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Augsburger Allgemeine Live: Wolfgang Schäuble: "Politik muss sich auch mal gegen den Wind stellen"

Augsburger Allgemeine Live

Wolfgang Schäuble: "Politik muss sich auch mal gegen den Wind stellen"

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    Unser Chefredakteur Gregor Peter Schmitz hat im Live-Interview bei "Augsburger Allgemeine Live" mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gesprochen.
    Unser Chefredakteur Gregor Peter Schmitz hat im Live-Interview bei "Augsburger Allgemeine Live" mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gesprochen. Foto: Ulrich Wagner

    Er ist einer jener Politiker, die den Respekt selbst des politischen Gegners genießen. Bundestagspräsident und in diesem Amt Schiedsrichter des politischen Spielbetriebs. Dienstältester Abgeordneter, CDU-Urgestein. Einer, der die Berliner Politik aus dem effeff kennt, fast schon reflexartig genannt wird, wenn mal wieder nach einem Nachfolger für Bundeskanzlerin Angela Merkel gesucht wird.

    Wolfgang Schäuble ist einer, auf dessen Wort die Republik hört – und der seinen Zuhörern und dem Gegner durchaus mit Humor und Witz die Leviten lesen kann. Entsprechend groß war das Interesse, als er am Donnerstagabend bei der Veranstaltung unserer Redaktion „Augsburger Allgemeine Live“ war.

    Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble war von EU-Personalentscheidung überrascht

    Dort machte Schäuble deutlich, dass er vom Koalitionsstreit um die Posten in der Europäischen Union wenig hält. Seine wichtigste Botschaft des Abends: Nicht jammern – machen. Dazu drehe sich die Welt zu schnell, die Probleme seien zu groß, die Aufgaben zu gewaltig. „Wir können uns in dieser Welt der großen Sorgen und Nöte nicht wochenlang damit beschäftigen, wer welche Position in Europa bekommt“, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Live-Interview mit unserem Chefredakteur Gregor Peter Schmitz – und macht mit aller Deutlichkeit klar: „Wir brauchen mehr Schwung in Europa, wir können nicht so lahmarschig weitermachen.“

    Deshalb unterstütze er den Vorschlag, den die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Brüssel gemacht haben. „Ich glaube, dass Ursula von der Leyen eine gute Kommissionspräsidentin werden kann – ob sie aber gewählt wird, weiß ich nicht“, sagte der CDU-Politiker.

    Trotzdem sei das Verfahren nicht ideal gelaufen, habe sogar bei ihm selbst für eine gehörige Überraschung gesorgt – und er kann sogar den Ärger der Straßburger Parlamentarier verstehen. „Wir hatten einen Spitzenkandidaten Manfred Weber und haben fleißig Wahlkampf gemacht“, sagte er. Jetzt solle Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin werden. „Da hat mich einiges überrascht“, sagte Schäuble.

    Es sei auch der falsche Weg gewesen, beim G20-Gipfel in Japan schon alle Pflöcke einrammen zu wollen und zu erwarten, dass die anderen Länder dies dann einfach abnicken. Natürlich müssten Frankreich und Deutschland in Europa immer versuchen, gemeinsame Positionen finden. Aber sie dürften nie den Fehler machen, zu glauben, dass die anderen dann auch einfach zustimmen. Und so kommt Schäuble zu dem Schluss: „Es ist Luft nach oben, was die Klugheit des Verfahrens angeht.“

    Die Große Koalition wäre Schäuble nicht noch einmal eingegangen

    Auch die Entscheidung, Christine Lagarde zur Kandidatin für die Spitze der Europäischen Zentralbank zu machen, unterstützte Schäuble. „Wir werden nicht alle Spitzenpositionen in Europa mit Deutschen besetzen können“, sagte er. Die Rolle der EZB sei in der Welt von heute, in der digitale Währungen immer dominanter werden, ohnehin eine geringere als früher. „Christine Lagarde hat bewiesen, dass sie stark und gut ist, deshalb kann sie auch EZB.“

