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Analyse: Macron ist ab Samstag EU-Ratspräsident und Wahlkämpfer in einem

Analyse

Macron ist ab Samstag EU-Ratspräsident und Wahlkämpfer in einem

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    Er hat Frankreich und Europa im Blick: Emmanuel Macron.
    Er hat Frankreich und Europa im Blick: Emmanuel Macron. Foto: John Thys, dpa

    Aus Sicht der französischen Regierung ist es zweifelsohne ein guter Zeitpunkt, zum 1. Januar für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen. Die Union befindet sich an einem Scheidepunkt, steht sie doch vor einer Reihe großer Probleme – von der Pandemiebekämpfung mit den wirtschaftlichen Folgen über die Rechtsstaatsstreitigkeiten mit Polen und Ungarn bis zur Klimakrise. Und große Probleme geht Präsident Emmanuel Macron, der oft lieber von „Transformation“ statt von bloßen Reformen spricht, gerne und ambitioniert an.

    Aus Macrons Visionen der Sorbonne-Rede ist nicht viel geworden

    Um einen hervorragenden Zeitpunkt für den EU-Vorsitz handelt es sich für Macron auch insofern, als dieser mit dem französischen Präsidentschaftswahlkampf zusammenfällt: Am 10. und 24. April finden die Wahlen statt. Der Staatschef, der sich offiziell noch nicht zur Kandidatur erklärt hat, wird diese internationale Bühne für sich zu nutzen wissen, um sich dem heimischen Publikum als proeuropäischer Macher zu präsentieren, der die EU vorantreibt – im französischen Sinne. So schließt sich für ihn ein Kreis, hatte er doch wenige Monate nach seiner Wahl 2017 seine viel beachtete Europa-Rede in der Pariser Sorbonne-Universität gehalten, wo er weitreichende Visionen für ein stärker zusammenwachsendes Europa skizzierte. Wenig wurde umgesetzt, auch mangels williger Partner. Nun zielt der Präsident vor allem auf mehr europäische Souveränität ab – hinsichtlich der Außengrenzen, der Digitalisierung oder der Verteidigung, gerade im Weltkonzert mit anderen starken Mächten. Dieses Stichwort fand auch Erwähnung im Berliner Koalitionsvertrag.

    Von den sechs Monaten des Ratsvorsitzes wird er wohl nur die ersten drei effizient nutzen können. Dann kommt die Wahl, deren Ausgang trotz für Macron positiver Umfragewerte ungewiss bleibt. Das Angebot, den turnusmäßig wechselnden EU-Ratsvorsitz zu tauschen, lehnte die französische Regierung ab, weil für sie die Vorteile überwiegen. Als Frankreich zuletzt 2008 an der Reihe war, zeigte sich Präsident Nicolas Sarkozy als robuster Krisenvermittler im Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien. Von seinen Landsleuten erhielt er viel Applaus für seine diplomatischen Aktionen als „Mann des Friedens“. So hoch wie damals waren seine Beliebtheitswerte in der Folge nie mehr.

    Auch Macrons EU-Ratspräsidentschaft kann durch unvorher-gesehene Krisen geprägt werden. Gleichwohl hat er teils Prioritäten vorgegeben, teils drängen sich Themen auf, von denen kaum eines in sechs Monaten zu Ende gebracht werden kann; abgesehen von der Arbeit am strategischen Kompass zur außen- und sicherheitspolitischen Strategie, die in der deutschen Ratspräsidentschaft 2020 begann.

    Das Thema Einwanderung ist in Frankreich ein viel diskutiertes Thema - oft von den Rechten geschürt
    Das Thema Einwanderung ist in Frankreich ein viel diskutiertes Thema - oft von den Rechten geschürt Foto: Etienne Laurent, dpa

    Wohl mit Blick auf den Wahlkampf, in dem die extremen Rechten bislang die Agenda bestimmen, stellt Macron das Thema Einwanderung in den Vordergrund mit der Forderung einer Reform des Schengen-Raums: Dieser solle eine politische Steuerung für Krisenfälle erhalten, um die EU-Außengrenzen besser zu schützen. Die Beziehungen zum afrikanischen Kontinent stellen einen besonderen Schwerpunkt dar und für Februar ist in Brüssel ein EU-Afrika-Gipfel geplant.

    Wo Paris und Berlin derzeit über Kreuz liegen

    Als weiteres wichtiges Ziel nannte Macron eine CO2-Steuer für Importprodukte an den Grenzen Europas, um Klimaziele und wirtschaftliche Entwicklung miteinander zu vereinbaren. Auch setzt er sich für eine stärkere europäische Verteidigung als Ergänzung zur Nato ein. Die konkrete Umsetzung dürfte sich ebenso kompliziert darstellen wie jene eines „sozialeren Europas, das seine Bürgerinnen und Bürger schützt“. Noch so ein Schlagwort Macrons, das es mit realistischen Inhalten zu füllen gilt. Ungelöst ist weiterhin die Frage um die Taxonomie, also ob Atomkraft und Gas als nachhaltige Energiegewinnung eingestuft werden und somit EU-Förderung erhalten. Sie entzweit Berlin und Paris – ebenso wie der Ruf Frankreichs nach Änderungen am Stabilitätspakt. Dessen Regeln aus den 1990er Jahren hält Paris für nicht mehr zeitgemäß angesichts nötiger Investitionen in eine grünere und digitalisierte Wirtschaft. Berlin empfindet die Bestimmungen als flexibel genug, wie sich in der Gesundheitskrise gezeigt habe.

    Warum Frankreichs Ratsvorsitz für die EU gut sein kann

    Beide Länder brauchen einander, gerade in dieser Phase, in der Frankreich gestaltend in der EU auftritt und Deutschland einen Neustart erlebt. Auch für die EU ist es positiv, wenn ein so anspruchsvolles Land mit politischem und wirtschaftlichem Gewicht die Ratspräsidentschaft übernimmt, um die wichtigen Themen voranzutreiben. Bleibt die Hoffnung, dass ihr dieses auch gelingt und sie nicht ausgebremst wird durch den enormen Druck von außen und von innen.

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