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Angela-Merkel-Doku: Darum geht es in „Schicksalsjahre einer Kanzlerin“

Medien

Angela Merkel: Aufstieg einer Ostdeutschen

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    „Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin": Die Doku ist ab dem 15. Juli in der ARD zu sehen und schon jetzt in der Mediathek.
    „Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin": Die Doku ist ab dem 15. Juli in der ARD zu sehen und schon jetzt in der Mediathek. Foto: rbb/SWR/MDR

    All der Applaus, all die großen Respektbezeugungen sind verstummt. Mächtigste Frau der Welt, Person des Jahres, Verteidigerin des freien Westens. Was ist geblieben? Nicht nur zwischen Angela Merkel und ihrer Partei, der CDU, scheint heute ein tiefer Graben zu liegen. Auch zwischen der einst so großen Kanzlerin und dem deutschen Volk ist ein Gefühl des Fremdelns aufgezogen. Die Deutschen, so scheint es, werfen ihr vor, dass sie nicht genug Reformen gewagt hat – obwohl sie selbst es doch waren, die es sich so nett eingerichtet hatten in ihrer Wohlstandsblase. Und Merkel selbst, die einst fast unbedarft wirkende junge Frau, schafft es nicht, den dicken politischen Panzer abzulegen, der sich im Laufe der Jahre um sie gelegt hat. „Schicksalsjahre einer Kanzlerin“ hat die ARD eine Dokumentation über die frühere Bundeskanzlerin überschrieben, die diese Woche erschienen ist – kurz vor Merkels 70. Geburtstag am Mittwoch. Im Fernsehen in einer gekürzten 90-minütigen Version ausgestrahlt, läuft sie als fünfteilige Mini-Serie in der Mediathek. Es ist ein Zeugnis nicht nur über eine – aller Kritik zum Trotz – außergewöhnliche Politikerin, sondern auch ein zeitgeschichtliches Dokument, das Politik und Gesellschaft den Spiegel vorhält.

    Vor 70 Jahren, am 17. Juli 1954, wurde Angela Merkel geboren. „Sie kennen mich“ lautete einer der Wahlkampf-Slogans. Doch stimmt das wirklich? „Jeder hat sich so seine eigene Angela Merkel zurechtprojiziert, wie er sie haben wollte. Und dadurch konnte sie gewählt werden“, sagt Marina Weisband, Publizistin und frühere Politikerin der Piratenpartei. An Weisband zeigt sich das Spannungsfeld der Person Merkel deutlich: Die 36-Jährige ist in der Ukraine geboren und legt den Finger tief in die Wunde. Es reiche eben nicht, immer nur eine Politik des Pragmatismus, des Schonens zu betreiben. Wofür stand die Kanzlerin, was war ihre Vision – oder gab es gar keine? Hätte die Welt einen anderen Verlauf genommen, wenn Merkel damals anders gehandelt hätte? Wenn sie die Gaspipeline Nordstream gestoppt hätte, wenn sie Wladimir Putin ernstgenommen hätte, als der im Jahr 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine Wutrede auf den Westen hielt, wenn sie dafür gesorgt hätte, dass die Ukraine aufrüsten kann? Oder ist es vielleicht doch müßig, mit dem Wissen von heute über die Entscheidungen von damals zu urteilen?

    Angela Merkel: Ostdeutsche und Frau

    Weggefährten kommen in der Dokumentation genauso zu Wort wie politische Beobachter, Kritiker ebenso wie jene, die ihr Wohlgesonnen sind. Mit historischen Aufnahmen, chronologisch geordnet, gelingt es dem Filmemacher Tim Evers den Blick auf Angela Merkel so weit zu öffnen, dass der Zuschauer zumindest angeregt wird, bekannte Erzählmuster zu hinterfragen und aus dem üblichen schwarz-weiß-Denken auszubrechen. Dass gerade die Spitzenpolitik komplexer ist, als es das tägliche Hauen und Stechen glauben machen will.

    Und dann ist da noch etwas, vielleicht sogar so etwas wie ein roter Faden: Haben die Menschen je die Dimension begriffen, die eine Kanzlerschaft Merkel aus historischer Perspektive dargestellt hat? Die irische Journalistin Judy Dempsey staunt ganz offen darüber, welch politisches Wunder es doch war, dass eine junge Frau aus dem Osten – also gleich mit doppeltem Gepäck beladen – eine solche Karriere in der westdeutschen Männerpartei CDU hinlegen konnte. Einmal, da war sie aus dem Kanzleramt schon ausgezogen, erlaubte Merkel selbst einen kleinen Blick durchs Schlüsselloch in ihre Seele. Es habe sie immer verletzt, dass sie als „angelernte“ Demokratin bezeichnet worden sei, dass man ihr aufgrund ihrer Herkunft abgesprochen habe, eine echte Europäerin zu sein. Doch in ihrer Amtszeit tat Merkel das, was sie immer tat: sie schwieg. Nie stellte sie heraus, dass ihr Erfahrungsschatz, den der vollständige Zusammenbruch eines Staates unzweifelhaft darstellt, dass auch ihr Frausein in dieser politischen Männerwelt sie abhob von vielen anderen.

