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Kommentar: Macron und die Neuwahlen: Kluger Schachzug oder der Anfang vom Ende?

Kommentar

Macron und die Neuwahlen: Kluger Schachzug oder der Anfang vom Ende?

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    Der französische Präsident Emmanuel Macron setzt Neuwahlen an.
    Der französische Präsident Emmanuel Macron setzt Neuwahlen an. Foto: Peter Parks/AFP, AAP (Archivbild)

    Emmanuel Macron hat alle überrascht. Frankreichs Präsident spielt Poker, geht voll ins Risiko, indem er noch am Abend der EU-Wahl die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen am 30. Juni und 7. Juli ankündigte. Er kam damit einer Forderung des rechtsextremen Rassemblement National (RN) für den Fall einer Wahlschlappe des Präsidentenlagers nach – welche auch eintrat. Nur dass Macron wirklich diese Konsequenz aus dem enttäuschenden Ergebnis von 15,2 Prozent für seine Partei und ihre Verbündeten ziehen würde, damit rechneten die französischen Rechtspopulisten selbst nicht.

    Es handelte sich vielmehr um das übliche Arsenal aus Forderungen und Appellen, aus dem sich Parteichef und EU-Listenführer Jordan Bardella und seine Mentorin, die RN-Frontfrau Marine Le Pen, gerne bedienen, um Druck auf die Regierung aufzubauen. Dieses Vorgehen brachte ihnen einen gewissen Erfolg bei den Wählerinnen und Wählern ein, von denen 31,5 Prozent für den RN gestimmt haben. So errang Frankreichs extreme Rechte bei diesen EU-Wahlen einen historischen Sieg, denn durch ihren Kurs der Normalisierung, in Frankreich ist oft die Rede von „Entdämonisierung“, zieht der RN inzwischen breite Gesellschaftsschichten an.

    Mutig oder halsbrecherisch? Macron will klarere Verhältnisse

    Macron wiederum befand sich in einer Sackgasse und übt nun den Befreiungsschlag – allerdings mit sehr ungewissem Ausgang. Seit seiner Wiederwahl vor gut zwei Jahren tut sich seine Regierung schwer, Projekte durch die Nationalversammlung zu bringen, in der er ebenfalls 2022 die absolute Mehrheit verloren hat. Ob die umstrittene, wenn auch angekündigte Rentenreform oder ein neues, strenges Asylgesetz – jedes wichtige Votum wurde zur Zitterpartie, auch weil sich die konservativen Republikaner, die diese Reformen seit Jahren forderten, längst in einer kompromisslosen Fundamentalopposition befinden.

    Nun fordert der Präsident die Bevölkerung auf, für klarere Verhältnisse zu sorgen. Das ist mutig – oder halsbrecherisch. Denn dass die Menschen der Regierungspartei und ihren Partnern wieder zu einer komfortablen Mehrheit verhelfen, erscheint unwahrscheinlich. Mit Erfolg hat Bardella aus der EU-Wahl eine Art Referendum über Macrons Politik gemacht. Er vermied es nach Möglichkeit, über die Kompetenzen des EU-Parlaments zu sprechen und betonte stets die nationale Bedeutung der Abstimmung. Macron spielte dieses Spiel mit, indem er seinen Premierminister Gabriel Attal aufforderte, aktiv Kampagne zu betreiben und in ein viel beachtetes TV-Duell mit Bardella schickte. Auch nutzte er selbst in den vergangenen Tagen die Gedenkfeierlichkeiten an den 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie dazu, auf die Bedeutung dieser EU-Wahl hinzuweisen. Auf eine Weise verknüpfte er sie so mit seinem politischen Schicksal.

    Frankreich geht nach der Europawahl chaotischen Zeiten entgegen

    Frankreich, dessen Regierungssystem eigentlich große Stabilität garantiert, geht unsicheren, vielleicht sogar chaotischen Zeiten entgegen. Die politische Kampagne ist seit Sonntagabend nicht beendet, sondern tritt in eine neue Phase ein – allem Politikverdruss vieler Menschen im Land zum Trotz. Die nächsten Wahlen finden in wenigen Wochen statt und fallen in eine Zeit, in der sich Frankreich und speziell Paris auf die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele ab 26. Juli vorbereiten wollten.

    Im für Macrons günstigsten Fall zollen ihm die Menschen Respekt für seinen Wagemut und kann es ihm gelingen, sie erneut von seinem proeuropäischen, wirtschaftsfreundlichen Projekt zu überzeugen. Im für ihn negativen Fall hingegen fährt er erneut eine Schlappe ein. Findet seine Partei im Parlament nicht genügend Partner, um effizient weiter zu regieren, könnten sogar sein eigener Rücktritt und vorgezogene Präsidentschaftswahlen anstehen. Zwar ist längst nicht ausgemacht, ob die Franzosen wirklich bereit für eine rechtsextreme Präsidentin Le Pen oder einen Premierminister Bardella wären. Doch ausschließen lässt sich dies nicht mehr. Es wäre nicht nur eine gewaltige Gefahr für Frankreich, sondern auch für Europa.

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