    Lagarde ist nicht die einzige Frau, die Schäubles politischen Respekt genießt. „Ich bewundere die Frau für ihre Kondition, für ihre psychisch und physische Robustheit“, sagte Schäuble über Kanzlerin Angela Merkel. Und doch hätte er (sicher nicht nur) in einem Punkt anders entschieden. Statt mit der SPD eine ungeliebte Koalition einzugehen, hätte er sich für eine Minderheitsregierung entschieden. „Die Große Koalition in dieser Legislaturperiode war eine Notlösung“, sagt Schäuble. Merkel sei aber der Meinung gewesen, dass die Bürger eine stabile Regierung wünschen würde.

    Er selbst denke, dass man die Menschen auch von einer Minderheitsregierung hätte überzeugen können. „Ich glaube, dass sich Politik auch mal gegen den Wind stellen muss“, sagte Schäuble. „Führung darf nicht immer jedem nach dem Mund reden.“ Und deshalb gibt er seiner Partei einen Rat mit auf den Weg, falls die Sozialdemokraten die GroKo verlassen sollten: „CDU und CSU sollten sagen: Wir haben einen Wählerauftrag und wenn die SPD nicht mehr mitmachen will, bringen wir diesen Auftrag alleine zu Ende.“ Auch hier präsentiert er sich als einer, dem es um Politik und nicht um politischen Zank geht: „Wir haben ziemlich viele Aufgaben in einer ganz schwierigen Welt, darauf sollten wir uns konzentrieren.“

    Beim Augsburger Allgemeine Live erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, dass er eine Groko nicht noch einmal eingegangen wäre.
    Beim Augsburger Allgemeine Live erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, dass er eine Groko nicht noch einmal eingegangen wäre. Foto: Ulrich Wagner

    Wolfgang Schäuble in Augsburg: Freude über politisches Engagement der Jugend

    Spalten, das hält er für die Sache der AfD, der er schwere Vorwürfe macht. „Die AfD muss sich vorhalten lassen, dass sie Hass und Gewalt schürt“, mahnte Schäuble. Natürlich sei die AfD nicht schuld am Tod des Politikers Walter Lübcke, aber sie habe Grenzen verschoben. Er leitet daraus einen Auftrag für sich und seine Kollegen ab: „Wir müssen diese Menschen hin zur demokratischen Mitte integrieren, das ist die Aufgabe der Volksparteien“, sagte der Bundestagspräsident. Man müsse Lösungen erarbeiten, in denen sich alle zumindest ein Stück weit wiederfinden könnten. Ordentlich regieren, dann wachse auch das Vertrauen. „Aber dazu gehört Mäßigung und nicht, bestimmte Gruppen zum Sündenbock zu machen“, sagte Wolfgang Schäuble. „Schuld an unseren Problemen sind wir selber und nicht die anderen.“

    Umso mehr freue er sich, dass die Jugendlichen sich wieder mehr für Politik interessieren und etwa bei „Fridays for future“ auf die Straße gehen: „Ich finde es gut, dass sich die jungen Menschen wieder stärker engagieren.“ Trotzdem sollten die Älteren den Jüngeren nicht nach dem Mund reden. „Es gibt keine Zauberlösung, wie man den Klimawandel bekämpft.“ Was aber nicht gehe, sei, Klimaziele zu vereinbaren und sie selbst nicht einzuhalten. Junge Leute hätten das Recht, zu schwärmen und emotional zu sein – doch die Politik müsse handeln und Verantwortung übernehmen.

    Wer wüsste es besser als Schäuble: „Demokratie ist anstrengend“, sagt er. So manche Sitzung im Bundestag erfordere Durchhaltevermögen, sei der Sieg des Sitzfleisches über den Verstand. Doch am Ende ist sei es eben immer die Gewissheit, die ihn treibt: „Wir müssen die Demokratie und die Toleranz und die Rechtsstaatlichkeit bewahren und dazu müssen wir uns anstrengen und keine Kindereien machen. Es lohnt sich.“

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