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Absicht oder Versehen: Warum hat Jens Spahn eine AfD-Debatte ausgelöst?

Regierungsbildung

Absicht oder Versehen: Warum hat Jens Spahn eine Debatte um die AfD ausgelöst?

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    Jens Spahn hat sich in den vergangenen Jahren stark um die Wirtschaftspolitik gekümmert. Jetzt könnte er das zuständige Ressort in der schwarz-roten Regierung übernehmen. Doch er hat ein Problem am Hals.
    Jens Spahn hat sich in den vergangenen Jahren stark um die Wirtschaftspolitik gekümmert. Jetzt könnte er das zuständige Ressort in der schwarz-roten Regierung übernehmen. Doch er hat ein Problem am Hals. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Es könnte gut laufen für Jens Spahn so kurz vor Ostern. Sein Freund Carsten Linnemann hat ihm eine Tür aufgemacht. Linnemann will nicht mehr Wirtschaftsminister werden und bleibt CDU-Generalsekretär. Der Weg ist also frei für Spahn. Als früherer Gesundheitsminister und Finanzstaatssekretär hat er Erfahrung in der Regierungsarbeit.

    Zudem hat er die Wirtschaftsthemen in den Koalitionsverhandlungen federführend für seine Partei mit der SPD besprochen. Ihn zum Wirtschaftsminister zu machen, erscheint logisch. Die von der Union ausgerufene Wirtschaftswende einem politischen Leichtgewicht in die Hände zu geben, wäre ein schlechtes Zeichen an die Unternehmer, die große Hoffnungen in die Partei gesetzt haben.

    Jens Spahn hat eine AfD-Debatte losgetreten

    Doch der 44-Jährige hat ein Problem am Hals. Er hat eine Debatte um die Rechte der AfD im Bundestag ausgelöst, die Wellen schlägt. Am Anfang stand eine Aussage in einem Interview mit der Bild-Zeitung: Man müsse, sagte Spahn, bei organisatorischen Fragen im Bundestag mit der AfD „wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“ umgehen. Er zielte damit beispielsweise auf die Vergabe von Vorsitzendenposten parlamentarischer Ausschüsse. Dort fallen die AfD-Kandidaten bei den Wahlen regelmäßig durch, weil die anderen Parteien ihnen die Stimme verweigern.

    Einflussreiche Politiker aus dem eigenen Lager sprangen Spahn bei, aber die SPD reagierte empört. „Dieser Satz von Jens Spahn, es müsste Normalität entstehen, das halte ich für grundfalsch und für sehr, sehr gefährlich“, sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch dem Fernsehsender ntv. Die Genossen entscheiden sich in diesen Tagen per Mitgliederentscheid, ob die Koalition mit CDU und CSU zustande kommt. Der Kampf gegen Rechts gehört zum Selbstverständnis der Sozialdemokraten, die sich mutig den Nationalsozialisten entgegenstellten. Wenn die Union laut über eine Normalisierung der in Teilen rechtsextremen AfD nachdenkt, könnte das einen Teil von ihnen dazu bringen, mit Nein zu stimmen.

    In Berlin werden zwei Deutungen diskutiert, warum Spahn diese Debatte losgetreten hat. In beiden kommt er nicht gut weg. Variante 1: Im Interview war ihm die Tragweite seiner Worte nicht bewusst und den SPD-Mitgliederentscheid hatte er nicht im Kopf. Variante 2: Der Mann aus dem Münsterland will die Union bewusst an die Rechtsaußen-Partei annähern, um langfristig eine Zusammenarbeit vorzubereiten. Diejenigen, die der zweiten These anhängen, begründen sie mit Spahns oft scharfer Rhetorik in der Asylpolitik und seinen Kontakten zu den Trump-Republikanern in den USA.

    Unterstützt wird diese Sichtweise dadurch, dass die CDU durch die Absage jedweder Kooperation mit der AfD von SPD und Grünen abhängig ist und deshalb keine echte konservative Politik machen kann. Durch die sogenannte Brandmauer hat sich die Union selbst eingemauert.

    Das Ziel der AfD: Die CDU zu zerstören

    Die Anhänger von Deutung 1 meinen hingegen, dass Spahn weiß, dass die AfD die CDU kaputtmachen will, um selbst die Vorherrschaft im rechten Spektrum der Parteienlandschaft zu übernehmen. In Frankreich ist es so geschehen und auch in Italien. Wahr ist auch, dass Spahn als Gesundheitsminister der Corona-Jahre und wegen seiner Homosexualität bei der AfD besonders verhasst ist. Und es stimmt, dass die etablierten Parteien im Bundestag noch keine Strategie im Umgang mit der AfD gefunden haben. Weder lautes Zurückweisen noch Ignorieren haben die Partei geschrumpft. Sie ist über die Jahre stärker geworden und liegt in den Umfragen erstmals gleichauf mit der Union. In diesem Sinne hat Spahn also unbedacht agiert.

