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Moldau: Kälte und Hunger drohen: Moldau im Würgegriff des Ukraine-Kriegs

Moldau

Kälte und Hunger drohen: Moldau im Würgegriff des Ukraine-Kriegs

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    Veronica Moca leitet das Gemeindezentrum in Tudora: Sie weiß nicht, ob sie Einheimischen und Geflüchteten noch eine warme Stube bieten kann.
    Veronica Moca leitet das Gemeindezentrum in Tudora: Sie weiß nicht, ob sie Einheimischen und Geflüchteten noch eine warme Stube bieten kann. Foto: Cedric Rehman

    Veronica Mocan blickt auf den Tisch, auf dem im Frühjahr Kinder schliefen. Das von der österreichischen Hilfsorganisation Concordia 2008 gegründete Zentrum in der Kleinstadt Tudora platzte kurz nach dem russischen Überfall am 24. Februar aus allen Nähten. Die Geflüchteten strömten in einem endlosen Zug aus der Ukraine über die nahe Grenze in die Republik Moldau. Sie übernachteten in jeder Nische des Gemeindezentrums.

    Sollte im Winter die Strom- und Wärmeversorgung in der Ukraine völlig zusammenbrechen, könnte es wieder eng werden im Zentrum, meint Leiterin Veronica Mocan. Die Ukrainer würden über die Grenze nach Moldau flüchten, bevor sie erfrieren. Sie hat ihre Haare zu einem zeitsparenden Dutt zusammengebunden. Ihr Smartphone piept unablässig. Anfragen nach Essenspaketen, Kleiderspenden oder einem Dach über dem Kopf prasseln im Minutentakt auf sie ein.

    In Moldau: Was, wenn alles noch schlimmer wird?

    Vielleicht wird jetzt alles noch schlimmer als im Frühjahr. Auch die Bewohner von Tudora könnten hungernd und frierend an die Tür des Zentrums klopfen, fürchtet die Leiterin. Das Gemeindezentrum verfügt über einen Generator. Wen soll sie im schlimmsten Fall in die Wärme lassen und mit Essen versorgen, Mütter mit Kindern aus der Ukraine oder ihre eigenen Nachbarn? Sie weiß es nicht.

    Die Republik Moldau jongliert seit Wochen am Rande des Abgrunds. Die Stromversorgung der Republik Moldau ist mit den ukrainischen Leitungen seit der Sowjetzeit verknüpft. Kraftwerke in der Ukraine produzieren 20 Prozent des in Moldau verbrauchten Stroms. Die russischen Großangriffe auf die ukrainische Stromversorgung schickte im November Schockwellen durch das Netz der Republik Moldau. Nach den Luftattacken auf Kraftwerke und Relaisstationen in der Ukraine gingen die Lichter aus. Wasserpumpen standen still. Heizkörper erkalteten. 

    Aus der Ukraine kommt kein Strom mehr nach Moldau

    Ingenieure brachten den Strom nach Stunden wieder zurück in die dunklen Stuben von 2,6 Millionen Moldauern. Doch wie lange die Lichter brennen, ist Gegenstand düsterer Spekulationen. Die um jedes Kilowatt kämpfende Ukraine stellte ihren Stromexport nach Moldau ein. Der Plan der Regierung Moldaus in der Hauptstadt Chisinau, die Lücke mit Lieferungen aus dem westlichen Nachbarland Rumänien zu decken, scheiterte an zu hohen Kosten. Moldau ist das ärmste Land Europas. Die Kassen sind angesichts einer Inflation von 34 Prozent, bitterer Not der eigenen Bevölkerung und 90.000 zu versorgenden Kriegsflüchtlingen leer. 

    Ausgerechnet der Feind auf dem eigenen Staatsgebiet soll die Republik Moldau nun vor Elend und Chaos im Winter bewahren. Die Republik Moldau erklärte sich 1991 für unabhängig von der Sowjetunion. Die Sowjets hatten nur ein mit Gas befeuertes großes Kraftwerk auf moldauischen Boden errichtet. Die Anlage Cuciurgan produziert bis heute 70 Prozent des Strombedarfs, befindet sich aber in der abtrünnigen Region Transnistrien. Russische Armeeeinheiten garantieren seit dem Ende des Krieges 1992 die Existenz des Pseudostaats mit Hammer und Sichel in der Flagge.

