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Kommentar: Die Politik nimmt die Hausbesitzer in die Pflicht

Kommentar

Die Politik nimmt die Hausbesitzer in die Pflicht

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    Eine gut gedämmte Fassade spart jede Menge Energie.
    Eine gut gedämmte Fassade spart jede Menge Energie. Foto: Annette Zoepf

    Es ist keine Übertreibung, von einer Hysterie zu sprechen, die sich in Deutschland derzeit um den vermeintlichen „Sanierungszwang“ dreht. Konkret geht es um die Richtlinie über die Energieeffizienz von Gebäuden, nach der Wohngebäude auf einer Skala von A bis G bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 die Klasse D erreichen sollen. Mit dem Votum im EU-Parlament für die strengeren Anforderungen ging das Getöse los. Und es ebbt nicht ab. Zur Wahrheit aber gehört, dass die Gemeinschaft das Motto „Worst First“ verfolgt. Das heißt, die schlechtesten Gebäude müssen zuerst modernisiert werden. Derweil sind die Prognosen einiger Kritiker, nach denen so gut wie jeder Immobilienbesitzer 100.000 Euro für die Wärmedämmung in die Hand nehmen muss, schlichtweg übertrieben. Um die Mindeststandards einzuhalten, reichen für die überwältigende Mehrheit der Gebäude Einzelmaßnahmen und Teilsanierungen. 

    Die verbalen Attacken schaden vor allem der Debatte um den Kampf gegen den Klimawandel. So zerstört die Panikmache nicht nur das Vertrauen in die Politik, sondern leistet auch der Motivation jedes und jeder Einzelnen einen Bärendienst. Kommt nicht so schnell wie möglich eine Modernisierungswelle in Gang, wird die EU ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, krachend verfehlen. 40 Prozent des Energieverbrauchs und rund 36 Prozent der CO2-Emissionen entfallen auf Gebäude. Hausbesitzer nun wegen zu hoher Energiepreise oder der Inflation aus der Pflicht zu nehmen, wäre deshalb fatal. Irgendeine Krise herrscht immer. Außerdem erhalten die Mitgliedstaaten Zuschüsse in Milliardenhöhe, um soziale Härten abzufedern und Modernisierungen voranzutreiben.. Weitere finanzielle Hilfsmittel kommen durch nationale Programme. Es grenzt an Scheinheiligkeit, wenn man einerseits vor Zusatzkosten für Immobilienbesitzer warnt, andererseits jedoch nicht anerkennt, dass Europas einkommensschwächste Bürger profitieren werden. Der Staat kann und darf nicht auf Dauer Millionen von Heizrechnungen bezuschussen. Investitionen in Wärmepumpen und dichte Fenster versprechen weitaus mehr Nachhaltigkeit.

    Noch ist in Brüssel nichts beschlossen worden

    Zentral über allem steht in der Diskussion jedoch das Argument, dass die Richtlinie, so schmerzhaft sie manchen erscheint, alternativlos ist. Diese Woche kam der Weltklimarat zu dem Schluss, dass der Klimawandel schneller voranschreitet und seine Folgen verheerender sind als zunächst gedacht. Wer das ernstnehmen will, muss handeln. 

    Ohnehin ist in Brüssel noch längst kein Beschluss gefallen. Vielmehr beginnt jetzt das Feilschen in den Verhandlungen, in denen sich die EU-Kommission, der Rat der 27 Mitglieder und das Parlament auf das endgültige Gesetz einigen müssen. Es ist unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass sich das Abgeordnetenhaus durchsetzen wird mit der Forderung nach vollständig emissionsfreien Neubauten schon ab 2028. Auch sonst dürfte es Verwässerungen geben, die vielleicht die Schreihälse ruhigstellen, aber Europa auf mittelfristige Sicht noch teurer zu stehen kommen werden. Denn in der Diskussion wird gerne der Preis des Zögerns vergessen. Mit dem beschleunigten Klimawandel häufen sich Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen. Die Folgen der Krise werden immer extremer – und verursachen massive Kosten. So hat der Klimawandel laut einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragten Studie seit 2000 in Deutschland jedes Jahr Schäden von durchschnittlich 6,6 Milliarden Euro verursacht. Allein die Hitzesommer 2018 und 2019 sowie die Flut 2021 hätten mehr als 80 Milliarden Euro gekostet. Es sind die Bürger, die die Schäden bezahlen – zusätzlich zu ihrer horrenden Heizrechnung.

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