Frau Schavan, woran dachten Sie als Erstes, als Sie am Ostermontag die Nachricht vom Tode Papst Franziskus’ hörten?
ANNETTE SCHAVAN: Jetzt haben die Armen der Welt ihren größten Fürsprecher verloren – das war mein erster Gedanke.
Als deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl haben Sie Franziskus häufiger getroffen. Welche Erinnerung an ihn werden Sie wohl nie vergessen können?
SCHAVAN: Es gibt so viele! Was unvergesslich ist, war seine ungewöhnliche Präsenz bei jeder Begegnung, selbst wenn viele andere Menschen anwesend waren, und sein Kampfesgeist. Franziskus kämpfte für eine Welt, in der die brennenden Zukunftsfragen nur gemeinsam beantwortet werden können. Seine Botschaft war stets: „Lasst diese Welt nicht zerbrechen.“ Angesichts der gegenwärtigen Konflikte allerorten ist das hochaktuell.

Sie haben ihn auch persönlich erlebt.
SCHAVAN: Ja, auch nach meiner Botschafterzeit gab es weitere Begegnungen. Einmal schenkte er mir Tango-Musik und schob erklärend nach: „Aus meiner Heimat.“
Bald wird ein Nachfolger gewählt. Erwarten Sie ein schwieriges Konklave?
SCHAVAN: Meine Hoffnung ist, dass es bei der Papst-Wahl geistlich zugeht und im Bewusstsein um die Bedeutung des Papsttums in einer zerrissenen Welt. Der nächste Papst muss ein Versöhner sein.
Fehlt mit Franziskus nun ein Vermittler?
SCHAVAN: Es fehlt die große Autorität, die für Versöhnung steht. Und das war Franziskus. Er war der erste Papst, der die globale Welt im Blick hatte und der uns die Wunden der Welt vor Augen geführt hat. Er hat auch deutlich gemacht, dass die katholische Kirche nicht Teil irgendeines Bündnisses ist, nicht der EU, nicht der Nato – sie ist Ansprechpartnerin für alle, sie ist jederzeit und mit allen zu Gesprächen bereit. Das hat bisweilen zu manchem Missverständnis geführt.
Franziskus wurde vorgeworfen, nicht unmissverständlich genug Russland als Invasor der Ukraine benannt zu haben.
SCHAVAN: Das muss man aber auch aus diplomatischer Perspektive betrachten. Es ist ja geradezu das Herzstück der vatikanischen Diplomatie, und da wiederhole ich mich, mit allen Konfliktparteien zu sprechen und eben gesprächsbereit zu bleiben.
War er denn ein geschickter Diplomat?
SCHAVAN: Dieses Wort würde ich in seinem Fall nun nicht verwenden. Ein geschickter Diplomat zu sein, war auch gar nicht sein Anspruch. Ich habe ihn als einen Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit erlebt, der klare Worte spricht, manchmal waren sie kantig und er wurde für sie kritisiert. Er nahm es aber in Kauf, anzuecken. Vorrang hatte für ihn, nicht zu unterscheiden beim Leid und beim Leiden. Und das benannte er.
Soll sich die Kirche denn überhaupt in politische Angelegenheiten einmischen?
SCHAVAN: Natürlich muss sie das – und hierfür ist Johannes Paul II. ein starkes Beispiel.
Der polnische Papst, Karol Józef Wojtyla, der vor fast genau 20 Jahren starb.
SCHAVAN: Dessen erste Reise kurz nach seiner Wahl im Jahr 1978 führte ihn nach Polen, wo er der antikommunistischen Gewerkschaft Solidarność Mut zusprach mit den Worten „Fürchtet euch nicht!“. Damit begann ein jahrelanger Kampf und Einsatz für die Freiheit – mit dem Ergebnis der Vereinigung Europas. Wer bitteschön wäre damals auf die Idee gekommen, dem Papst oder der Kirche vorzuwerfen, man dürfe sich derart politisch nicht äußern?
Es gibt aktuell diese Debatte. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner von der CDU hat ausgerechnet zu Ostern den Kirchen vorgeworfen, sich in die Tagespolitik einzumischen.
SCHAVAN: Das ist eine ziemlich künstliche Debatte: Das Christentum ist von Beginn an auch politisch. Die Päpste sind zutiefst geistliche Menschen, aber sie kämpfen auch politisch. Alles andere wäre eine Religion für die Frömmigkeit des Einzelnen ohne Relevanz für die Welt.

Nicht nur Klöckner, auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) empfahl den Kirchen, sich besser stärker zu Themen wie dem „Lebensschutz“ zu äußern.
SCHAVAN: Man muss nicht jede Stellungnahme, etwa der katholischen Kirche, als richtig empfinden. Das habe ich auch nicht getan. Aber: Wir sollten nicht auf die Idee kommen, den Kirchen das Recht, sich zu äußern, abzusprechen. Auch und gerade bei Einlassungen, die die Politik betreffen und die uns vielleicht nicht passen.
Offensichtlich hat die Kritik der Kirchen daran, dass die Union Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD in Kauf nahm für einen Antrag zu einer schärferen Migrationspolitik, manchen Spitzenpolitikern von CDU und CSU nicht gepasst.
SCHAVAN: Tatsächlich gibt es eine Reihe von Themen, die zutiefst die Würde des Menschen betreffen – und bei allen diesen Themen würden die Kirchen ihre Aufgabe verfehlen, würden sie dazu schweigen.

Irritiert es Sie, dass die massive Kritik an den politischen Einlassungen der Kirchen ausgerechnet aus Parteien mit dem „C“ für „christlich“ im Namen kommt?
SCHAVAN: Das „C“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst gewählt, es steht für eine Parteinahme für den Menschen, für die Verhinderung jeglicher Art von Totalitarismus, für Ökumene. CDU und CSU waren ihrer Zeit voraus. Das sollte für uns heute eine wichtige Erinnerung sein: der Zeit voraus zu sein, nicht ihr hinterherzuhinken.
Sorgen Sie sich um das „C“ in CDU und CSU? In den vergangenen Jahren entstand der Eindruck, die Union gehe etwas auf Distanz dazu.
SCHAVAN: Das „C“ bedeutet eine große Kraft der Versöhnung. In den vergangenen Jahrzehnten wurde es aber mit unterschiedlicher Tonalität behandelt. Uns wurde schon 1998 geraten, es abzuschaffen, weil es nicht mehr zeitgemäß sei. Es wurde vielfach infrage gestellt. Doch es ist geblieben, und ich bin überzeugt davon, dass die Zustimmungsfähigkeit zu den C-Parteien wesentlich damit zu tun hat, dass sich diese als christdemokratisch verstehen – und nicht nur als konservativ oder liberal.

Zur Person
Annette Schavan, 69, war von Mitte 2014 bis Mitte 2018 deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Zuvor war die Rheinländerin CDU-Bundesministerin für Bildung und Forschung. Kirchlich engagierte sich Schavan unter anderem als Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.
Gerade die Kirche sollte sich aus der Politik heraushalten. Allein die katholische Kirche sollte sich mehr um ihr desaströses Verhalten ihrer Geistlichen, z.B. in diversen, unzähligen Missbrauchsskandalen, kümmern und diese auch zeitnah abarbeiten. Des weiteren sollten die zahlreichen Kirchenaustritte zu denken geben. hier ist die Aufgabe der Kirche, sich um Ihre Schützlinge zu kümmern und sich an die Änderungernder Zeit anpassen.
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