    Russland manövriere die Regierung in Chisinau in eine Falle, fürchten Kritiker. Der russische Gaskonzern Gazprom reduzierte seine Gaslieferungen an Moldau im Oktober um 30 Prozent. Chisinau und Kiew warfen Gazprom Erpressung vor. Die Separatistenregion Transnistrien erhielt gleichfalls weniger Gas aus Russland. Die Separatisten fuhren die Leistung von Cuciurgan herunter und behielten den Strom für sich.

    Wie die Regierung die Energieversorgung zu retten versucht

    Moldau stand Ende November mit dem Rücken zur Wand. Ein Blackout schien kaum noch abwendbar. Die westlich orientierte Regierung der Präsidentin Maia Sandu entschied sich dafür, die Stromversorgung zu retten, indem sie ausgerechnet mit Transnistrien einen Pakt schloss. Die Separatistenregion soll künftig das ganze Gas erhalten, das Russland noch liefert. Moldau will allein mit gefüllten Gasspeichern und Minimalverbrauch durch den Winter kommen. Transnistrien verpflichtet sich in dem Abkommen dafür, mit dem Gas genügend Strom zu erzeugen und wieder Moldau zu beliefern.

    In Tudora werden sogar die Pfirsaichbäume zu brennholz gemacht.
    In Tudora werden sogar die Pfirsaichbäume zu brennholz gemacht. Foto: Cedric Rehman

    Moldaus Strom- und Wärmeversorgung ist nun abhängig von der Vertragstreue der russisch kontrollierten Separatistenregion. Sollte Transnistrien das Abkommen brechen, wäre der teure Strom aus Rumänien für Moldau auch keine sichere Rettungsleine. Die einzige mit Rumänien verknüpfte Hochspannungsleitung nach Moldau verläuft ausgerechnet über Transnistrien. Ein umgelegter Schalter im Kraftwerk Cuciurgan und eine auf dem Boden Transnistriens lahmgelegte Leitung genügen nun, um in Moldau Licht und Wärme jederzeit auf Dauer auszuknipsen. Moldau hofft, dass die gegenseitige Abhängigkeit Transnistrien davon abhält, soweit zu gehen. Moldau hat sich in einem Würgegriff ausgeliefert. Eine andere Möglichkeit hatte das arme Land nicht. 

    Ganze Plantagen verwandeln sich in Brennholzstapel

    Veronica Mocan erzählt, dass jede Familie in der circa 2100 Einwohner zählenden Kleinstadt Tudora seit der Gründung des Gemeindezentrums mindestens einmal um Lebensmittelpakete oder Kleiderspenden gebeten hat. „Selbst unser Bürgermeister stand einmal in meinem Büro, weil er für seine Familie Hilfe brauchte“, erzählt sie. So arm sei der Südosten des darbenden Landes. Die Inflation nach Beginn des Ukrainekriegs habe Tudora aber noch tiefer ins Elend gestürzt. „Wir haben uns im Frühjahr auf die Unterstützung der Flüchtlinge aus der Ukraine konzentriert. Inzwischen braucht jeder in der Stadt unsere Hilfe“, sagt Mocan. 

    Tudora verfeuert in der Not die eigene Zukunft. Die Einwohner fällen ihre Pfirsichbäume und hacken sie zu Brennholz klein. Gas kann sich in der Gemeinde niemand mehr leisten. Die Stadt sei bekannt für ihre Pfirsiche, erzählt Mocan. Ganze Plantagen verwandeln sich jetzt in Brennholzstapel. „Wir werden 2023 kaum noch Pfirsiche verkaufen können“, meint Mocan. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine dann zu Ende ist, wird die Armut in Tudora bleiben.

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