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Interview: USA-Experte: "Die Erwartungen an die Ampel sind hoch in Washington"

Interview

USA-Experte: "Die Erwartungen an die Ampel sind hoch in Washington"

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    Bastian Hermisson leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in den USA.
    Bastian Hermisson leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in den USA. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung

    Herr Hermisson, eine Ampel-Koalition ist für viele Amerikaner ein ungewöhnliches Gebilde. Dazu gibt es in Berlin nun eine Grünen-Frau an der Spitze des Außenministeriums. Spüren Sie ein gesteigertes Interesse des politischen Washingtons an der Entwicklung in Deutschland?

    Bastian Hermisson: Ja, in der Tat. Die ersten Schritte der neuen Regierung werden hier in Washington mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Deutschland ist ein zentraler Partner der Biden-Regierung. Es geht nun einerseits um die Stabilität der Beziehungen nach dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel. Gleichzeitig gibt es in Bidens Umgebung auch die Hoffnung, dass die Ampel-Regierung Bewegung in einige Themen bringen könnte, die für die USA besonders wichtig sind und in den vergangenen Jahren von deutscher Seite nur halbherzig angepackt oder gar konterkariert wurden.

    Der verbreitete Eindruck, dass Europa und Deutschland in den geopolitischen Strategien der US-Regierung an Bedeutung verloren haben, ist also falsch?

    Hermisson: Ich sehe unter der Biden-Regierung eher eine Re-Orientierung zu Europa als eine Abwendung. Die Fokussierung auf Asien, die Obama zu Beginn seiner ersten Amtszeit zumindest rhetorisch vorangetrieben hat, ist unter Biden der Überzeugung gewichen, dass Amerika eine enge und starke Partnerschaft mit Europa braucht, gerade auch, um in der Macht- und Systemauseinandersetzung mit China zu bestehen, die Washington als große Herausforderung sieht. Es geht für die Biden-Regierung nach dem Trauma der Trump-Jahre als Kernaufgabe um die Selbstbehauptung der liberalen Demokratie nach innen und außen. Und bei dieser globalen Auseinandersetzung ist Deutschland ein elementarer Akteur.

    Was erwartet man in Washington nach Ihrem Eindruck von der neuen Bundesregierung?

    Hermisson: Sicher keinen grundlegenden Kurswechsel. Aber ich erlebe schon die Hoffnung auf eine stellenweise Kurskorrektur in wichtigen Punkten. Es geht um die Frage, inwieweit es eine gemeinsame strategische Orientierung der beiden Regierungen gibt und gemeinsame Projekte, die darauf aufbauen.

    Was könnte das sein?

    Hermisson: Zum einen geht es um die Rolle Berlins für die Stärkung der Europäischen Union und ihrer Nachbarschaft. Die USA brauchen Deutschland als demokratischen Stabilitätsanker innerhalb der EU und als Verbündeten, der hilft, den Osten und Westen der EU zusammenhalten. Dabei ist die Wehrhaftigkeit gegenüber antieuropäischen und antidemokratischen Attacken der russischen Regierung auf die Bundesrepublik und ihre Partner eine Schlüsselfrage. Hier erhofft man sich in Washington einen Schulterschluss.

    Wie passt dazu die hoch umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2, die von Demokraten und Republikanern in Washington unisono abgelehnt wird?

    Hermisson: Zunächst muss man festhalten: Für diese Pipeline hat Deutschland in Washington einen sehr hohen politischen Preis bezahlt. Das gilt vor allem für das Ansehen der Bundesrepublik im Kongress, wo das Gas-Projekt seit vielen Jahren ein Dauerthema ist. Man kann sich mit guten Gründen fragen, ob es das wert ist. Aber für noch problematischer halte ich die europa- und klimapolitischen Auswirkungen der Pipeline.

    Sollte die neue Bundesregierung das leidige Projekt aus Ihrer Sicht auf Eis legen?

    Hermisson: Die Frage, wie die Bundesregierung Nord Stream 2 politisch bewertet, hängt in erster Linie vom Verhalten der russischen Regierung ab. Es gibt in diesen Wochen innerhalb der EU und mit den USA eine intensive Abstimmung der Kommunikation gegenüber Russland aufgrund der massiven russischen Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze.

    Zurück zur transatlantischen Zusammenarbeit. Sie wollten noch weitere Felder nennen.