    Im Bundestag wird der ehemalige Gesundheitsminister wegen seiner Corona-Politik hart von der AfD angegriffen.
    Im Bundestag wird der ehemalige Gesundheitsminister wegen seiner Corona-Politik hart von der AfD angegriffen. Foto: Lucas Röhr, dpa

    Es wäre spannend zu erfahren, was der Auslöser der Debatte darüber denkt. Und ob er Wirtschaftsminister werden will. Am Mittwoch empfängt Jens Spahn im Reichstag in seiner Funktion als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union zum Pressegespräch. Wo sonst eine Handvoll Journalisten vorbeischauen, haben sich dieses Mal vier Dutzend Reporter eingefunden. Es gibt Kaffee und Brezen.

    Der Fraktionsvize will über die Wirtschaft reden, nicht aber darüber, ob er das dafür zuständige Ministerium übernehmen will. „Wir haben ein gemeinsames Verständnis, dass wir die Wirtschaftswende brauchen, dass wir im dritten Jahr in der Rezession schnell Impulse für Wachstum brauchen“, sagt er. Mit „wir“ meint er die SPD. Spahn wird mit Fragen zum Umgang mit den Rechtspopulisten gelöchert, hält sich aber bedeckt. Er geht erstmal in Deckung und setzt darauf, dass die Diskussion über die Osterfeiertage erlischt.

    Die Linke wirft Spahn vor, die AfD zu normalisieren

    Damit nimmt er in Kauf, dass andere die Lautstärke aufdrehen. Heidi Reichinnek von der Linken zum Beispiel. „Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, die die Menschenrechte verachtet und die Demokratie abschaffen will. Aussagen wie die von Jens Spahn tragen dazu bei, sie zu normalisieren. Das ist ein großes Problem“, sagte die Linken-Frontfrau unserer Redaktion. Die AfD sei keine normale politische Konkurrenz, sondern „sie ist der politische Gegner“. Reichinnek forderte, dass der Alltag der Menschen verbessert werden müsse (Lohn, Rente, Miete), um den Aufstieg der Partei zu bremsen.

    Die Fraktionschefin der Linken und Jens Spahn verbindet politisch wenig, in diesem Punkt stimmen sie jedoch überein. „Dass wir schnell ins Tun kommen, ist nämlich der einzige Weg, tatsächlich Vertrauen zu gewinnen“, sagt er unter der Kuppel des Reichstages. Nach seiner Zeit als Gesundheitsminister hatte er überlegt, mit der Politik aufzuhören. 20 Jahre sind eine lange Zeit. Seine Anstrengungen, zwischenzeitlich CDU-Vorsitzender und damit Kanzlerkandidat zu werden, waren nicht von Erfolg gekrönt. Doch Spahn machte weiter, wollte zurück in die erste Reihe, zurück zur Macht. Nach dem Rückzug von Linnemann hat er die Chance dazu. Sollte sich Friedrich Merz für jemand anderen als Wirtschaftsminister entscheiden, ist Spahn noch als Fraktionsvorsitzender im Gespräch. Der Posten würde noch mehr Einfluss für ihn bedeuten. 

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    14 Kommentare
    Wolfgang Steger

    Herr Spahn ist jung und nicht dumm. Als Rechtsaußen der CDU wird er der erste sein, der in vier Jahren nach einem Wahlerfolg der AfD zur Zusammenarbeit mit dieser bereit ist.

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    Richard Merk

    Richtig, deswegen sorgt Spahn mit seinen Äußerungen im rechten Flügel der Union für eine ständige Stärkung der AfD.

    Franz Xanter

    Ein Problem, welches alle etablierten Parteien seit 2017 vor sich herschieben bzw. ignorieren. Es wurde eine sogenannte Brandmauer etabliert und offiziell gewählte Volksvertreter werden ignoriert bzw. boykottiert. Das dadurch entstehende Problem: Wählerwille bzw. demokratische Grundprinzipien werden ignoriert, die AfD mehr in ihrer Opferrolle bestätigt und wichtige und entscheidende Beschlüsse können nicht gefasst werden, denn AfD-Abgeordnete könnten ja zustimmen; und dies will man nach derzeitiger Auffassung nicht. Eine richtige sachbezogene Auseinandersetzung mit der AfD, mit ihren Ansicht, Absichten, Themen etc. findet nicht statt und indirekt spielt dies nur der AfD in die Hände. Ganz zu schweigen von dem Problem, wie lange die entsprechende Wählerschaft sich dies noch ansieht? Die nächsten Wahlergebnisse lassen grüßen.

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    Walter Koenig

    Wo wird der Wählerwille ignoriert, Herr Xanter? Die AfD kann im Bundestag sprechen, sie kann Anträge stellen und sitzt in diversen Ausschüssen. Ihr wird lediglich der Vorsitz in Ausschüssen verwehrt, aber daran ist die AfD selber schuld. Denn von ihrer Seite sind bisher keine Signale gekommen, dass man sich an demokratische Gepflogenheiten halten will. Im Gegenteil, die AfD fällt durch Provokationen und Verwendung von Gassensprache auf, Bereitschaft zu einem politischen Diskurs ist bisher nicht erkennbar. Ich weiß nicht, wie alt Sie sind, Herr Xanter, aber mich erinnert der Umgang mit der AfD an die Zeit, als die Grünen erstmals in den Bundestag kamen. Die hielten auch recht wenig von Gepflogenheiten, wurden von CDU/CSU, SPD und FDP auch geschnitten, aber im Lauf der Jahre haben sich dann auch die Grünen politischen Gepflogenheiten angepasst und sind heute als Demokraten anerkannt, wenn auch nicht unbedingt von Söder gemocht.

