatungsfirma Mercer liegt Istanbul nur auf Platz 130 von 231 Städten weltweit. Die Wohnungsmieten bewegen sich oft auf westeuropäischem Niveau, was für viele Türken kaum zu bezahlen ist: Für westliche Touristen ist Istanbul vergleichsweise billig, für die Istanbuler selbst dagegen nicht.

     „Wer

    Istanbul

    regiert, der regiert die

    Türkei

    “, lautet ein oft zitierter Grundsatz der türkischen

    Politik

    . Nicht nur die schiere Größe der Stadt und ihre Wirtschaftskraft tragen dazu bei.

    Istanbul

    ist auch kulturell und medial die Hauptstadt der

    Türkei

    . Zudem ist es die Heimatstadt

    Erdogans

    und der Ort, an dem der heutige Präsident im Jahr 1994 als Oberbürgermeister seine Karriere begann. Seit

    Erdogans

    Zeit wurde

    Istanbul

    bis zur

    Kommunalwahl

    im März von islamisch-konservativen Politikern regiert. Eine erneute Niederlage in

    Istanbul

    wäre nicht nur politisch, sondern auch persönlich ein schwerer Schlag für den 65-Jährigen.

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