Wenn Jakob Maria Mierscheid dieser Tage in seinem Ohrensessel die Zeitung durchblättert, wird er sich ein müdes Lächeln nicht verkneifen können. Da müssen sich Politiker doch tatsächlich für geschönte Lebensläufe oder vermeintlich ergaunerte Doktortitel rechtfertigen. So etwas wäre dem legendären SPD-Bundestagsabgeordneten nicht passiert. Schließlich hat er selbst bewiesen, dass man nicht einmal ein real existierender Mensch sein muss, um dem Parlament angehören zu können.
Fiktiver Politiker: Nur ein einziges Foto von Jakob Maria Mierscheid
Zu seinem 90. Geburtstag werden wir den Elder Statesman wohl eher nicht zu Gesicht bekommen. Was daran liegt, dass man ihn, genau genommen, noch nie wirklich zu Gesicht bekommen hat. Klar, es existiert ein altes Foto des noch jungen Jakob Maria, das der Bundestag einmal veröffentlicht hat. Aber man wird sich der Tatsache nicht erwehren können, dass dieses Bilddokument einer näheren Überprüfung kaum standhalten dürfte.
Sagen wir es, wie es ist: Mierscheid ist nur erfunden. 1979 hatten SPD-Abgeordnete in Bonn die Idee, einen fiktiven Kollegen als angeblichen Nachrücker für den gestorbenen Carlo Schmid in den Bundestag hinein zu systematisieren. Als Symbol dafür, dass man selbst den politischen Betrieb nicht übertrieben ernst nehmen sollte.
Zum 90. Geburtstag gratuliert sogar Ex-Ministerpräsident Kurt Beck
Fortan wurde nie mit, aber umso öfter über den Hinterbänkler aus dem Hunsrück geredet. Schneider soll er gelernt und vier Kinder großgezogen haben.
Der ehemalige rheinland-pfälzische Landesvater Kurt Beck persönlich gratulierte nun zum runden Geburtstag. Nicht erfunden! Und der Bürgermeister von Mierscheids Heimatort Morbach kündigte illustre Gratulanten an. Auf unsere Interview-Anfrage hat der Jubilar leider bislang nicht reagiert.