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Nachruf: Ein verkannter Reformer: Zum Tod des chinesischen Ex-Präsidenten Jiang Zemin

Nachruf

Ein verkannter Reformer: Zum Tod des chinesischen Ex-Präsidenten Jiang Zemin

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    Jiang Zemin, ehemaliger Präsident von China schaut, ist im Alter von 96 Jahren gestorben.
    Jiang Zemin, ehemaliger Präsident von China schaut, ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Foto: Mark Schiefelbein, AP, dpa

    Zu Lebzeiten wurde der klein gewachsene Mann mit der riesigen Hornbrille und dem verschmitzten Lächeln oftmals belächelt. Doch posthum wird er zweifelsohne als kluger Wirtschaftsreformer in die Geschichtsbücher eingehen: Jiang Zemin, Chinas Staatspräsident von 1993 bis 2003, ist mit 96 Jahren in Shanghai an den Folgen seiner Leukämie-Erkrankung verstorben. Die Bevölkerung hat millionenfach Beileidsbekundungen auf den sozialen Medien geteilt. „Er repräsentierte für mich die sorgenfreie Zeit meiner Kindheit“, schreibt eine Chinesin auf der Plattform Wechat. Ein anderer User kommentiert lakonisch: „Der Senior ist von uns gegangen. Wir werden ihn vermissen."

    Die große Anteilnahme könnte bei der politischen Führung für Nervosität sorgen. Denn 1989 war es die Trauer um den verstorbenen, reformorientierten Generalsekretär Hu Yaobang, die die Protestbewegung Pekinger Studenten auf dem Tiananmen-Platz mit auslöste. Heute ist der amtierende Präsident Xi Jinping mit Demonstrationen konfrontiert, die er mit Polizeipräsenz zu ersticken versucht. 

    Das politische Erbe von Jiang Zemin ist ambivalent

    Jiang Zemin hatte nach seiner zehnjährigen Amtszeit ein ambivalentes Erbe hinterlassen: So ließ er unter anderem die Falun Gong-Sekte mit äußerster Brutalität verfolgen. Wenig tat er gegen die grassierende Korruption innerhalb der Parteiführung. Auf der anderen Seite sorgte er jedoch mit seinen ökonomischen Reformen dafür, dass China der Anschluss an die Weltwirtschaft gelang. 

    Für viele junge Chinesen wird der im ostchinesischen Jiangsu geborene Jiang vor allem für eine legendäre Pressekonferenz in Erinnerung bleiben, die der damalige Staatspräsident im Jahr 2000 in Hongkong gab. Als eine junge Reporterin eine kritische Frage stellte, sprang der 1,74 Meter große Jiang aus seinem roten Sessel – und wechselte unverhofft in sein brüchiges Englisch: „Ihr Medien müsst noch mehr lernen! Die Fragen, die ihr stellt, sind zu einfach, manchmal naiv!“ Das war neu: Ein Präsident, der sich offen den Fragen der Journalisten stellt und sich nahbar wie fehlbar gibt. In der Ära Xi Jinping scheint das undenkbar. 

    Sie hatten ein schwieriges Verhältnis: Jiang Zemin mit dem aktuellen chinesischen Staatschef Xi Jinping.
    Sie hatten ein schwieriges Verhältnis: Jiang Zemin mit dem aktuellen chinesischen Staatschef Xi Jinping. Foto: Ng Han Guan, AP, dpa (Archivbild)

    Tatsächlich hatte Jiang kein gutes Verhältnis zum derzeitigen Staatschef. Jiang tanzte schon mal Cha Cha Cha mit dem philippinischen Präsidenten, stimmte vor Reportern Lieder von Elvis Presley an oder ließ sich vom legendären US-Fernsehjournalisten Mike Wallace interviewen. Wenn viele Chinesen nun also das Gefühl haben, dass eine Ära zu Ende geht, erklärt dies die melancholische Nostalgie für einen Präsidenten, der während seiner Amtszeit nicht sonderlich beliebt war – heute aber positiver gesehen wird. Vielleicht auch, weil er das tat, was Xi Jinping im Herbst verweigert hat: Auf dem Höhepunkt seiner Macht räumte Jiang Zemin nach zehn Jahren Präsidentschaft seinen Sessel.

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