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SPD-Vorsitz: Wohin geht es für die SPD? Und mit welcher Doppelspitze?

SPD-Vorsitz

Wohin geht es für die SPD? Und mit welcher Doppelspitze?

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    Die Kandidaten für den Parteivorsitz der SPD sitzen sauber aufgereiht bei einer Regionalkonferenz. Jetzt haben die Parteimitglieder die Wahl. Karl-Heinz Brunner (am Mikrofon) steht nicht mehr zur Wahl.
    Die Kandidaten für den Parteivorsitz der SPD sitzen sauber aufgereiht bei einer Regionalkonferenz. Jetzt haben die Parteimitglieder die Wahl. Karl-Heinz Brunner (am Mikrofon) steht nicht mehr zur Wahl. Foto: Oliver Ditze, dpa

    Am Ende stehen noch einmal alle Kandidatinnen und Kandidaten gemeinsam auf der Bühne, recken gemeinsam die Hände nach oben. Und dann, ganz am Schluss dieser 23. SPD-Regionalkonferenz am Samstag in München, werfen die Teams, die sich um den SPD-Vorsitz bewerben, große Luftballon-Bälle in den Saal. Das soll symbolisieren: Der Ball liegt nun bei den Mitgliedern. Von diesem Montag an darf die SPD-Basis darüber abstimmen, wer die Partei künftig führen soll.

    Im Willy-Brandt-Haus gibt man sich euphorisch über die Wirkung der Castingtour. Rund 3500 Eintritte verzeichnete die SPD von Juli bis Mitte September, sie wirkt lebendiger. Überall volles Haus, überall diskussionsfreudige Mitglieder. Tatsächlich scheint das Verfahren zur Suche von Nachfolgern für die zurückgetretene Parteichefin Andrea Nahles eine Sehnsucht in der Partei zu befriedigen – nach Mitreden, nach ordentlichem Umgang miteinander. „Es ist gut, dass wir einen solchen neuen Weg gehen. Wir haben gezeigt, wie lebendig diese Partei ist“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in München und betont: „Die SPD wird gebraucht. Die SPD ist noch lange nicht am Ende.“

    Das Stimmungsbild ist immerhin aufgehellt

    Offensichtlich hat die Kandidatenkür also das Stimmungsbild – zumindest innerhalb der SPD – spürbar aufgehellt. Eine ganz andere Frage ist, ob die Konferenzen tragfähige Antworten gegeben haben, wie eine Renaissance der Partei konkret gelingen kann. Politikwissenschaftler sind mehrheitlich skeptisch.

    So wie Uwe Jun, der sich seit vielen Jahren mit der SPD beschäftigt. „Die Partei hat als Partei des Industriezeitalters zurück anstatt nach vorne geblickt.“ Es habe keine überzeugenden Antworten auf Zukunftsfragen wie Klimawandel oder Digitalisierung gegeben, erklärt er. Vielmehr habe sich, da ist sich der Professor sicher, eine tiefe Kluft in der Lebensauffassung zwischen Wählern und Parteikader aufgetan. Mit Beginn der rot-grünen Koalition 1998 habe sich eine „Vergrünung“ der Partei beschleunigt, die sich bereits im Berliner Programm 1989 manifestiert hat. Damit begann die SPD, traditionelle Wählerschichten aufzugeben. Heute fehle der Partei eine wählerwirksame Erzählung zur Lösung der Zukunftsprobleme. Auch habe die Partei an ökonomischer Kompetenz eingebüßt. Mit staatlicher Infrastruktur in vielen Bereichen, etwa Verkehr, Arbeitswelt oder Sozialem könne die SPD Profil gewinnen und vielleicht einen Teil der Wähler wiedergewinnen.

    Wo ist die wirtschaftliche Kompetenz der SPD geblieben?

    Dafür trommelt auch Nils Heisterhagen unermüdlich in den sozialen Medien, im Cicero oder der Welt. Er ist Publizist und SPD-Mitglied. Heisterhagen fordert die SPD auf, wieder für das einzustehen, was sie Jahrzehnte ausgezeichnet habe: wirtschaftlichen Fortschritt für alle Gesellschaftsschichten. „Die SPD hatte lange einen wirtschaftspolitischen Ausschuss im Parteivorstand“; den gäbe es aber schon länger nicht mehr, kritisiert der Publizist. Heisterhagen schlägt vor, einen Chef-Ökonomen zu installieren, der wirtschafts- und industriepolitische Debatten innerhalb der Sozialdemokraten anregt. „Statt 23 Regionalkonferenzen abzuhalten, hätte ich mir lieber zehn Ökonomen ins Willy-Brandt-Haus geholt, die mir mal ein paar kluge Sachen bezüglich Zukunftsfragen aufschreiben.“