    Marianne Böhm

    Nicht nur die Grünen die ziemlich unflätig waren, auch die Linken, BSW oder einige andere Neuparteien die dann verschwunden sind..!

    Viktoria Reissler

    "und wegen seiner Homosexualität bei der AfD besonders verhasst ist" .............................................................................................. Man kann den Schw.......sinn langsam nicht mehr lesen! Die Vorsitzende der AfD, Alic Weidel, ist lesbisch ?????????

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    Richard Merk

    Frau Reissler, jetzt sind die Schuldigen doch Bürgergeldempfänger, Migranten und Asylanten. Da kann man bei Queeren schon mal ein Auge zudrücken. Wenn es nicht mehr zieht dann kommen eben die Queeren oder andere Minderheiten wieder dran. Also immer diejenigen, die sich am wenigsten wehren können.

    Peter Zimmermann

    Exakt so ist es Herr Merk und eine Weidel kann man im Fall der Fälle als Feigenblatt auch ganz schnell wieder loswerden.

    Stanislaw Cyganik

    Auch Röhm war schwul aber zeitlang nützlich. Bis man ihn nicht mehr brauchte…

    Wolfgang Boeldt

    In diesem Punkt scheint Spahn ausnahmsweise mal der Zeit 1-2 Jahre voraus.

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    Helmut Eimiller

    Herr Böldt, so schätze ich das auch ein. (Ich mag zwar weder Jens Spahn, der mit seiner eigenwilligen Maskenbeschaffung Steuermilliarden verbrannt hat, d. h. der überwiegende Teil der in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister in einem neuartigen Beschaffungsverfahren erworbenen Masken wurde zwischenzeitlich verbrannt, noch die Überbetonung des „Völkischen“ bei der AfD.) Eine ganz besondere Geschmeidigkeit zeigt der neue Duzfreund von Merz. (Das ZDF titelte: „SPD-Chef Klingbeil: Spahns AfD-Aussagen ‚Foulspiel gegen Merz‘"). Vor Kurzem wurde hier von tiefem Misstrauen berichtet. Aber man muss eben in der Politik oft seine Position sehr schnell der Situation anpassen: Im eigenen Wahlkreis zuerst die ICE-Trasse in der geplanten Form verhindern, um dann mit folgender Aussage im Wahlprogramm (in leichter Sprache) in den Bundestagswahlkampf zu ziehen: „Wir von der SPD sagen: „Die Menschen sollen mehr mit Bussen und Bahnen fahren. Deshalb brauchen wir viele Busse und Bahnen.“

    Marianne Böhm

    Jens Spahn war der, der mit 28 Jahren bei Ann Will sagte " Die alten essen den Jungen das Brot weg.." Er hat mal etwas in einer Bank gearbeitet ansonsten ist er Berufspolitiker. Seine Worte zur AFD finde ich richtig und gut.. ansonsten wird jede Wahl ob Landtags- Bundestagswahl/en ein Desaster für die "demokratischen " Parteien. Von Rechts her ist es ein Unding was in unserer Politik der AFD gegenüber passiert. Den so kann man auch jeden Menschen in der freien Wirtschaft, Arbeit bei einer anderen Meinung ausgrenzen. Die europäische, auch deutsche Politik hat in den letzten Jahrzehnten unserer Demokratie viel Schaden zugefügt und das demokratische Recht mehrfach gebrochen. Wir Deutschen wollen nicht gemocht sondern respektiert werden, egal wer ich bin und egal wer einen gegenüber steht.. Ansonsten leben wir in einer Diktatur.. Nicht Spahn hat ein Problem am Hals, sondern die das kategorisch ablehnen.. man muss einen Weg finden die AFD am politischen Gesehen teilhaben zu lassen..

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    Richard Merk

    Frau Böhm, so lange ein Höcke, Krah und Co. innerhalb der AfD an Macht zulegen gibt es keinerlei Möglichkeit eine AfD am politischen Leben teilnehmen zu lassen. Auch sind Teile der AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Auch sie sollten aus der peinlichen deutsche Geschichte wissen, dass eine demokratisch gewählte Partei mit rechtsextremistisch Teilen durchaus alles andere als demokratisch handeln kann.

    Helmut Eimiller

    Noch folgende Ergänzung zu Jens Spahn Biografie (wird sonst meist verschwiegen): „Als er 2002 zum ersten Mal für den Bundestag kandidierte, war er an der Universität in Münster eingeschrieben, für BWL“. – vgl. Junge Abgeordnete: „Ich studiere noch, aber pssst“; SPIEGEL; 17.09.2009)

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