    Hermisson: Ja. Es geht um die gemeinsame Bewältigung globaler Herausforderungen - vor allem in der Klima- und Energiepolitik. Biden hat sich innenpolitisch zum Ziel gesetzt, eine klimapolitische Transformation zum Motor der Revitalisierung der US-Industrie zu machen. Letztlich sollen Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit versöhnt werden. Da haben Washington und Berlin denselben Kompass. Das könnte die Grundlage für eine transatlantische Klimaallianz und damit neben der Stärkung der EU das zweite gemeinsame Projekt werden.

    Eingangs sprachen Sie den Umgang mit China an...

    Hermisson: In der Tat steht im Zentrum der meisten Washingtoner Debatten die Überzeugung, dass die Machtauseinandersetzung mit China unvermeidbar ist, weil sie von Peking selbst vorangetrieben wird. Und viele hier sind überzeugt, dass es neben der Machtfrage zunehmend auch eine Systemfrage wird, je weiter sich die Regierung in Peking von den Grundsätzen der liberalen Demokratie und der universellen Menschenrechte verabschiedet und diese auch global aktiv unterminiert. Die Auseinandersetzung findet in großem Maße auf den Feldern statt, wo Deutschland und die EU besonders mächtig sind - in der Technologie, beim Handel und in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb ist die transatlantische Partnerschaft hier spielentscheidend: Gemeinsam könnten die USA und die EU technische, ökologische und menschenrechtliche Standards setzen. Sie könnten strategische Lieferketten sichern, Hochtechnologie vorantreiben und einen weltweiten fairen Handel befördern. Aber wenn sie alleine oder gar gegeneinander agieren, wird das sehr schwierig. Entsprechend hoch sind die Erwartungen in Washington.

    Wie sehr kann sich die neue Bundesregierung denn umgekehrt auf die US-Regierung verlassen? Immerhin könnte in drei Jahren schon wieder ein Präsident im Weißen Haus sitzen, der sich den Autokraten in Moskau oder Peking viel näher fühlt und Vereinbarungen zu Klima, Handel oder Verteidigung wieder in die Tonne tritt?

    Hermisson: Es stimmt: Die politischen Verhältnisse in den USA sind weiter alles andere als stabil. Sollte Trump erneut antreten und sich bei der Wahl durchsetzen, würde das die transatlantischen Beziehungen massiv belasten. Umgekehrt ist auch offen, wie stabil die politische Lage in der EU in ein paar Jahren ist. Daraus kann man nur folgern, dass wir die kommenden Jahre dringend nutzen müssen, um die Beziehungen zurück auf die Erfolgsspur zu führen. Wir brauchen gerade jetzt starke Bündnisse demokratischer Akteure auf beiden Seiten des Atlantiks.

    Aber Joe Biden kann möglicherweise seine Versprechen nicht halten. Sein Sozial- und Klima-Paket, das auch die Zusagen beim Glasgower Klimagipfel unterfüttern sollte, scheint fürs Erste gescheitert. Was kann der Präsident überhaupt noch bewegen?

    Hermisson: Die Ambitionen, mit denen Biden gestartet ist, waren enorm. Dass es harte Verhandlungen und Kompromisse geben würde und das politische Programm des Präsidenten nicht eins zu eins umgesetzt werden könnte, musste jedem von Anfang an klar sein. Das erleben wir gerade. Das sind harte Machtauseinandersetzungen auch innerhalb der demokratischen Partei. Aber ich habe keinen Zweifel am Willen dieser Regierung, im Rahmen ihres politischen Spielraums an wichtigen Stellen voranzukommen. Starke internationale Partnerschaften können dabei helfen.

    Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass 2024 der Möchtegern-Autokrat Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt.

    Hermisson: Bis dahin sind es noch drei Jahre. Ich halte den Ausgang der Wahl angesichts der Schnelligkeit der politischen Entwicklung für komplett offen. Aber die Wahl wird darüber entscheiden, ob sich die liberale Demokratie in den USA weiter stabilisieren kann oder ob sie ernsthaft bedroht ist.

    Zur Person: Bastian Hermisson leitet seit sieben Jahren das Washingtoner Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Zuvor hatte er das Stiftungsbüro in Brüssel geleitet. Hermisson ist mit einer Amerikanerin verheiratet und gilt als wichtiger außenpolitischer Vordenker der Grünen.

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