    Auch Oskar Niedermayer betrachtet die SPD als abstiegsbedroht. Der Parteienforscher fasst das Wählerpotenzial der SPD als „Allianz zwischen der aufstiegsorientierten Arbeitnehmerschaft und dem fortschrittlich und sozial denkenden Teil der Mittelschicht“ zusammen. Nun habe es die Partei mit ihrem Linksschwenk aber deutlich übertrieben. „Das beste Beispiel dafür ist Lars Klingbeil, der zur Finanzierung der Grundrente eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ins Gespräch brachte – davon wären viele traditionelle SPD-Wähler betroffen.“

    Denn heutige Facharbeiter, einst treue SPD-Wähler, verdienen heute beispielsweise bei Automobilherstellern Gehälter deutlich über dem Spitzensteuersatz. Anstatt sozialstaatliche und gesellschaftspolitische Konfliktlinien aufzulösen, mache die SPD neue auf, etwa durch die „Ehe für alle“. Und wenn die Parteispitze bei der kommenden Bundestagswahl auf ein Bündnis mit Linken und Grünen setzen sollte, drohe sie den verbliebenen Teil ihrer Stammwähler im Westen zu vergraulen, „von denen die Linke noch nicht als eine normale demokratische Partei wahrgenommen wird“, konstatiert Niedermayer. Dennoch schließt der Politikwissenschaftler nicht aus, dass die SPD dessen ungeachtet diesen Schritt wagt.

    Finanzminister Scholz bläst der Wind ins Gesicht 

    An diesem Punkt allerdings rückt wieder die Frage in den Fokus, mit welchem Personal die SPD den Neustart angehen will. Eindeutige Favoriten haben sich bei den Regionalkonferenzen nicht herauskristallisiert – aber vier Paaren geben Beobachter besonders gute Chancen. Dazu gehören Vizekanzler Olaf Scholz und seine Brandenburger Partnerin Klara Geywitz, die schon allein wegen Scholz’ Bekanntheit Stimmen einheimsen werden. Doch dem Finanzminister bläst der Wind auch kräftig ins Gesicht. Wie könne jemand glaubwürdig seine Kandidatur erklären, „der uns in dieses Tal der Tränen geführt hat“, wurde er gefragt. Wie kein anderes Team stehen beide für eine Fortsetzung der Großen Koalition.

    Als eine Art Anti-Scholz präsentiert sich der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Zusammen mit der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Saskia Esken tritt er für höhere Steuern für Reiche ein. Auch deshalb gilt das Duo als Favorit der Partei-Linken. „NoWaBo“, wie Walter-Borjans in sozialen Netzwerken heißt, wird auch von den Jusos und ihrem Chef Kevin Kühnert sowie vom mitgliederstarken Landesverband NRW unterstützt.

    Das Duo Kampmann/Roth steht am ehesten für einen Neuanfang 

    Mehr noch für einen Neuanfang stünden die NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann und Europa-Staatsminister Michael Roth. Sie zeigen sich jung, dynamisch, wollen Verkrustungen in der Partei aufbrechen, wären eine Spitze ohne Abnutzungserscheinungen. Das kommt bei vielen gut an – doch zugleich polarisiert kaum ein Duo so sehr wie dieses. Und dann sind da noch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping. Für sie trommeln vor allem Funktionäre, sie versprechen „keine Traumtänzereien“. Bei den Konferenzen enttäuschte Pistorius nach dem Eindruck vieler Beobachter die hohen Erwartungen aber eher. Köpping dagegen kam vor allem im Osten an.

    Als nahezu sicher gilt, dass erst eine Stichwahl die Entscheidung über das neue SPD-Spitzengespann bringen wird. Noch bis zum 25. Oktober können die gut 425.000 Mitglieder über die Teams abstimmen. Das Ergebnis soll am 26. Oktober vorliegen. Erhält keines der Paare 50 Prozent der Stimmen, steht eine Stichwahl an. Am 30. November sollen die Sieger feststehen. Wenige Tage später, Anfang Dezember, sollen die neuen SPD-Chefs dann auf einem Parteitag in Berlin bestätigt werden. Das gilt als Formsache. Dann, spätestens, muss es losgehen mit einem Konzept für eine zukunftsfähige SPD.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die SPD braucht einen neuen Schröder

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