    Angela Merkel ließ die AfD groß werden

    Durchdrungen hat es ihre Politik an vielen Stellen freilich doch. Paradoxerweise vielleicht am stärksten an einer Stelle, die ganz besonders die Ostdeutschen gegen Merkel aufgebracht hat: die Flüchtlingspolitik. Der frühere Kanzleramts- und Innenminister Thomas de Maizière, ein enger Wegbegleiter Merkels, erinnert an den Sommer 2015. Gewaltige Menschenströme bewegten sich damals auf Deutschland zu, Kriegsflüchtlinge aus Syrien waren in Budapest gestrandet. Es war eine der entscheidenden Wegmarken in Merkels Kanzlerschaft. „Sie wollte nicht die Bundeskanzlerin sein aus Ostdeutschland, die die Grenze schließt“, sagt de Maizière.

    Apropos Ostdeutschland. Es ist nur eine kleine Geschichte, aber die zeigt, wie lang der Weg an die Spitze ist und von wie vielen Entscheidungen sie bisweilen abhängt: Wolfhard Molkentin, inzwischen 82 Jahre alt, war von 1990 bis 2008 Landrat in Nordvorpommern. Für die CDU suchte er einen Kandidaten für die erste gesamtdeutsche Wahl. Jemand habe ihm Merkel vorgeschlagen. „Kenn ich nicht, schick sie her“, sagte er. Sie kam und zog schließlich in den Bundestag ein. In einem Interview hatte die ehemalige Kanzlerin einmal erzählt, dass sie bei dem Termin einem „strengen Verhör“ unterzogen worden sei. Es „gipfelte darin, dass ich sagen sollte, bei welcher Bodenwertzahl man Zuckerrüben anbauen kann oder nicht“.

    Auch an anderer Stelle ist es einer, der nicht in der vordersten Reihe der Bundespolitik steht, aber ein wichtiges Schlaglicht auf die frühere Kanzlerin wirft. Lars Hermann, Polizist, trat wegen Merkel aus der CDU aus und in die AfD ein. Hermann wirkt nicht wie ein Hetzer, nicht wie ein Haudrauf. Er ist ein Konservativer, der die Welt nicht mehr verstand, dass Merkels Politik so vieles aufgab, was ihm wichtig erschien: die Kontrolle der Migration, die Atomkraft, die Ehe ausschließlich für Mann und Frau, die Wehrpflicht. Viele, die so denken wie der Polizist, hatten unter Merkel ihre politische Heimat verloren und tragen es ihr bis heute nach. Der Hass, den sie bei vielen auslöst, hat sich zur Triebkraft ihrer Kritiker entwickelt. Wie ein Treppenwitz der Geschichte wirkt es, dass ausgerechnet ihr Mantra von der „Alternativlosigkeit“ Pate stand für den Namen jener Partei, die gerade dabei ist, das politische System nachhaltig zu verändern.

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    3 Kommentare
    Rainer Kraus

    Nach der Wende wurde Angela Merkel von Helmut Kohl benötigt, da sie mit dem "Interna" der DDR vertraut war. Als Kohl partout nicht aufhören wollte wurde Merkel wieder gebraucht, jedoch von der gleichen Lobby für die Kohl gearbeitet hatte.

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    Wolfgang Steger

    Von welcher Lobby sprechen Sie ? Eine Antwort wird es von Ihnen, wie so oft, nicht geben.

    Franz Xanter

    Was leider immer wieder (bewusst) vergessen wird, warum Frau M. damals gesetzt wurde. Die damaligen Umfragewerte für die Union gingen dramatisch in den Keller, folglich musste ein "Zugpferd" her. Und was lag in der damaligen Situation näher, als eine Frau und natürlich eine Frau aus dem Osten. So hoffte man, dass die Wählerschaft, insb. aus dem Osten, den prozentualen Aufschwung geben würde. Hat ja auch geklappt. Nur dass dann, wiederholend bestätigt in mehreren Wahlperioden, die politische und fachliche Qualität sowohl von Frau M. als auch deren fachlichen Beratern (gab des diese überhaupt?), mehr als zu wünschen übrig lies, sich mehr als bis heute bestätigte. Zusammenfassend: Man hat die Anzeichen nicht erkennt, erkennen wollen, was letztlich zum derzeitigen desolaten Zustand DEU führte und ein Aufblühen bestimmter Parteien führte. Nach wie vor ist die soziale Ungerechtigkeit existent, der Wähler mehr als unzufrieden und das gesellschaftliche Gleichgewicht in DEU unausgewogen!

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