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Sebastian Edathy: „Wie verrückt ist denn das?“: Ziercke bestreitet Verrat in Edathy-Affäre

Sebastian Edathy

„Wie verrückt ist denn das?“: Ziercke bestreitet Verrat in Edathy-Affäre

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    Frisch pensionierter BKA-Chef Jörg Ziercke: Einen Menschen illegal gedeckt, den er von Anfang an unsympathisch gefunden habe?
    Frisch pensionierter BKA-Chef Jörg Ziercke: Einen Menschen illegal gedeckt, den er von Anfang an unsympathisch gefunden habe? Foto: Odd Andersen, afp

    Jörg Ziercke erinnert sich noch gut, wie er vor dem Abgeordneten Sebastian Edathy saß. Es ging um die Morde der Zwickauer Terrorzelle, um ein mögliches Behördenversagen und um die brisante Frage, wer eigentlich was über den Nationalsozialistischen Untergrund wusste. Der aufstrebende Innenpolitiker Edathy war damals Vorsitzender des eigens eingerichteten Untersuchungsausschusses, mit der Aussage des Zeugen Ziercke aber offenbar nicht wirklich zufrieden. Wenn er irgendwann noch einmal einen Job brauche, soll er nach dessen Vernehmung abschätzig gesagt haben, gehe er auch zum BKA...

    Arrogant sei Sebastian Edathy gewesen

    Bis zu seiner Pensionierung im November war eben jener Ziercke Präsident des Bundeskriminalamtes und der vielleicht angesehenste Polizist des Landes. Nun sitzt er wieder vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages und erzählt, was er damals, im Sommer 2012, über Edathy gedacht hat. Arrogant sei der ihm gegenüber aufgetreten, desinteressiert und überheblich, erregt sich Ziercke. Warum also soll ausgerechnet er Edathy auf Umwegen über die Ermittlungen wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material auf dem Laufenden gehalten haben? Einen Menschen, den er von Anfang an unsympathisch gefunden habe? Eine absurde Verschwörungstheorie sei das, betont Ziercke, schenkt sich einen Schluck Wasser nach und fragt dann provozierend in die Runde: „Wie verrückt ist denn das?“

    Nach ihm wird der Untersuchungsausschuss an diesem Nachmittag den Zeugen Edathy noch ein zweites Mal vernehmen. Zunächst allerdings weist Ziercke in einem gut 40 Minuten langen Monolog alle Spekulationen zurück, er könne womöglich doch über die Ermittlungen geplaudert und damit ein Dienstgeheimnis verraten habe. Ja, räumt er ein, er habe sich wie mit vielen anderen Politikern auch regelmäßig mit dem SPD-Abgeordneten Michael Hartmann getroffen, von dem Edathy behauptet, er habe ihm seine Informationen gesteckt. Niemals jedoch sei bei diesen Treffen die rote Linie übertreten worden, jenseits der er seine Amtspflichten verletzt hätte. Die eidesstattliche Versicherung, in der Edathy behauptet, Ziercke persönlich sei Hartmanns Informant gewesen, habe nur Öffentlichkeit und Medien beeindrucken sollen, argwöhnt Ziercke, der ebenfalls Mitglied der SPD ist. Juristisch habe sie keinerlei Relevanz.

    Sebastian Edathy bleibt bei seiner Version

    Ohne dieses Papier, spekuliert er, hätte der frühere Abgeordnete die Geschichte mit Hartmann nie und nimmer an den Stern verkaufen können, als Teil einer großen Inszenierung, in der das Bundeskriminalamt und sein Präsident „den bequemen Blitzableiter“ spielen sollten. Menschen wie Edathy, sagt Ziercke, lebten in zwei Welten und litten häufig unter einer Art Realitätsverlust. Anstatt Beweise vorzulegen, konstruiere der 45-Jährige „scheinlogische Zusammenhänge“, unfähig, sich einzugestehen, dass er selbst durch sein Verhalten seinen politischen Untergang zu verantworten habe. Entscheidend allerdings ist für Ziercke etwas anderes: Nachdem Ende 2013 einige deutsche Medien bereits über die Ermittlungen gegen die kanadische Firma berichtet hatten, bei der auch Edathy Fotos und Filme von nackten Jungen geordert hatte, sei dieser ja längst gewarnt gewesen. Daher habe es gar keines Informanten im BKA mehr bedurft.

    Chronologie: Die Affäre Edathy

    2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

    Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.

    5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.

    Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.

    22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.

    28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.

    7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.

    10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.

    11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.

    13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.

    14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."

    14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.

    18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.

    24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.

    2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.

    17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.

    29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.

    18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.

    23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.

    2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.

    1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.

    Der Untersuchungsausschuss, der einen möglichen Geheimnisverrat aufklären soll, tritt damit weiter auf der Stelle. „Es steht Aussage gegen Aussage“, klagt die Vorsitzende Eva Högl von der SPD. Edathy bleibt bei seiner Version, Hartmann behauptet genau das Gegenteil, offenbarte bei seiner Aussage Mitte Dezember aber große Wissenslücken – und auch nach der Vernehmung des Zeugen Ziercke bleibt noch die eine oder andere Frage offen. Was hat er selbst mit SPD-Fraktionschef Thomas oppermann besprochen und was nicht? Gibt es womöglich ein Leck in der niedersächsischen Justiz, durch das Details über den Stand der Ermittlungen an Edathy flossen? Sitzen in der SPD vielleicht mehr Mitwisser als bisher angenommen, von denen einer einen Draht zu Edathy hatte? Und, nicht zuletzt: Wurde ihm sein tragbarer Computer tatsächlich während einer Bahnfahrt gestohlen – oder hat er ihn beiseitegeschafft, weil sich darauf noch belastendes Material befand? Der Zeuge Ziercke jedenfalls hat an Edathys Version so seine Zweifel: Diese Geschichte, sagt er, sei „mehr als dubios.“

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